Die steile Treppe führt vom Wohnzimmer des Engadinerhauses in einen kleinen Gewölbekeller hinunter. Hier bilden die zahlreichen bunten Snowboards mit dem Grauweiss des Hintergrunds einen interessanten Mix: modernste Materialien aus einer jungen Sportart in einem Haus, das teilweise aus dem 16. Jahrhundert stammt. Die Geschwister Ursina, 28, und Christian Haller, 24, verbringen viel Zeit in diesem Keller, wenn sie die Eltern in Zernez GR besuchen. Sie wohnen längst in Zürich, sind jedoch meistens noch weiter weg vom Engadin - in den Halfpipes rund um den Globus.
Im Snowboard starten Frauen und Männer jeweils am selben Ort. So sind die beiden fast immer gemeinsam unterwegs. «Das ist schön», sagt Christian. «Es ist super, eine Person dabeizuhaben, die mich so gut kennt.» Erleidet er eine Niederlage, kann er sich wenigstens übers Abschneiden seiner älteren Schwester freuen - und umgekehrt. Ursina betont aber, dass sie bei aller Harmonie nicht nur im Haller-Paket auftreten wollen. «Wir profitieren von der Situation, müssen aber unseren eigenen Weg im Sport finden. Da brauchts eine Balance.»
Als die beiden jünger waren, ist die Familie oft umgezogen. Von der Stadt St. Gallen ins Engadin zum Beispiel; die Kinder mussten Rätoromanisch lernen, sich anpassen. «Das schweisst zusammen», sind sie überzeugt. Der ältere Bruder Niklaus, der das Snowboardvirus einst in die Familie brachte, hat längst einen anderen Weg eingeschlagen, doch die jüngeren blieben dem Schneesport treu und haben sich an der Weltspitze etabliert.
Gleich zwei Hallers an den Olympischen Spielen in Sotschi - ist da eine Sportlerfamilie am Werk? «Nicht wirklich», sagt Vater Heinrich. Er selbst ist zwar ein begeisterter Läufer, und der Sport habe einen angemessenen Stellenwert in der Familie, «aber er ist längst nicht so dominant, wie man es bei zwei Profisportlern als Kinder vermuten könnte». Zentrale Themen am Familientisch sind ebenso die Natur und die Politik - wobei sich gerade diese Gebiete immer wieder mit dem Thema Sport vermischen. Heinrich Haller ist Direktor des Schweizerischen Nationalparks, und den Kindern ist durchaus bewusst, dass etwa die viele Fliegerei an die Wettkampforte nicht gerade dem Umweltschutzgedanken entspricht. «Klar ist uns das wichtig.» Aber gewisse Dinge müssten sie hinnehmen, sagt Ursina, schliesslich sicherten diese Wettkämpfe ihre Existenz. Auch der Vater gewinnt dem Wintersport einiges ab. «Der Tourismus ist der Motor für das Bündnerland. Die Frage ist immer, wie man es macht. Entscheidend ist die Gebietszuordnung und die Bedingung, dass der Natur genügend Raum bleibt.»
Eine gewisse Zwiespältigkeit empfinden Christian und Ursina Haller auch bei politisch heiklen Themen wie den Olympischen Spielen in Sotschi. Ursina blickt durchaus mit einem kritischen Auge auf das bevorstehende Saison-Highlight in Russland. Allerdings möchte die Studentin der Politikwissenschaften Sotschi zuerst erleben, bevor sie sich öffentlich zu konkreten Themen äussert. Und sie weiss, dass sie ihre Vorbehalte ausblenden muss. Wer sich bei Olympischen Spielen ablenken lässt, hat sich seine Chancen auf eine Medaille bereits im Vorfeld verspielt. «Ganz wegschauen geht nicht, aber die Verantwortung für das, was in Sotschi abläuft, liegt nicht beim Athleten.»
In der Nähe des Tisches im lichtdurchfluteten Wohnzimmer der Hallers, an dem ebendiese Themen diskutiert werden, hängen an der Wand Hellebarden. Nur zur Dekoration, selbstverständlich. Ursina und Christian tragen ihre Wettkämpfe auf andere Art und Weise aus: mit Stil statt Blut, feiner Technik statt roher Kraft. Und mit einem Blick, der über den Rand der Halfpipe hinausgeht.