Neugierig schaut Andribell, 3, Linda Fäh, 30, in den Mund. So weisse Zähne hat sie noch nie gesehen! «Sumak», sagt sie fast ehrfürchtig, das heisst schön auf Kichwa, ihre Muttersprache. «Du, sumak, du!», antwortet die Miss Schweiz 2009 und zeigt auf Andribell. Die Kleine lacht und entblösst dabei ihre eigenen Milchzähnchen, die übersät sind mit braunen Flecken. Schäden durch stark eisenhaltiges Trinkwasser. Alle Kinder im Dorf haben solche Zähne.
Andribell wächst in Aguas Blancas auf, einem 60-Personen-Dorf in den Tiefen des ecuadorianischen Amazonas. Hier leben indigene Gruppen wie die Kichwa oder die Waorani teils völlig abgelegen. Andribells Haus steht auf Pfählen am Fluss Putumayo. Es ist nur per Boot erreichbar.
Hierhin verirrt sich niemand per Zufall. Und Gäste sind selten. Lindas Besuch ist deswegen ein ganz besonderer Anlass fürs Dorf. Jäger haben eine wilde Kuh geschlachtet, deren Huf nun für den Gast auf dem Feuer brutzelt. Dazu gibts Chontacuro, geröstete Maden, eine seltene Delikatesse.
Besonders in diesem Teil des Landes, wo vier von zehn Menschen unter der Armutsgrenze leben. Diese liegt bei einem Einkommen von zwei Dollar pro Tag, davon kauft man sich gerade mal zwei Liter Milch oder vier Pfund Reis. «Hoffentlich hat niemand gemerkt, dass ich die Maden nicht probierte. Die Gastfreundschaft dieser Leute, die selber so wenig haben, hat mich berührt», sagt Linda.
«Ich konnte nichts tun»
Es ist Dankbarkeit, welche die Dorfbewohner den Besuchern ausdrücken. Linda Fäh ist nicht allein angereist, sie begleitet eine medizinische Brigade, die am Putumayo im Einsatz steht. Alle paar Wochen besuchen ein Arzt, eine Krankenschwester, eine Hebamme und ein Zahnarzt die abgelegenen Flussdörfer. Massgeblich unterstützt werden diese Brigaden durch das Schweizerische Rote Kreuz SRK, für das Fäh neu als Botschafterin im Einsatz steht.
Hier am Fluss läuft das Projekt erst seit ein paar Monaten. Dennoch hat es bereits Leben gerettet. Andribells kleine Schwester Yaritca, 1, war im Sommer schwer krank. «Sie hatte tagelang hohes Fieber», erzählt ihre Mutter Diana Mamallacta, 28. «Es ging ihr sehr schlecht, sie wäre fast gestorben, und ich konnte nichts tun!»
Die Kinder lernen richtig Zähneputzen
Die Bootsfahrt ins nächste Gesundheitszentrum nach Puerto El Carmen hätte 30 Dollar gekostet – ein Viertel des Jahreseinkommens der Bauernfamilie. «Zum Glück kam die Brigade und konnte mir die nötige Medizin für meine Tochter geben.» Jetzt verschläft die Kleine friedlich in ihrer Hängematte Lindas Besuch.
Nicht alle haben so viel Glück wie Yaritca. Die 28-jährige Martina Papa Achan hat nach einer Verletzung durch eine Machete ihren Arm verloren. «Man hätte ihn retten können, wäre sie sofort ins Spital gebracht worden», sagt der Arzt. Damals gab es jedoch noch keine medizinischen Brigaden. «Heute können wir dank Spenden sogar über eine Wasserambulanz am Putumayo nachdenken.»
Das SRK setzt im Amazonas weniger auf Sachspenden als vielmehr auf nachhaltige Massnahmen. Nicht nur Impfungen, Kontrollen und Zahnuntersuchungen gehören zum Routineprogramm der Brigaden, sondern auch Aufklärung. Lindaübernimmt die Aufgabe einer Zahnfee. Anhand eines Gebisses zeigt sie den Kindern, wie sie ihre Zähne richtig putzen. Auch Hygiene und Familienplanung wird vermittelt.
«Hilfe zur Selbsthilfe» lautet das Motto – und die Rechnung geht auf ! Ein paar Stunden Bootsund Busfahrt weiter südlich, in der Provinz Orellana, trifft Linda auf eine Kichwa-Gemeinschaft, die bereits seit 15 Jahren vom Projekt profitiert. «Durch Aufklärung konnte die Zahl der Teenagerschwangerschaften massiv verringert werden», erklärt Jairo Gualinga, 33, der Jugendführer der nationalen Indigen-Dachorganisation CONAIE. Ein enorm wichtiger Schritt in einem Land, in dem jedes fünfte Teenager-Mädchen schwanger wird, in dem Frauen öfter mal bis zu acht Kinder zur Welt bringen.
Insgesamt profitieren in Ecuador rund 10 000 Menschen direkt vom SRK-Projekt. Linda ist beeindruckt. «Im Vergleich zur Weltbevölkerung ist das so wenig! Und dennoch hat das SRK sie nicht vergessen – das finde ich schön!»