Frech quasselte sich Gülsha Adilji zum Aushängeschild von Joiz. Den Jugendsender gibt es inzwischen nicht mehr. Nun schreibt die 31-jährige Ostschweizerin Kolumnen, steht mit ihrem Programm «D’Gülsha Adilji zeigt ihre Schnägg» auf der Bühne, und hat ab dem 23. August eine neue Sendung auf Teleclub Zoom. Zum Interview im Zürcher Volkshaus ist sie mit ihrem Rennrad gekommen, an einem Pfosten am Trottoir steht es angekettet, während Gülsha kerzengerade am Tisch sitzt.
GRUEN: Hat Ihr Velo einen Namen?
Ja, es heisst Gabi.
Wie ist es dazu gekommen?
Das passiert halt einfach so. Ich sah das Velo und dachte: «Ah, Gabi.» Ihr Vorgänger hiess Juri Jakob, ein Mountainbike mit dicken Pneus. Viel zu schwer für die Stadt – dann kam glücklicherweise Gabi um die Ecke. Sie bringt mich von A nach B und wird mich noch Kopf und Kragen kosten.
Wieso das?
Ich bin immer zu spät dran und fahre dann megaschnell, ich schneide die Kurven, und rote Ampeln sind für mich bloss eine Empfehlung.
Kurz, Sie sind der totale Horror für alle Autofahrer.
Und für alle Fussgänger und anderen Velofahrer dazu. Mein Albtraum sind dafür jene mit den gemieteten Züri-Velos. Die können nicht fahren und versperren nur den Weg.
Fahren Sie auch Auto?
Nein, ich habe leider nicht mal den Ausweis. Obwohl das eigentlich Allgemeinbildung wäre.
Wieso haben Sie es nie gelernt?
Immer wenn ich Geld hatte, arbeitete ich wahnsinnig viel und hatte keine Zeit dafür. Hatte ich Zeit, fehlte mir das Geld.
Anderes Thema: Erzählen Sie uns einen Veganer-Witz?
Können sich bitte mal alle Veganer melden? … Niemand? Ah, ihr seid einfach zu schwach, um eure Arme zu heben. Oder: Wie weiss man, ob jemand Veganer ist? Er sagt es dir.
Gut, ich bin erleichtert. Manchmal hat man das Gefühl, Veganer seien humorlose Menschen. Alles nur ein Vorurteil?
Ich kann nicht für alle sprechen, doch jene Veganer, die ich kenne, sind lustig. Aber es kann durchaus sein, dass einige spassbefreit wirken. Wenn man sich ernsthaft dem Veganismus verschreibt, dann wird es halt sehr schnell sehr ernst. Man ist überzeugt von seiner Haltung und kann nicht verstehen, dass andere nicht so leben wollen. Als Veganer muss man vieles in der Gesellschaft ausblenden, sonst wird das Leben schwierig. Das betrifft aber nicht nur die Ernährung.
Sondern?
Wenn eine Freundin mit einer Tüte voller Kleider von H&M kommt und diese mir stolz zeigt, muss ich das hinnehmen und schweige besser. In mir drinnen schreit es aber: «Wie kann sie bloss?»
«Es ist voll mühsam, vegan zu leben», haben Sie in einem Interview gesagt. Wieso tun Sie es trotzdem?
Ich kann gar nicht anders. Ich habe einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, und ich möchte nicht Teil eines grausamen Systems sein. Zudem lasse ich mich nicht für dumm verkaufen, wenn Firmen mir erklären wollen, Fleisch sei megafein, und Ärzte behaupten, ohne Fleisch könne man nicht gesund leben. Das stimmt einfach nicht.
Wie haben Sie sich mit dem komplizierten Part des Veganismus arrangiert?
Ich versuche, entspannt zu bleiben, wenn ich auswärts mit Freunden esse und bei der Wahl des Restaurants nicht mitentscheiden kann. Dann begnüge ich mich halt mit einem Salat. Aber es stimmt schon: Als Veganer reduziert sich die Auswahl an Essen auf Gemüse, Früchte, Hülsenfrüchte, Körner, Nudeln und Reis runter.
Würden Sie einen Fleisch-Esser daten?
Ja, auf jeden Fall. Das ist überhaupt kein Problem. Was aber nicht geht, ist, wenn mein Partner billiges, importiertes Fleisch kaufen würde – das gäbe Diskussionen.
Als Veganer muss man vieles in der Gesellschaft ausblenden, sonst wird das Leben schwierig.
Wie und wo kaufen Sie ein?
Dort, wo ich wohne, bei Migros oder Coop. Ich kaufe saisonal ein, verzichte weitgehend auf Dinge wie Avocados oder Äpfel aus Neuseeland und wähle Bio-Produkte, wenn möglich mit Demeter-Label – doch ich verdiene auch nicht unendlich viel. Wenn ich im Bio-Laden Kartoffeln für zehn fünfzig das Kilo sehe, macht mich das fast wahnsinnig. Ich verstehs zwar, aber trotzdem: Können Kartoffeln wirklich soooo viel kosten?
Verzichten Sie als Veganerin auch auf Kleider aus Leder und Wolle?
Ja, und ich kaufe auch sonst keine neuen Sachen mehr. Ausser Unterwäsche. Man braucht zum Leben gar nicht so viel. Ich habe vor einem halben Jahr unendlich viele Kleider weggegeben und meinen Schrank um zwei Drittel erleichtert. Und wissen Sie was? Es fehlt mir kein einziger Pulli. Im Gegenteil: Ich besitze immer noch viel zu viele.
Sie haben genug von unserer Konsumgesellschaft.
Ich habe einfach genug von der Verarschung, dass man seine innere Leere mit Konsumgütern füllen soll. Es wird alles versucht, damit wir Frauen uns schlecht und hässlich fühlen und glauben, dass wir für unser Glück dringend neue Kleider und Schminkzeugs benötigen. Das ist falsch und macht vieles kaputt. Es ist ja nicht so, dass man sich nicht schön anziehen soll, aber ich bin dafür, alles etwas entspannter zu sehen.
Wie reagiert eigentlich Ihr Umfeld auf Ihren Lebenswandel?
Die engsten Freunde wissen, dass ich mal Abende habe, an denen ich hässig bin und über unsere paradoxe Gesellschaft diskutieren will. Dann trinke ich zwei Prosecco und versuche zu vergessen, dass wir unsere Welt kaputt machen.
Sie gehören zur Generation Y, die lieber das Glück sucht, als viel Geld zu verdienen. Passt diese Beschreibung auf Sie zu?
In diesem Punkte ganz klar – ich möchte lieber sein statt malochen. Und ich schäme mich auch nicht dafür, dass ich wenig arbeite.
Als wie umweltbewusst würden Sie Ihren Haushalt beschreiben?
Ich bin immer noch daran, meinen Vorrat an herkömmlichen Putzmitteln aufzubrauchen – da bin ich echt schlecht. Und auf Weichspüler kann ich leider auch nicht verzichten.
Ich möchte lieber sein statt malochen. Und ich schäme mich auch nicht dafür, dass ich wenig arbeite.
Baden oder duschen?
Duschen, ganz klar. Baden finde ich total langweilig, und entspannen kann ich mich dabei auch nicht.
Bevor Sie bei Joiz anfingen, studierten Sie Biotechnologie mit dem Ziel, «in einem Chemielabor etwas zu entwickeln, um Pflanzen zu retten …»
Habe ich das mal gesagt? (Lacht.) Das war wohl nicht so ernst gemeint! Ich konnte mir damals eher vorstellen, mal zu dozieren.
Haben Sie zu Hause Pflanzen?
Ja, zwei Peperoncini-Pflanzen. Eine Sorte, die mein Vater gezüchtet hat. Die behüte ich wie meinen Augapfel.
Ich war ein typisches Balkan-Kind. Meine Eltern hatten kein Verständnis und kein Geld für Sachen wie Bio-Fleisch.
Ihr Vater ist Hobbygärnter?
Ja und ein sehr ambitionierter dazu. Er hat einen Schrebergarten.
Gab es diesen schon, als Sie noch zu Hause wohnten?
Damals hatten wir den Garten gleich bei unserem Haus. Mein Vater pflanzte Gurken, Kürbisse, Zwiebeln und anderes auf kleinstem Raum. Jedes Jahr baute er das Tomatenhaus neu – und ich musste ihm dabei helfen. Der schlimmste Job ever! Holz halten, Plastikplane bringen, Schnur holen … Wirklich uncool.
Ihr Vater hatte einen Garten, waren Sie ein Öko-Kind?
Nein, gar nicht. Ich war ein typisches Balkan-Kind. Wir waren drei Mädchen, nicht «super rich», eher untere Mittelschicht. Meine Eltern hatten kein Verständnis und kein Geld für Sachen wie Bio-Fleisch.
Plaudern ist Ihr Job. Wie gut sind Sie darin, andere Leute von einem nachhaltigen Lebensstil zu überzeugen?
Megaschlecht. Und es funktioniert auch nicht. Denn solche Veränderungen sind ein Prozess, der jeder selber durchmachen muss.
- Styling: Martina Russi / Hair & Make-up: Lilith Amrad
Das Interview erschien in «SI Gruen» Nr. 3 vom 4. August 2017.