Jeans und weisse Gesundheitsschuhe - so schlendert Martin Bäumle Hand in Hand mit seiner Frau Yuliya durch das Erdbeerfeld in Wangen bei Dübendorf ZH. Der 50-Jährige wirkt entspannt an diesem warmen Samstagmorgen. Er pflückt seiner Partnerin, die er «Schatz» nennt, eine Erdbeere und steckt sie ihr in den Mund. «Die sind süss, du musst auch probieren», sagt die 34-Jährige. Ihr Mann müsse mehr Früchte und Gemüse essen «und das Essen nur noch mit einem Bitzeli Salz würzen».
Beim Kochen wägt Yuliya die Zutaten ab, der 50-Jährige trägt am Abend auf einer Liste im Computer ein, was er gegessen hat. Auf Fleisch und Alkohol verzichtet Genussmensch Bäumle nicht - statt fettigem Schweinskotelett gibts neuerdings mageres Rindsfilet, statt einem Feierabendbier maximal zwei Gläser Rotwein. «Meine Ökobilanz leidet», sagt der Umweltpolitiker. Dafür geht es mit seiner körperlichen Verfassung, die er nach Farben klassiert, bergauf. Elf Kilo hat er in drei Monaten abgenommen - die Zeichen stehen auf Grün.
Rückblende. Mitte März. Nationalrat Martin Bäumle, Präsident und Gründer der Grünliberalen, dreht im roten Bereich. Er hetzt von Sitzung zu Sitzung, das Sandwich isst er im Gehen, das Handy hat er selbst auf dem Velo per Kabel im Ohr. «Ich stand permanent unter Strom.» Das spürte auch seine Frau: «Er war immer unterwegs und schlief zu wenig.»
Dann, am Montag in der zweiten Woche der Frühlingssession, kam der «Knall», oder wie er es heute nennt: «Der Schuss vor den Bug.» Bäumle spürt beim Gehen einen Druck auf der Brust. «Ich dachte mir nichts dabei, weil die Schmerzen beim Sitzen wieder weg waren.» Am folgenden Morgen ist der Druck so stark, dass er zusammen mit Yuliya den Hausarzt aufsucht, dieser schickt ihn ins Spital. Erst dort erfahren die beiden: Es ist ernst. Bäumle muss sofort operiert werden. «Meine Herzgefässe waren wie eine verkalkte Röhre, bei der kaum mehr Wasser durchfliesst.» Die Ärzte implantieren ihm zwei Stents, die seine Gefässe stützen. Fünf Tage liegt Bäumle im Krankenbett. Seine Frau, die mitten in der Ausbildung zur Kosmetikerin steckt, besucht ihn, wann immer möglich. «Für sie war das Ganze wahrscheinlich die grössere Belastung als für mich.»
Heute ist Bäumle auf den ersten Blick - abgesehen vom Gewicht - wieder der Alte. Bei seinem Auftritt in der Politsendung «Arena» zur Energiepolitik zeigt er sich angriffig, als Stadtrat in Dübendorf setzt er knallhart den Sparkurs fort, und mit Green Cross möchte er zusammen mit seiner Frau im Herbst nach Fukushima reisen - wenn die Gesundheit mitspielt.
«Die Angst begleitet mich ständig», sagt Bäumle. Am Handgelenk trägt er meist eine Pulsuhr («um meine Stressfaktoren zu ermitteln»), in seinem Rucksack liegt ein Nitroglyzerin-Spray («es erweitert im Notfall die Gefässe»). «Ich muss mehr auf meinen Körper hören, ohne gleich zum Hypochonder zu werden.» Auf eines seiner Ämter zu verzichten, das war für ihn keine Option. «Ich bin ein politischer Mensch, und was mir Freude macht, ist auch nicht schlecht für die Gesundheit.» Viel entscheidender sei, wie er mit seinen eigenen Ressourcen umgehe. «Ich predige immer von Nachhaltigkeit, nun muss ich sie auch bei mir selbst anwenden.»
Deshalb streicht er nun Termine, gönnt sich vor dem «Arena»-Auftritt eine «Ruhephase» zu Hause im Garten seines Fünf-Zimmer-Häuschens in Dübendorf und fährt, «um den Kopf zu lüften», mit dem Elektrobike ins TV-Studio. Der Herzinfarkt hat, so hart es klinge, auch sein Gutes. «Ich weiss jetzt, dass auch ich endlich und ersetzbar bin.»
Politische Weggefährten spüren Bäumles Wandlung. «Er nimmt mehr Rücksicht auf sich selber», sagt SP-Politiker und FC-Nationalrat-Kickerkollege Eric Nussbaumer. SVP-Chef Toni Brunner stellt fest: «Es ist nicht mehr ganz so einfach, mit ihm ein Bier trinken zu gehen.» Brunner fragt sich allerdings, wie es sein Kommissionskollege schafft, intern Verantwortung abzugeben, zumal er noch grosse Projekte wie die Initiative Energie- statt Mehrwertsteuer stemmen müsse. «Das wird eine Herausforderung für ihn.»
Bäumle, der trotz seiner Abneigung gegen Medikamente täglich acht Tabletten schlucken muss, ist sich dessen bewusst. «Ich kann und muss Aufgaben delegieren.» Kraft dafür gibt ihm Yuliya. Die sportliche Ukrainerin motiviert ihren Mann zu mehr Bewegung: zu langen Spaziergängen um den Greifensee, zum Schwimmen in der Badi oder zum Bauch-Beine-Po-Training vor dem TV. «Sie ist meine grösste Stütze. Es tut gut zu wissen, dass ich nicht nur für mich selbst verantwortlich bin.»
Seit rund zweieinhalb Jahren sind die beiden verheiratet. Die Schlagzeilen um ihre erste Begegnung in einem Nachtklub gehören für Bäumle zur Vergangenheit. «Ich stehe dazu, doch nun spreche ich lieber über die Zukunft.» Zum Beispiel über die Sommerferien, in denen sie Yuliyas Familie in der Ukraine besuchen wollen. Oder über die Ausbildung seiner Frau, die sie in diesem Jahr abschliessen möchte.
Eine eigene Familie sei zurzeit noch nicht in Planung. «Bevor ich Yuliya traf, habe ich das Thema altershalber abgeschrieben, nun lassen wir es offen», sagt Bäumle, der Götti von drei Kindern ist. Vorerst stehe die Integration seiner Frau, die noch keinen Schweizer Pass besitze, im Vordergrund. «Und für mich ist momentan nur wichtig, dass Martin gesund bleibt», sagt sie und hält ihm noch eine Erdbeere hin.