Iouri Podladtchikov, es ist eine Herausforderung, mit Ihnen einen Termin zu finden. Machen Sies uns absichtlich schwer?
Was die Leute vergessen: Das Training hört nie auf. Und seit meinem Olympiasieg habe ich viel mehr Verpflichtungen als früher, das schränkt mich ein. Die Freiheit ist für mich das Wichtigste, die möchte ich mir bewahren, sonst funktioniere ich nicht. Das alles macht es mir schwer möglich, mich an einen fixen Zeitplan zu halten.
Sie stehen mit Journalisten also nicht auf Kriegsfuss?
Wenn man sich ehrlich für mich interessiert, bin ich geduldig und gern bereit, Auskunft zu geben. Wenn Journalisten aber unvorbereitet sind oder sich selber in den Vordergrund stellen, kann ich das nicht ausstehen. Oft habe ich auch das Gefühl, sie kommen schon mit Vorurteilen und schreiben sowieso, was sie wollen.
Ist es Ihnen denn überhaupt wichtig, was die Öffentlichkeit über Sie denkt?
Jeder, der etwas anderes sagt, lügt. Jeder Mensch strebt nach Anerkennung, so auch ich. Und was die Leute von mir denken, beeinflusst auch meinen Alltag: Wenn ich auf der Toilette eines Restaurants blöd angemacht werde wegen etwas, das ich gesagt haben soll, dann kann das schon nerven.
Dann stimmt das Bild nicht, das die Öffentlichkeit über Sie hat?
Es darf sich jeder seine eigene Meinung bilden. Ich hoffe aber, dass die intelligenten Leute aus jedem Text rauslesen können, wie ich wirklich bin.
Es kann sein, dass ich im Luxushotel auf den Bahamas an nichts anderes denke als an einen neuen Trick
Wie sind Sie denn wirklich?
Ich bin Profi-Snowboarder und nehme meinen Beruf sehr ernst. Ich bin sehr ehrlich und loyal. Aber auch sehr launisch, ein Gefühlsmensch. Es kann zum Beispiel sein, dass ich auf den Bahamas am Strand im schönsten Luxushotel liege und an nichts anderes denken kann als an einen neuen Trick. Oder vergangene Woche, da hatte ich plötzlich die Idee, dass ich gern Hemden nähen möchte. Dann verbrachte ich zwei ganze Tage im Atelier meiner Kollegin, die Mode design studiert hat. Ich bin einer, der immer «umesecklet», ich muss immer etwas tun.
Also kein Kalkül, das hinter Ihrem Image steckt?
Nein. Da müsste ich schon ein sehr guter Schauspieler sein. Es wäre mir viel zu anstrengend, eine Fassade aufrechtzuerhalten. Ich bin immer so, wie ich bin. Ich will, dass die Leute mich mögen und nicht mein aufgesetztes Image.
Sie zeigen gern, was Sie haben: Porsche, teure Uhren, Aufenthalte in Luxushotels, eine Wohnung am Zürcher Bellevue. Sind Ihnen Statussymbole wichtig?
Mit 20 war es schon cool, sagen zu können, ich fahre einen Porsche. Mittlerweile geht es mir aber nicht mehr darum, wie viel etwas kostet, sondern rein um die Ästhetik. Und schöne Sachen sind nun mal oft teuer. Meinen Porsche habe ich übrigens verkauft, weil ich Geld brauchte. Das wissen viele nicht: Vor Olympia war mein Kontostand auf null.
Können Sie nicht mit Geld umgehen?
Doch, alle meine Ausgaben waren gut überlegt. Da bespreche ich mich auch, wie bei allem, mit meinem Vater. Aber je mehr Geld man hat, desto grösser werden die Bedürfnisse. Und ich habe viel Geld für meinen Olympiatraum ausgegeben: die Skatehalle, Trainings und Reisen ins Ausland. Ich wollte mir später nicht vorwerfen müssen, nicht alles für den Sieg getan zu haben.
Ich bin, wie ich bin. Ich will, dass die Leute mich mögen und nicht mein aufgesetztes Image
Was hat sich in Ihrem Leben seit dem 11. Februar verändert?
Der Rummel wurde natürlich grösser. Ich werde öfter erkannt. Das kann anstrengend sein. Ich bin aber gelassener geworden seit dem Sieg. Ich wurde in letzter Zeit als ruhig bezeichnet. Die Vorstellung, auf andere ruhig zu wirken - die gefällt mir. Ich glaube, der Ursprung dieser Ruhe ist mein Olympiasieg.
Auf den Lorbeeren ausruhen, zurücklehnen, das Leben geniessen?
Nein, überhaupt nicht. Das mit der Gelassenheit ist nichts Physisches, mehr eine men- tale Sache. Ich trainiere nach wie vor hart. Und ich investiere viel Zeit in meine zweite Leidenschaft, die Fotografie. Ich bin einen Tag in der Woche an der Uni und studiere Kunstgeschichte.
Werden Sie im Hörsaal erkannt?
Nein, da bin ich vollkommen anonym, das geniesse ich. Einmal hat ein Mitstudent gesagt: «Hm, kann es sein, dass ich dich schon mal gesehen habe?» Das war echt witzig.
Warum Kunstgeschichte?
Ich will nicht einfach ein Snowboarder sein, der jetzt ein bisschen fotografiert. Ich will mir mit dem Studium und dem Wissen eine Glaubwürdigkeit aufbauen. Wenn ich etwas mache, dann richtig. Im Studium bin ich der Ultrastreber.
Was fasziniert Sie an der Fotografie?
Es geht immer um eine Verbindung zwischen dem Fotografen und dem Menschen oder dem Objekt, das fotografiert wird. Und das Bild erzählt dann die Geschichte. Es ist etwas sehr Intimes. Ich habe mich immer unwohl gefühlt, als ich selber fotografiert wurde. Ich möchte, dass sich die Leute, die ich fotografiere, wohlfühlen.
Schaffen Sie das?
Ich erhalte viele positive Rückmeldungen. Darum habe ich überhaupt mit dem Fotografieren begonnen: Weil viele Freunde und Bekannte meine Bilder von sich mochten und mich aufforderten, sie öfter zu fotografieren, in Trainingslagern zum Beispiel.
Planen Sie damit schon die berufliche Zukunft nach dem Spitzensport?
Ja und nein. Ich hatte schon immer viele Interessen und könnte nie, wie andere Sportler, mich nur in einer Szene bewegen. Den ganzen Tag im Trainingsanzug rumzulaufen, das ist nichts für mich. Und ich kann mir auch eine Zukunft in der Fotografie vorstellen. Aber an erster Stelle liebe ich das Snowboarden. Die positiven Gefühle, die ich in der Pipe verspüre, werde ich wohl nie mehr woanders erleben.
Auch nicht in der Liebe? Aus Ihrem Umfeld hiess es, wenn Sie verliebt seien, würden Sie alles um sich herum vergessen, auch das Snowboarden …
Klar, ich liebe Frauen. Sie bereichern unsere Welt. Und wenn ich verliebt bin, tue ich alles für eine Frau. Aber das ist jetzt nicht der Fall, ich bin seit einigen Jahren Single.
Und dann erscheinen Sie gleich auch mal mit zwei Begleiterinnen an Events auf dem roten Teppich …
Im Gegensatz zum Image ist das Kalkül. Wenn ich allein hingehe, werde ich mit Fragen gelöchert. Wenn ich mit einer Kollegin als Begleitung komme, wird diese ausgefragt und gleich die grosse Liebesgeschichte daraus gemacht. Mit zwei Frauen verteilt sich die Aufmerksamkeit, und es ist wohl allen klar, dass keine davon meine Freundin sein kann.
Würde es eine Frau an Ihrer Seite überhaupt aushalten?
Einfach würde es sicher nicht, denn ich bin schnell gelangweilt. Und was überhaupt nicht geht, ist die Masche mit der Gleichgültig-keit: Wenn eine so tut, als wisse sie nicht, wer ich bin. Oder dass sie mein Olympiasieg nicht interessiert.
Sie sind Schweizer und Russe. Zollen Ihnen die Leute in Russland mehr Respekt?
Ja, da ist es ganz anders. Ich errege nur schon Aufsehen, weil hinter meinem russischen Namen die Schweizer Flagge steht.
Ist es mit der aggressiven Politik Putins im Moment schwierig, Russe zu sein?
Es ist schwierig für mich zu beurteilen, was politisch wirklich läuft. In Russland wird ganz anders darüber gesprochen als hier. Zudem habe ich in meinem Alltag nur wenig Berührungspunkte mit dem Thema.
Ich achte darauf, wie ich auf Ernährung reagiere. Gekochte Eier gleichen mich aus
Dann kommen wir zurück zu diesem Alltag: Welches sind Ihre Ziele in der kommenden Snowboard-Saison?
Ich habe Anfang des Jahres einen WM-Titel zu verteidigen. Und auch die prestigeträchtigen X-Games will ich gewinnen - ein Kindheitstraum, seit wir als Kids auf der Playstation das Videospiel der X-Games rauf und runter gespielt haben.
Von der Playstation in die reale Halfpipe - erklären Sie uns doch mal, welche Fähigkeiten Sie zum besten Athleten in Ihrer Disziplin machen?
Meine Selbsteinschätzung. Und im physischen Bereich mache ich jeweils schnell Fortschritte. Mein Personal Trainer sagt, ich wäre auch ein guter 800-Meter-Läufer. Und ich analysiere immer alles.
Zum Beispiel?
Ich achte genau darauf, was ich wann gemacht oder gegessen habe vor einem Training und wie ich darauf reagiere. Gekochte Eier zum Beispiel verändern meine Stimmung, gleichen mich aus.
Widmen Sie Ihrer Ernährung generell besondere Aufmerksamkeit?
Ja klar. Aber wenn gerade ein paar Monate kein wichtiger Wettkampf ansteht, haue ich auch mal ungesunden Fast Food rein.
Das sollte drinliegen. Es war ja zu lesen, dass Ihr grösster Rivale, Shaun White, zum Slopestyle wechselt. Dann können Sie sich sowieso zurücklehnen.
Das habe ich auch gelesen. Natürlich wäre es ohne ihn einfacher, aber es warten noch zahlreiche andere starke Athleten nur da-rauf, mich zu schlagen. Vielleicht ist Shaun an einem Punkt angekommen, an dem sein Körper nicht mehr mitmacht und er spürt, dass es anstrengender wird, sich nochmals zu verbessern.