Bald ist es so weit: Die Rüebliernte steht an. Lario Kramer nimmt das Karottenkraut in die Hand und rupft eine kleine Rübe aus. Dann streift er den Dreck an seiner Hose ab. «Schön sehen sie aus. Und sie sind genau richtig feucht. Das Wetter war zum Glück perfekt. Nun müssen sie noch einige Tage wachsen.» Der Gemüsegärtner arbeitet auf dem elterlichen Landwirtschaftsbetrieb in Galmiz FR mit Mutter Lina, Vater Peter sowie Bruder Dorian, ebenfalls Kranzschwinger.
Wie für die gute Gemüseernte brauchts auch für den sportlichen Erfolg Arbeit, Geduld und ein bisschen Glück. Im Sägemehl kann der 19-jährige Schwinger seinen grössten Erfolg Anfang Juni 2018 ernten: Am Stoos-Schwinget legt Lario Kramer mit Mike Müllestein und Alex Schuler gleich zwei Eidgenossen auf den Rücken und gewinnt sein erstes Kranzfest.
Der Youngster an der Spitze der Rangliste ist eine Sensation. Er überrascht nicht nur wegen seines ungewöhnlichen Namens, zu dem Mutter und Halb-Italienerin Lina auf der Fahrt durchs gleichnamige italienische Dörfchen inspiriert wurde. Der Sennenschwinger aus dem Schwingklub Kerzers hat davor erst elf Kränze gewonnen, keinen davon an einem Bergfest. Zudem war Lario bloss als Ersatz gemeldet und rückte erst kurzfristig für einen verletzten Kollegen nach.
Der erste Stoos-Sieg eines Südwestschweizers seit 31 Jahren und der grösste Erfolg für den Teilverband seit dem Rücktritt des legendären Hans-Peter Pellet 2010 ist umso erstaunlicher, als Kramers Saisonvorbereitung nicht optimal lief: Im Winter absolvierte er die RS als Lastwagenfahrer – und nahm zehn Kilo ab.
«Dabei war doch bloss ein Kranz ausgemacht»
Ein grosser Nachteil für den mit 87 Kilo für Schwingerverhältnisse sonst schon eher leichten Sportler. «Wenn ich daran zurückdenke, ist es wirklich verrückt. Ich bin immer noch verblüfft, dass ich das geschafft habe», sagt Kramer mit einem ungläubigen Schmunzeln. «Dabei war doch bloss ein Kranz ausgemacht», scherzt Mutter Lina. Sie und ihr Mann Peter konnten beim Triumph ihres Sohnes ausnahmsweise nicht live dabei sein. «Sonst sind wir immer vor Ort, doch wenn die Arbeit auf dem Hof ruft, dann ruft sie.»
Kramer hat vor elf Jahren mit Schwingen begonnen. Am Fest im Nachbardorf Ried ist die Familie Kramer zum Zuschauen vor Ort. «Eigentlich wollten wir nur eine Wurst essen, dann packte es uns alle», erzählt die Mutter. Das wäre doch was für unsere Buben, sagt sie zu ihrem Mann, selber ein begeisterter Hobby-Eishockeyspieler und Skifahrer. Die Frau des Trainers hört mit – und schon bald folgt das erste Training im Sägemehl. Zuerst ist es «nur chli sändele, und Mutter ist froh, dass wir unsere Energie loswerden konnten», erzählt Lario mit Schalk in den Augen.
Aus dem Buben im Sägemehl wurde ein Spitzensportler
Heute ist Schwingen für ihn Spitzensport. Nach der Arbeit auf dem Feld und in der neu entstehenden Geflügelhalle investiert er jede freie Minute in den Sport. «Wenn andere Party machen oder mal nichts tun, geht er trainieren. Sein Wille, der innere Siech – unglaublich, das bewundere ich», sagt Vater Peter.
Matthias Sempach ist beeindruckt von Kramers Disziplin
Einmal in der Woche trainiert Kramer zusätzlich mit dem Schwingklub Kirchberg BE. Da kann er sich unter anderem mit seinem Vorbild Matthias Sempach messen. Der Schwingerkönig sieht wie Vater Kramer die gute Arbeitsmoral als Larios grosse Stärke. «Er ist immer bereit, sehr diszipliniert, sucht nie nach Ausreden. Man spürt bei ihm die unglaubliche Leidenschaft fürs Schwingen.»
Bei der Arbeit zurückzustecken und als Sportprofi zu leben, wäre jedoch nichts für Kramer. Im Gegenteil. «Die Arbeit bietet mir einen guten Ausgleich. Ich finde es wichtig, auch da Ziele zu haben.» Im Herbst beginnt er eine berufsbegleitende Ausbildung zum Agrokaufmann.