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Simonetta Sommaruga

Hier blüht die Bundesrätin auf

Der Garten ist ihre grosse Leidenschaft. In Jeans und T-Shirt spricht Bundesrätin Simonetta Sommaruga über Staatsverträge, Asyl und Ausschaffung. Bundesbern scheint weit weg.

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Als die Justizministerin vor ihrem Haus aus dem Dienstwagen steigt, trägt sie ein Deuxpièces, elegante Schuhe, Schmuck, in der Hand eine lederne Aktentasche - Business-Uniform. Keine drei Minuten später tritt Simonetta Sommaruga, 52, durch die Veranda-Tür in ihren Garten. In Jeans und T-Shirt, barfuss - Garten-Montur! Das Gesicht ist entspannt, ihr Gang geschmeidig. Sommaruga kniet zu ihrem Gemüsebeet nieder, nimmt ein Küchenmesser in die Hand und schneidet mit raschen und präzisen Handbewegungen Kresse für einen Salat. Unschwer zu erkennen, dass sie früher Konzert-Pianistin war. Einen Moment lang ist sie in ihre Aufgabe versunken, dann hält sie inne, hebt den Kopf und sagt: «Soll ich fürs Foto vielleicht doch eher die Gummistiefel anziehen?» Und beantwortet die Frage gleich selber: «Nein, das wäre nicht echt. Im meinem Garten bin ich eigentlich fast immer barfuss.» Sagts und wendet sich wieder ihrer Kresse zu.

Seit 15 Jahren wohnt Simonetta Sommaruga mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Lukas Hartmann, in Spiegel bei Bern. Ein mehrere Hundert Quadratmeter grosser Garten umgibt das Zweifamilien-Haus. Eine idyllische Oase, auf drei Terrassen angelegt, ihr kleines Paradies. Und der Hauptgrund, wieso sie das Grundstück überhaupt kauften. «Das Haus ist nämlich nichts Besonderes.» Gerade mal zehn Minuten sind es von hier zum Büro der Justizministerin im Bundeshaus. Doch der hektische und laute Politalltag ist meilenweit weg. In Sommarugas Garten geben die summenden Bienen den Ton an, die an den Blüten der Robinie den Nektar sammeln. Lebensraum, Nahrungs- und Kraftquelle zugleich sei dieser Ort für sie, sagt Sommaruga. Leider fehle ihr inzwischen oft die Zeit, um die aufwendige Gartenarbeit zu erledigen. «Dennoch, um auf andere Gedanken zu kommen, reichen mir eine Viertelstunde am Abend oder zwei Stunden am Wochenende.» Den Hauptteil der Arbeit übernehmen deshalb ihr Mann und eine Gärtnerin.

Seit eineinhalb Jahren ist Simonetta Sommaruga Bundesrätin. Als jüngstes Regierungsmitglied musste sie damals bei der Departementsverteilung hinten anstehen und landete - nicht ganz freiwillig, wie es hiess - im Justiz- und Polizeidepartement. Die Frage, ob das tatsächlich so abgelaufen ist, umgeht sie geflissentlich, spricht lieber über die entstandene Leidenschaft fürs Amt. «Ich habe in der Materie schneller Fuss gefasst, als ich dachte. Mehr noch, mein Herz schlägt für die Aufgabe.»

Menschen in entscheidenden Lebenssituationen seien von den Gesetzen betroffen, die in ihrem Departement ausgearbeitet werden. «Wer kommt ins Gefängnis, wer wird ausgeschafft, was passiert mit den Kindern nach einer Scheidung, wie regeln wir die Suizidhilfe? Das sind sehr bedeutsame Fragen im Leben und die Diskussionen darüber entsprechend emotional.»

Zur ersten Ebene des Gartens führt eine ziemlich wacklige Steintreppe. Sie und ihr Mann haben sie selber angelegt, ebenso wie ein paar kleine Mauern. «Aber wie Sie sehen, hatten wir wenig Anspruch auf Perfektion.» Sommaruga bleibt auf der Treppe stehen und zeigt auf die Rosen und den Mohn, die ohne ihr Zutun hier wachsen - «daran habe ich eine wahnsinnige Freude». Und die blauen Blumen dazwischen, ist das Eisenhut? «Nein, Akeleien. Eisenhut blüht erst im August.» Und was machen all die trockenen Tannenzweige auf der Erde? «Eine kleine Abwehrmassnahme, damit meine Beete nicht zum Klo für die Nachbarskatzen werden.»

Als organisiertes Chaos bezeichnet Sommaruga ihren Garten. Eine hübsche Untertreibung. Denn das Ganze ist eher eine gelungene gärtnerische Gesamtkomposition, die bloss ein wenig planlos aussehen soll. Sie hat etliche Selbstversuche unternommen und weiss genau, welche Pflanzen, Früchte und Gemüse einander abstossen oder fördern. Ihr Früchtesortiment übertrifft fast die Auslage eines Grossverteilers: Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen, Weichseln, Cassis, Quitten sowie mehrere Beerensorten wachsen im magistralen Garten.

Den Anspruch, einen Sachverhalt in seiner Gesamtheit akribisch zu erfassen, hat Simonetta Sommaruga auch in ihrer politischen Arbeit. Wenn immer möglich fallen Entscheidungen nicht nur im Büro. Sie sucht vorher den Kontakt zu jenen Menschen, die von «ihren» Gesetzen betroffen sind: Im Frauengefängnis spricht sie unter vier Augen mit einer Mörderin, in Asylheimen mit Verantwortlichen ebenso wie mit Bewohnern. Kürzlich besuchte Sommaruga eine Palliativ-Station, führte ein langes Gespräch mit einem unheilbar kranken Mann. «Ich möchte und muss solche schwierigen Situationen an mich heranlassen, auch wenn es mir manchmal sehr an die Nieren geht. Denn spätestens wenn wir über Gesetzes-Formulierungen brüten, habe ich die Gesichter und Geschichten dieser Menschen wieder vor Augen.»

Kurze Pause auf der zweiten Ebene. Zeit, die Beine hochzulagern. Ziellos blättert Simonetta Sommaruga im «Bund», hängen bleibt sie - wer hätte das gedacht! - bei einem Bericht über den Boxsport. Lange betrachtet sie das Bild zweier muskulöser Kämpfer, die aufeinander einschlagen. «Boxen übt eine gewisse Faszination auf mich aus. Die Disziplin, die es braucht, um die Technik zu lernen und dabei die Schläge auszuhalten, das finde ich schon erstaunlich.»

Sommaruga selber steht derzeit im verbalen Nahkampf mit den Befürwortern der Initiative «Staatsverträge vors Volk», über die am 17. Juni abgestimmt wird. Auch dafür verliess sie das Büro und besuchte eine Landsgemeinde im Appenzell. Das Mitspracherecht der Schweizer Bevölkerung sei weltweit einzigartig, sagt sie, nimmt die Füsse vom Stuhl, lehnt sich nach vorne.

Das Garten-Feeling ist weg, nun spricht die Justizministerin: «Wir haben ein sehr ausgeklügeltes System der Machtteilung zwischen Bundesrat, Parlament und Volksentscheiden. Aber diese Initiative würde unser System umkehren und zu Zwangsabstimmungen führen, selbst bei völlig unbestrittenen Fragen. Die Initiative ist unklar formuliert, aber wir brauchen klare Regeln, sonst schaden wir unserer direkten Demokratie.»

Letzte Station, die dritte Ebene: Im Gewächshaus gedeihen die Tomaten, nebenan Kartoffeln, Auberginen und Rucola-Salat. Sommaruga zupft am Unkraut. Oft denke sie beim Jäten oder bei einem Spaziergang über berufliche Probleme nach und finde so Lösungen. «Und umgekehrt schaffe ich mir während der Arbeit kleine Zeitinseln - gehe in den Garten, spiele ein wenig Klavier oder mache einen Spaziergang auf dem Gurten.» Und ihre Dossiers studiere sie besonders gerne abends im Garten. «Ich muss Arbeit und Hobbys nicht strikt voneinander trennen. Das alles kann auch ineinanderfliessen.» Da ist sie wieder, die Gesamtkomposition.

Noch einmal geht es für einen Termin zurück ins Büro. Simonetta Sommaruga schlüpft flugs wieder in ihre Business-Uniform. Barfuss im Bundeshaus? Nein, das geht dann doch nicht.

Von Alejandro Velert am 9. Juni 2012 - 15:24 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 22:18 Uhr