Gülsha Adilji, 31, hatte eine wunderbare Idee. Zum Geburtstag forderte sie ihre Freunde auf, ihr Bücher zu schenken. So kommt es, dass sich auf ihrer Kommode der Koran («Nicht gelesen, das war mir zu kompliziert») an Dan Brown («Check!») schmiegt. Daneben liegt ein Wäschehaufen. «Ich habe nicht extra aufgeräumt», sagt sie und lacht so herzlich, dass man sich in ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung im Zürcher Quartier Heuried sofort wohlfühlt.
Seit 16 Jahren wohnt die Kult-Moderatorin in Zürich. Dass sie ihre Kindheit in der Ostschweiz verbrachte, hört man ihr nur dezent an. Sie ist als mittlere von drei Schwestern in Niederuzwil SG aufgewachsen. Mit kompliziertem Migrationshintergrund: «Ich kam im Bauch meiner Mutter, einer Türkin aus dem Kosovo, in die Schweiz.» Ihr Vater, ein albanischer Saisonnier aus Serbien, hat die Familie Mitte der 80er-Jahre nachgezogen. In der Schule sei sie mit ihrer Herkunft zwar auf Interesse gestossen, mehr aber auch nicht. «Ich habe sowohl Rassismus als auch Sexismus, der heutzutage ja allgegenwärtig ist, nie persönlich erlebt.» Heute besitzt sie den Schweizer Pass, Nationalstolz ist ihr jedoch fremd.
Fleckiges Sofa und Chili an der Wand
«Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie sich patriotische Gefühle bilden, woher sie kommen und was ihre Hobbys oder Krankheiten sind.» Ein bisschen scheint Gülshas Wohnung ihre zusammengewürfelte Identität zu spiegeln: Da steht ein fleckiges Sofa ohne Bezug, das sie mal von einem Freund geerbt hat und das weder zur schwedischen Kommode noch zum antiken Esstisch passt. An den Wänden Erinnerungsstücke - eine getrocknete Chili aus Papas Garten und unvorteilhaft belichtete Polaroids -, ausgewählt nicht nach ästhetischen Richtlinien, «sondern nach emotionalem Gehalt». Genauso, wie man sich das vorstellt bei einer «Berufsjugendlichen».
Diesen Status hat sich Gülsha mit frechen Moderationen beim Jugendsender Joiz verdient und ihn auch mit 31 Jahren noch nicht abgegeben. Dabei ist sie gar nicht so sicher, ob sie noch als jugendlich durchgehen will. «Ich stecke in einer Quarterlife-Krise.»
Kinder kriegen wäre eine Option
Ausgelöst worden ist die Krise durch das abrupte Ende von Joiz im vergangenen Sommer. «Das Schicksal hat mich mit einem Roundhouse-Kick aus meiner Komfortzone befördert», sagt Gülsha damals auch seit Kurzem Single. «Ich musste herausfinden, was ich nun tun will. Was ganz Neues? Zum Beispiel Pferde fotografieren in Patagonien? Oder das abgebrochene Biotech-Studium wieder aufnehmen? Babys machen?»
Kinder wären eine Option. Denn während Gülsha sich auf der Dating-App Tinder tummelt und via Snapchat mit Jugendslang um sich schmeisst, verteilen gleichaltrige Freundinnen das Jawort und kriegen Babys. «Sogar meine jüngere Schwester denkt schon ans Kinderkriegen. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht an einem anderen Punkt sein sollte im Leben. Ob ich in Sachen Familienplanung mithalten müsste. Das zeichnet sich bei mir ja noch überhaupt nicht ab.»
Nicht dass Gülsha eine Mitläuferin wäre. Obwohl sie selbst sagt, sie sei vor drei Jahren nicht durch Tierliebe oder moralische Vorbehalte zur veganen Ernährungsweise gekommen, «sondern weil meine engsten Freunde, deren ethischer Grundhaltung ich vertraue, sich dazu entschieden haben». Und obwohl sie dem Prototyp der Generation Y entspricht, diesen gut ausgebildeten Kosmopoliten, die schier zerbrechen an der Qual der Wahl der Möglichkeiten. Dem Trend nach Selbstdarstellung durch Statussymbole, wie man sie von den Hipstern kennt, ist Gülsha nie verfallen. Statt ausgefallenen Sneakers trägt sie Einhornfinken. Statt exquisiten Kaffees steht einfache Pulverbrühe im Küchenschrank. «Ich glaube, mein grösstes Talent besteht darin, dass ich keine Angst davor habe, ich selbst zu sein.»
Das erkennt auch ihr Mentor, der Berner Autor Reeto von Gunten. «Wenn ich einmal gross bin, möchte ich so uneitel und ehrlich sein wie Gülsha » Er hat sie nach dem Aus von Joiz unter seine Fittiche genommen und schickt sie nun auf die Bühne, «wo sie hingehört». Nicht mehr digital, sondern analog. Gülsha wird Kabarettistin und geht demnächst mit ihrem ersten Programm auf Tour. Eine multimediale 90-Minuten-Show, in der sie Einblick gewährt in den Alltag einer Frau Anfang 30. «Information für Allergiker: Diese Lesung kann Spuren von Veganismus, Zynismus und Feminismus enthalten», warnt sie vorab. Das Publikum erfährt, wie man Spanks richtig anzieht und weshalb Gülsha lieber mit einer Schnecke rumhängt als sich ständig zu betrinken.
Das tut sie wirklich. Drei Hausschnecken hat sich Gülsha seit Beginn ihrer Krise zugelegt respektive bei Spaziergängen auf dem Uetliberg gesammelt. «Um zu entschleunigen», das war der Plan. Doch nun leben die Schnecken bei ihren Eltern in der Ostschweiz. Gülsha hat keine Zeit zum Entschleunigen. Sie gibt gerade Gas für die neue Karriere.
«D Gülsha Adilji zeigt ihre Schnägg»: Premiere des Programms ist am 23. Februar im Miller's in Zürich.