Snowboard-Olympiasieger und Freestyle-Weltmeister Iouri Podladtchikov, 26, muss nicht immer hoch hinaus, um das Glück zu finden. Der Goldjunge mit russischen Wurzeln und Schweizer Pass ist dabei, als Fotograf durchzustarten, um sich für die Zukunft ein zweites Standbein aufzubauen. Soeben kam er aus London zurück. Für das Trend-Magazin «Dash» shootete er ein Mode-Editorial. Vor zwei Jahren stellte der Leica-Botschafter seine Werke in Zürich aus (Reise-Impressionen, Alltagsmomente, Fotografien von Frauen). Für das Magazin «Friday» fotografierte er das «Victoria's Secret»-Model Aurélie Claudel. Und diese Woche ist er an der grössten Schweizer Schau für Fotografie, der Photo 15 in Zürich, vertreten. Podladtchikov präsentiert fünf Werke (Reportage, Editorial, freie Arbeiten). Darunter einen Schwarz-Weiss-Akt einer Frau, die sich mit Pinsel und Farbe die Brust bemalt. «Vulnerable Power» lautet der Arbeitstitel des Bildes aus einer unveröffentlichten Serie, die die Gegensätzlichkeit von Verletzlichkeit und Macht, Sexiness und Stärke zum Thema hat. «Ihr Gesicht zu zeigen, wäre zu persönlich», sagt Iouri Podladtchikov, der eigene Aufnahmen auf seinem Blog «Love me or leave me to die» veröffentlicht.
«Schweizer Illustrierte»: Herr Podladtchikov, was reizt Sie am Medium Fotografie?
Iouri Podladtchikov: Die Fotografie nimmt mir den Druck vom Sport weg. Es kommt schon mal vor, dass ich keine Zeit zum Trainieren finde, weil ich eine Idee für eine neue Fotoserie habe. Und wenn ich etwas im Kopf habe, muss ich gleich los und alles organisieren, was ich brauche. Mein Leben ist nach dem Sport ja nicht zu Ende, und ich werde auf demselben Niveau weitermachen.
Was war der Auslöser, dass Sie selber auf den Auslöser drücken?
Auf meinem ersten Transatlantikflug nach Kanada, ich war siebzehn, kaufte ich mir von meinem ersten Geld eine Kamera. Wieder zu Hause, war ich von meinen Bildern mehr als enttäuscht. Das war der Moment, als ich mich zum ersten Mal ernsthaft mit der Fotografie und der ganzen Technik auseinandersetzte. Nur einmal besuchte ich einen Leica-Kurs, ansonsten brachte ich mir alles selber bei.
Haben Sie Ihren Stil gefunden?
Dafür brauche ich noch Zeit. Ich kenne meine Handschrift, bin aber noch lange nicht dort, wo ich hinwill. Eines weiss ich: Ich stürze mich immer auf die schwierigsten Aufgaben (lacht). Talent ist das eine, aber wenn der Wille fehlt, etwas wirklich zu wollen, nützt dir auch Talent nichts.
Welche Kameras benutzen Sie?
Linhof, Mamiya, Contax und mehrere analoge und digitale Leica-Syteme. Ich besitze auch eine NPC 195, die megatolle Polaroid-Bilder macht.
Sind Sie ein Fan von Photoshop?
Im Gegenteil. Doch bei Modeshootings ist die Postproduktion nicht mehr in meiner Hand. Das Einzige, was ich beherrsche, sind Hautunreinheiten wie Pickel wegzumachen.
Welche Situationen sind wertvoll?
Ich will in der Modewelt Fuss fassen - und irgendwann das «Vogue»-Cover mit Kate Moss schiessen. Meine Vorbilder sind Mario Sorrenti - seine Lichtführung fasziniert mich - und Boo George; er ist meine grösste Inspiration. Seine neue Armani-Kampagne finde ich wunderschön. Aber auch freie Arbeiten, wie ein Kind, das verträumt dasitzt und etwas anschaut, sind Momente, die mich reizen. Ich will Aufnahmen erschaffen, die ewig halten sollen. Für die Fotografie gebe ich meine Seele, darum bin ich nach jedem Shooting auch immer völlig «geschlaucht».
Wie schaffen Sie es, die schönsten Frauen vor die Linse zu bekommen?
Weil ich sie für «das Wesentliche» halte. Frauen und meine Liebe zu ihnen ist das Thema, das mich am meisten inspiriert, aber auch zum Zweifeln bringt.
Stört Sie Ihr Image als Frauenheld?
Es macht mich traurig, wie respektlos mit diesem Thema umgegangen wird. Sobald ich über den roten Teppich laufe, werde ich mit Frauen fotografiert. Jeder, der mich kennt, weiss, dass ich lieber mit Fotografien von schönen Frauen angebe statt mit schönen Frauen im Arm.
Ich bin ein Kämpfer. Ein Träumer. Und der Erste, der sich für einen guten Zweck nackt fotografieren lässt
Wie sehen Sie sich selber?
Ich bin ein Kämpfer. Ein Träumer. Der freizügigste Mensch und der Erste, der sich für einen guten Zweck sogar nackt fotografieren lässt. Ich kämpfe auf kompromisslose Art für meine Anliegen und gehe dafür auch an Grenzen oder darüber hinaus. Diese Radikalität lebe ich nicht nur im Sport aus, sondern auch in der Fotografie. Fast Food in Bildern bricht mir das Herz.
Iouri Podladtchikov empfindet es als Bereicherung, nicht nur die Menschen in ihrer Schönheit, sondern auch Momente in ihrer Einzigartigkeit festzuhalten. Der Blick durch die Linse unterstreiche seinen Anspruch, dem Wahrhaften auf die Spur zu kommen - um sich dabei selber besser zu begreifen. Bei allem Spass verliert er aber das Wesentliche nicht aus den Augen: den Sport. An den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 schnappte er sich die Goldmedaille - und verwies die «fliegende Tomate» Shaun White auf den vierten Rang, dank dem Yolo-Flip, einem hochkomplexen Trick. Yolo steht für «You only live once» - «du lebst nur einmal». Hartnäckig verfolgt der Sohn eines Professors für Geophysik und einer Mathematikerin seine Ziele. Im Januar will er nach einer Verletzungspause (Operation am Sprunggelenk) an der WM in Kreischberg, Österreich, starten.
Als Sportler werden Sie auf Schritt und Tritt fotografiert. Jetzt haben Sie die Seite gewechselt. Wie fühlt es sich an?
Fotografie ist brutal. Sie kann eine Megapower entwickeln und Menschen vernichten, aber auch das Schönste in ihnen hervorholen. Leider muss ich sagen, dass ich viele Fotografen, die mich auf meinem Weg als Sportler begleitet haben, nicht leiden kann. Ich finde ihre Arbeit einfach nur schlecht. Umso mehr spornt es mich an, all jenen den Job wegzunehmen, denen die Ethik und Leidenschaft für die Fotografie abhandengekommen ist.
Vorbei die Zeiten, in denen Sie nackt an der Tankstelle fotografiert wurden oder an Partys über die Stränge schlugen?
Klar übertreibe ich manchmal, wirtschaftlich gesehen kriege ich deswegen ja auch ab und zu eins «auf den Grind». Trotzdem will ich Spass haben, mich nicht verstellen. Kürzlich wurde mir und meiner Clique schmerzlich bewusst, dass wir früher viel froher, lustiger, unbefangener waren. Durch den Erfolg ist mir auch ein Stück Freiheit genommen worden.
Kämpfen Sie mit Neid?
Seit ich elf bin. Will man sich seine Sensibilität bewahren, braucht es einen Panzer.
Sie leben in Zürich. Warum nicht in New York, London oder Paris?
In Paris kann ich träumen, die Stadt ist eine einzige grosse Fantasie. Ich liebe den Pariser Chic, das Savoir-vivre der Franzosen. Dort sieht eine Zahnpasta-Werbung am Flughafen so stilvoll aus wie eine Hermès-Werbung in der Schweiz.
Bis vor Kurzem hatten Sie noch schulterlange Haare, in denen «frau» liebend gerne «herumgewuselt» hätte.
Es «wuseln» immer noch alle auf meinem Kopf herum, nur fühlt es sich jetzt anders an.
Was war der Grund für die radikale Entscheidung?
Der Auftritt von Natalie Portman, die im Film «Hotel Chevalier» die Haare plötzlich kurz trägt.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
In einem Haus mit Studio und Atelier in Paris - und zwei Kindern (lacht).
Gibt es die passende Herzdame schon?
Ich bin Single. Meine letzte Beziehung ging vor dreieinhalb Jahren in die Brüche. Seither hat sich meine Medienpräsenz verzweihundertfacht. Eine Frau wünscht sich bei einem Mann Sicherheit und Schutz. Diese Energie kann ich momentan einfach nicht aufbringen.
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PHOTO 15 - DIE HIGHLIGHTS:
Vom 9. bis 13. Januar (11 bis 20 Uhr) zeigen 125 nationale und internationale Fotografen in den Industriehallen auf dem Maag Areal in Zürich ihre Arbeiten. Am Photoforum finden Vorträge und Podiumsdiskussionen mit den Weltstars der Fotoszene statt, wie Thomas Höpker (Muhammad Ali & Co.) oder dem Kriegsfotografen und Reporter James Nachtwey. www.photo-schweiz.ch