Wenn man sie so im weissen Kittel vor dem Spital CHUV in Lausanne mit ihrem makellosen Lächeln sieht, könnte man meinen, sie sei einer Fernsehserie entsprungen: Die Waadtländerin Laetitia Guarino, 26, bricht definitiv jedes Klischee einer Schönheitskönigin. Die Miss Schweiz 2014 ist nun offiziell Ärztin. Am 26. September wurde ihr in Bern das Diplom vom Bundesamt für Gesundheit verliehen.
Die berühmte Frau Doktor
In der Notaufnahme in Lausanne, wo sie ein Praktikum absolvierte, erkennen sie die Patienten und wollen sogar Selfies machen. «Es ist immer gut gemeint. Ich antworte dann aber: Ich bin hier, um mich um die Patienten zu kümmern.» Von ihrem professionellen Alltag, an dem sie bis zu zwölf Stunden pro Tag arbeitet, trennt die Perfektionistin die glamouröse Seite ihres Lebens strikte.
Von den Medienberichten weiss man vieles von ihr. Die besonders Neugierigen sprechen sie sogar auf ihren Freund an, mit welchem sie zusammengezogen ist. «Auch wenn das nicht der Ort dafür ist, ist es süss und ich beruhige sie.» Zwischen ihr und Stefano ist es ernst. Seit sieben Jahren sind sie ein Paar. «Er hat mein erstes Studienjahr überlebt. Man hatte mir gesagt, dieses sei fatal für Paare», sagt sie und lacht. «Der Wettbewerbsgedanke in der Medizin war ein Schock. Wir waren 600 Studenten und nur 100 haben bestanden. Als ich Miss Schweiz wurde, hat man mir versichert, dass eine Trennung unvermeidlich wäre, sobald ich die Krone hätte.»
Guarino und ihr Stefano denken momentan weder ans Heiraten noch ans Kinderkriegen. Doch Guarino nennt ihren Freund «den perfekten Mann». «Er hat einen starken Charakter, auch wenn ich dazu neige, den Lead zu übernehmen.» Währenddem sie für ihre Prüfungen paukte, besuchte er Repetitionskurse. Ein guter Weg, Streitereien zuhause zu vermeiden.
Sich lange nicht getraut
Dr. med. Guarino erfuhr von ihrem Abschlusserfolg unter besonderen Umständen. Am Donnerstag, 4. Oktober, war sie an einer Veranstaltung des Tiffany-Juweliers in Genf. «Gegen 19 Uhr hörte mein Handy nicht auf zu vibrieren. Meine Kommilitoninnen hatten bestanden und wollten wissen, ob es bei mir auch geklappt hatte.» Aber Laetitia traute sich nicht zu schauen. «Ich sagte mir: Wenn ich durchgefallen bin, werde ich anfangen zu weinen. Das ist weder der Ort noch die Zeit dafür.»
Erst um Mitternacht, als sie wieder zuhause war, wagte sie es. «Wir sassen auf dem Sofa, Stefano, Whitney Toyloy [Miss Schweiz 2018 ] und ich. Also sind wir wieder raus, um zu feiern!»
Galerie: Unsere Missten seit 1977
Zweifelt etwa die begabte junge Frau an ihren Fähigkeiten? «Ich fordere viel und bin sehr hart zu mir selbst und zu anderen. Ich befürchte immer, es nicht gut genug hinzukriegen. Am Ende der Prüfungen fing ich an zu weinen, überzeugt, es nicht geschafft zu haben.» Auch ihre Mutter, Krankenpflegerin, hat ihre Tränen nicht zurückgehalten, als sie vom Erfolg ihrer Tochter erfahren hat. Ihr Vater, Direktor bei Media Markt, auch nicht. «Es war eine super Woche! Am nächsten Tag hat meine Schwester Ludivine ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Ein kleiner Romero.» Adrien, ihr jüngerer Bruder, widmet sich der Architektur.
Erholung in Marokko
Diese Tage kann Laetita etwas ausruhen. Letzte Woche hat sie Stefano nach Marokko mitgenommen. Eine Überraschungsreise: vier Tage in Marrakesch. «Am 23. Oktober habe ich meinen 26. Geburtstag gefeiert. Ich organisiere immer eine Verkleidungsparty, dieses Jahr war es das Thema Zirkus.»
Danach fliegt sie nach Südostasien, nach Laos. «Ein humanitäres Projekt für Kinder. Ich bin neu Botschafterin fürs Schweizerische Rote Kreuz.» Laetitia ist ein wandelnder Kontrast: Sie arbeitet, ist altruistisch, lacht und feiert. Nächsten Monat wird sich ihr Praktikumslohn von CHF 800.- fast verzehnfachen. Aber sie weiss, dass sie dafür auch hart arbeiten muss und sich in den nächsten Monaten und Jahren der beruflichen Leidenschaft hingeben wird, Menschen zu helfen. «Ich bin sehr ehrgeizig und eine Frühaufsteherin. Ich mag es, mich nützlich zu fühlen.»
Ich mag es, mich nützlich zu fühlen
Laetitia nahm an Operationen am offenen Herzen teil, als sie ein Praktikum am Inselspital in Bern absolvierte. Sie begleitete auch eine Delegation nach Marokko und Tunesien für die Cornelia-Stiftung, welche sich für die medizinischen Behandlungen und die Betreuung von herzkranken Kindern in der Schweiz und im Ausland einsetzt. «Die Mutter eines geretteten Kindes in Marokko hat mich nach der Operation umarmt. Das war so bewegend.»
Charmante Chirurgie
Zuerst wollte Guarino Kinderärztin werden, hat sich dann aber für die Chirurgie entschieden: «Das kann der Mensch am besten. Ich liebe das Adrenalin. Ich durfte bei einer Herztransplantation assistieren, das war faszinierend. Bis zum letzten Drücker habe ich gezögert, ob ich doch Tierärztin werden wollte. Aber das Mysterium des menschlichen Körpers und wie dieser funktioniert, hat mich in die Medizin getrieben. Nächsten Mai fange ich ein Praktikum in Allgemeiner Chirurgie an.» Operieren ja – aber was? «Es gibt so vieles: Viszeral-, Gefäss-, Herz- oder plastische Chirurgie. Ich habe geschickte Hände. Wir werden sehen.»
In der Notfallstation war sie schon schwierigen Situationen ausgeliefert. Um den Kopf leer zu kriegen, geht sie gerne joggen, mit Musik in den Ohren. «Ich liebe italienische Musik, den Sänger Fedez. Er ist mit der Bloggerin Chiara Ferragni verheiratet.»
Das Beste aus zwei Welten
Man vergisst fast, dass Laetita Guarino über 12'000 Follower auf den sozialen Medien hat und Influencerin ist. Auf Instagram können die Bilder täuschen: Unsere Miss Schweiz scheint dort von Liebe und frischem Wasser, zwischen Palästen in den Armen ihres Liebsten zu leben. «Nur weil ich Medizin studiert habe, soll das nicht heissen, dass ich nichts anderes tue. Je nach Anlass stelle ich mich als Miss Schweiz oder Ärztin vor.»
Nur weil ich Medizin studiert habe, soll das nicht heissen, dass ich nichts anderes tue
Der Wirbel um ihren Titel scheint vorüber zu sein. Die Presse warf ihr vor, Sprachen nicht zu beherrschen und zu viel zu feiern. «Ich spreche Italienisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Schweizerdeutsch», sagt sie amüsiert. Und fügt hinzu: «Ich liebe das Feiern, aber ich besuche auch viele Wohltätigkeitsveranstaltungen.» Sie war Botschafterin für Terre des hommes. «In Indien habe ich viele Menschen gesehen, die nichts besassen, aber so vieles gaben. Da habe ich gelernt, zu hinterfragen.»
Die junge Frau mag auch die Mode. «Ich bin eben von der Paris Fashion Week zurückgekommen. Das Dessous-Unternehmen Etam hat mich an seine Show eingeladen.» Genau wie sie haben es 80 Models und VIPs gemacht. «Ich habe mit Vincent Cassel gesprochen. Ich konnte seiner Frau Tina Kunakey sagen, wie umwerfend ich sie finde.»
Laetita hat doch noch einige Mandate mit Sponsoren behalten. Sie muss Entscheidungen treffen. «Mir ist bewusst, dass die Leute mich schon in Bademode gesehen haben und mein Privatleben kennen. Etwas, was man eigentlich von seinem Arzt nicht kennt. Deshalb werde ich nie nackt posieren. Ich mache nur das, wofür ich auch die Verantwortung übernehmen kann.»
Letzte Empfehlung: Jetzt müsste bald ihr Status auf Instagram und Wikipedia von «Medizinstudentin» zu «Ärztin» umgeschrieben werden.