Snowboard-Olympiasieger Iouri Podladtchikov, 28, arbeitet seit vielen Jahren mit dem in London lebenden Bündner Fotografen Gian Paul Lozza zusammen. Jüngstes Projekt der beiden ist ein spektakuläres Action-Nacktshooting im Studio. «Schweizer Illustrierte Sport» konnte die Bilder exklusiv einkaufen und sich mit Podladtchikov, der selbst oft hinter der Kamera arbeitet und seine Fotos auch schon ausgestellt hat, darüber unterhalten.
«Schweizer Illustrierte Sport»: Iouri Podladtchikov, wie gefallen Ihnen die Bilder?
Iouri Podladtchikov: Nicht alle gleich gut. Aber die, die mir gefallen, finde ich richtig gut. Als ich die ersten Abzüge bekam und sie meinem engsten Freundeskreis zeigte, kam das Feedback, die Fotos seien irgendwie michelangelesk. Wenn man das hört und selber kunstinteressiert ist, dann schmeichelt einem das natürlich.
War das Nacktsein beim Shoot überhaupt ein Thema für Sie?
Lozzas Bildersprache ist eine Sprache, bei der ich überhaupt keine Probleme damit hatte. Bei anderen Fotografen mit einer anderen Bildsprache hätte ich mir eine Zusage länger überlegt, obwohl ich eigentlich experimentierfreudig bin. Generell tun mir Leute eher leid, die sich nicht zeigen wollen, sich verklemmt geben. Ich bin Purist. Reine Formen interessieren mich.
Man sieht auf den Bildern auch Ihre Narben.
Narben sind extrem intim. Meine Narben, mein nackter Körper, das ist mein Leben. Von mir aus hätte man auch den Pickel auf meinem Hintern nicht retuschieren müssen.
Sie sind nicht eitel?
Damit ich mich vor der Kamera wohl fühle, muss ich dem entsprechen, was mir selber Wohlbefinden vermittelt. Das heisst: Ich bin eitel, ja. Gut, dass ich bis zum Shoot zwei, drei Wochen Zeit hatte, um mich darauf einzustellen.
Was ist schwieriger: Jemanden nackt zu fotografieren oder nackt fotografiert zu werden?
Jemanden nackt zu fotografieren, ist viel schwieriger. Viel, viel schwieriger.
Warum?
Ich bewundere die Aktfotografie sehr. Aber ich bin noch nicht da, wo ich zu 100 Prozent darstellen kann, was ich darstellen möchte. Ich mag musische Bilder. Mir gefällt eine Frau, die sich selber gefällt. Das funktioniert aber nur, wenn sie sich wohl fühlt vor der Kamera.
Wie erreichen Sie das? Ich meine, wie viel Spielerei zwischen Fotograf und Model gehört da dazu?
In letzter Zeit studiere ich auch ein wenig Anatomie. Ich überlege, was was ist und wo es hingehört, wie die Muskeln spielen und all diese Dinge. Ich will eine Frau so darstellen, dass sie sich auf dem Bild auf eine Weise gefällt, wie sie sich sonst nicht gefällt. Eine gewisse Spielerei zwischen Fotograf und Model sollte deshalb immer da sein.
Wie wichtig ist es Ihnen, als Fotograf anerkannt zu sein?
Ich bin mir absolut bewusst, dass ich in der Fotografie noch nirgends bin. Ich weiss, dass ich noch in den Windeln stecke. Ich gebe mir einfach Mühe, so rasch wie möglich aus diesen Windeln hinauszuwachsen. Glücklicherweise geht es etwas vorwärts. Ich nutze alle Möglichkeiten, die ich dazu bekomme.
Wenn Sie sich etwas in den Kopf setzen, dann ziehen Sie es durch, richtig?
Was viele nicht wissen: Die Gestaltung ist schon lange eines meiner Themen für mich. Mein Zeichnungslehrer sagte mir damals als Einziger, ich mache einen Fehler, wenn ich an die Sportschule gehe. Er hat das nicht verstanden, fand es die dümmste Entscheidung. Aber ich habe mich für den Sport entschieden und konnte dem Gestalterischen lange nicht die Aufmerksamkeit und die Zeit schenken, die ich mir gewünscht hätte. Ich bin allgemein gern dort, wo das Spektakel ist. Ob Kino, Film, Theater, Museum, Konzert egal. Ich fühle mich an diesen Orten immer sehr bereichert. Ein Mensch muss essen, braucht ein Dach über dem Kopf, und dann will er sehr bald unterhalten werden. In diesem Bereich lebe, arbeite und bewege ich mich schon mein Leben lang.
Sehen Sie sich als Entertainer?
Dadurch, dass ich mich selber sehr unterhalte bei dem, was ich tue, hoffe ich, dass es auch unterhaltsam wird für andere.
Im Gegensatz zum Snowboarden, wo Sie vorn stehen, im Rampenlicht, stehen Sie als Fotograf im Hintergrund, hinter der Linse.
Ähnlich wie bei der Frage, ob es schwieriger ist, sich nackt fotografieren zu lassen oder jemanden nackt zu fotografieren, glaube ich, dass es einiges schwieriger ist, Regisseur zu sein als Schauspieler. Genauso ist es mit der Sache vor oder hinter der Kamera. Hinter der Kamera zu stehen ist auf jeden Fall etwas total anderes, eine andere Herausforderung. Ich empfinde es eindeutig als anstrengender, zumindest im psychischen Sinn. Physisch ist es natürlich eher umgekehrt. Letztendlich zählt aber nur das Resultat – im Sport wie in der Fotografie.
So wie beim Skaten? Oder ist es nur ein Scherz, dass Sie an den Olympischen Spielen in Tokio antreten wollen?
Es ist mir absolut ernst.
Ihre Chancen, sich zu qualifizieren?
Es sollte definitiv gut möglich sein.
No Big Deal?
Ich stand in den vergangenen Jahren mehr auf dem Skateboard und habe ein paar gute Fortschritte gemacht, finde ich. Fast das Wichtigste ist aber sowieso, daran zu glauben. Der Rest kommt dann meistens schnell von selbst.
Was ist Ihr Geheimnis?
Ein Geheimnis ist doch etwas, das man nicht preisgibt, oder (lacht)? Grundsätzlich bin ich überhaupt nicht geheimnisvoll. Ich bin sturköpfig, lebensdurstig, laut, kein Musterschüler, und ich gebe nicht auf. Letzteres habe ich meinem russischen Blut zu verdanken.
Haben die Fotografie und die Kunst Ihr Snowboarden beeinflusst?
Eine sehr schöne Frage. Ich glaube, ich wollte schon mein Leben lang, dass mir mein eigenes Snowboarden gefällt. Ich sehe mir so viele Videos an und merke, dass ich erst seit ungefähr einem Jahr wirklich zufrieden damit bin, wie mein Snowboarden stilistisch aussieht. Es geht nicht immer darum, den noch härteren Trick zu zeigen, sondern um die Körperspannung, das Filigrane, die Ästhetik. Mein Silberlauf an den europäischen X-Games in Oslo (Feb. 2016, Anm.) war mit Abstand das schönste Snowboarden, das ich je gezeigt habe.
Wie ist das Gefühl, wenn einfach alles stimmt?
Es braucht so dermassen viel, etwas richtig zu machen. Wirklich richtig viel. Solange ich noch die Kraft habe, arbeite ich daran. Es ist nicht wichtig, welchen Trick an welchem Tag du zeigst. Es geht nur darum, dass alles stimmt. Ich denke, wenn dir der perfekte Lauf gelingt, fühlst du dich unglaublich stark. Du fühlst dich, als wäre alles möglich, wirklich alles.
Ist das der Grund, weshalb Sie Ihren Olympia-Titel verteidigen möchten? Auch weil es wichtig ist, dass die Menschen dabei sind und zusehen, wenn Ihnen der perfekte Lauf gelingt?
Mir ist extrem wichtig, dass die Leute meinen perfekten Lauf sehen. Genauso wichtig, wie es dem Fotografen ist, seine Bilder im Magazin zu zeigen. Nur der perfekte Lauf und ich? Nein, das gibt es für mich nicht.
Dieser Artikel stammt aus dem «SI Sport» Nr. 6 vom 28. Oktober 2016.