Gestern wars gar nicht gut. Den «Schlotteri» habe er gehabt, sei kaum aus dem Bett gekommen, sagt Hanery Amman, 65. Nebenwirkungen der Chemotherapie. Auch heute kommt er direkt von der Chemo im Spital Thun. Aber heute ist ein guter Tag. Hanery rückt die Mütze zurecht. Langsam fallen ihm die Haare aus, auch eine Nebenwirkung der Chemo. «Aber ein bisschen Eitelkeit muss sein», meint er grinsend, und der Schalk blitzt in seinen Augen.
Zehn Jahre ist es her, dass der Mundart-Musiker erstmals mit der Diagnose Lungenkrebs konfrontiert wurde. Ein Lungenflügel wurde operativ entfernt. Und jetzt, just an seinem 65. Geburtstag, platzt die Bombe: Der Krebs ist zurück. Nicht nur der verbleibende Lungenflügel ist befallen, sondern auch Leber und Knochen. «Alles ist voller Plunder. Ich habs auf den Röntgenbildern gesehen», sagt Hanery Amman.
«Es kann jeden treffen»
Fakt ist: Die Prognosen versprechen nichts Gutes. «Wenn die Ärzte dir das so a Gring schmettere, haut dich das im ersten Moment schon um. Aber eigentlich kann man nur eines: annehmen. Und weitermachen, so lange es irgendwie geht.»
Zum Weitermachen gehört auch, dass er offen über sein Schicksal spricht. «Ich habe bereits eine Chemotherapie hinter mir und niemandem etwas gesagt. Aber warum soll ich mich verstecken? Krebs kennt keine Gerechtigkeit. Es kann jeden treffen, das ist keine Schuldfrage. Und das Paradoxe ist, die, die richtig wild tun, leben oft länger als die Vernünftigen.»
Natürlich hadere er mit seinem Schicksal. «Jeder fragt sich irgendwann, warum ausgerechnet ich?» Er hat in den letzten zehn Jahren so viel eingesteckt, hört wegen eines Tinnitus – das Ergebnis von zwei Ohren-Operationen – kaum mehr: «Für einen Musiker der Supergau!»
Hanery arbeitet noch an einem Herzensprojekt
Er sei sich Schicksalsschläge schon fast gewohnt, meint er nonchalant. «Und solange ich einigermassen auf den Scheichen stehen kann, kämpfe ich weiter!» Für seine Familie, seine Freunde und für die Musik. «Sie ist das Hauptmotiv in meinem Leben.» Ein neues Mundart-Album ist bereits fertig, es werden gerade noch letzte Details geklärt.
Zudem arbeitet Hanery Amman an seinem Herzensprojekt: ein von den Fans lange erwartetes Instrumentalalbum mit Klaviermusik. «Ich arbeite schon seit einer Weile daran, hatte aber neben der Songschreiberei nie genügend Musse, mich darauf zu konzentrieren. Jetzt tu ich es endlich. Dieses Album wird mein persönlichstes. Wenn es irgendwie geht, möchte ich es in den nächsten Monaten fertigstellen.»
Und dann? Aufgeben kommt erst in Frage, wenn er das Leben nicht mehr als lebenswert empfindet. «Das hat auch mit einer gewissen Würde zu tun. Aber was das konkret heisst, weiss ich erst, wenn es so weit ist.» Mit dem Tod hat er sich bereits als junger Mann beschäftigt. «Aber es ist natürlich etwas anderes, wenn man mit 65 real damit konfrontiert wird.»
Angst davor hat er nicht. Auch wenn er keine rechte Vorstellung davon habe, was beim Sterben auf einen zukomme. «Sicher ist: Es wird ein Abschliessen auf allen Ebenen sein. Dann, wenn ich bereit bin, das Leben loszulassen.» Noch ist Hanery Amman das nicht.