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Nach seinem Rücktritt

Schwingerkönig Matthias Sempach wird sesshaft

Aus dem Emmentaler Bub wurde ein richtig Böser! Als Schwingerkönig legte Matthias Sempach alle auf den Rücken. Jetzt hat er seine Zwilchhosen ausgezogen. Und träumt daheim vom eigenen Bauernhof.

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Matthias Sempach

Vater: Mit Töchterchen Paula geniesst Sempach den Abschied in der Arena in Utzenstorf BE. 

Keystone/Anthony Anex

Schwingerkönig, Kilchberg-Sieger, 106 Kränze, 36 Triumphe an Kranzfesten, davon 9 an Bergkranzfesten, 28 regionale Fest-Gewinne. Das ist die Karriere von Matthias Sempach, 32. Dazu hat er sich eine halbe Wohnungseinrichtung sowie gegen 50 Lebendpreise erschwungen: Pferde, Kühe, Rinder, Schafe, Ziegen, Kaninchen – und den Muni Fors vo dr Lueg. 

Für ihn noch wichtiger: «Durchs Schwingen habe ich Kameraden gewonnen, der Sport hat mich Respekt und Kampfgeist gelehrt. Und ich habe gelernt, für Fehler geradezustehen», sagt König Mättu und lächelt.

Matthias Sempach, Sie wirken zufrieden. Kein Hadern, dass Sie von Ihrem Körper zum Rücktritt gezwungen wurden?
Klar stellt man sich immer vor, einmal mit einem Sieg abzutreten. Doch ich bin vollkommen zufrieden mit meiner Karriere. Ich spürte, dass ich so nicht mehr mit den Besten mithalten kann. Und noch ein paar Kränze zu erschwingen, hätte für mich keinen Sinn gemacht. Nun spüre ich eine riesige Erleichterung. Ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell loslassen kann. 

Sehen Sie in unserer Galerie, wie Matthias Sempach vom Knirps zum König wurde:

Doch Ihr Leiden muss gross gewesen sein in den letzten Monaten.
Es war nicht einfach, ja. Ich bin in der halben Schweiz herumgefahren, Physiotherapie, Osteopathie, Manualtherapie, Biokinematik. Ich war sogar eine Woche in einer Klinik in Deutschland. Der Lendenbereich wurde besser, doch die Nackenschmerzen und die Ausstrahlungen in den Arm nicht. Sogar in den Ferien hatte ich Rückenschmerzen. Der zweite Bandscheibenvorfall brachte das Fass zum Überlaufen. Das ganze Hin und Her war ermüdend und auch für mein Umfeld schwierig.

Wer war im Entscheid involviert?
Heidi, meine Eltern, mein Manager und enge Freunde sowie mein Mental- und mein Konditrainer. Sie haben immer zu mir gehalten, doch ich wusste: Ich muss selber zum Entscheid kommen. 

Ich bin erleichtert. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell loslassen kann

Wie reagierten Ihre Kinder?
Henry hat keine Freude und auch einige Male geweint. Ich glaube, er realisiert, dass eine grosse Veränderung bevorsteht. Im Gegensatz zu Paula, sie ist noch zu klein. Sie kam beim grossen Auftritt in der Arena in Utzenstorf aber nicht mehr aus dem Staunen heraus.

Treten Henry und Paula einmal in Ihre Fussstapfen?
Da ziehe ich den Joker (lacht). Im Ernst: Sie sollen machen, was ihnen gefällt. Henry geht ab und zu ins Schnuppertraining, er geht das aber spielerisch an.

Wie wird Ihr neuer Alltag nun aussehen? Haben Sie Angst, in ein Loch zu fallen?
Nein, das nicht. Aber es ist schon noch komisch, dass ich jetzt nicht mehr schwinge. Doch ich habe ja immer gearbeitet, weiss, was es heisst, um sechs Uhr morgens aufzustehen und ga büeze. Im Moment arbeite ich weiterhin zu 40 Prozent. Daneben bin ich noch technischer Leiter beim Schwingklub Kirchberg und leite mehrmals pro Woche das Training der Aktiven. Das gefällt mir. Da mein eigenes Training und die Schwingfeste wegfallen, habe ich mehr Zeit für meine Familie, kann einfach mal gemütlich zu Hause sein an Abenden und Wochenenden. Und auch die Qualität dieser gemeinsamen Zeit ist höher.

Wie meinen Sie das?
Bisher war der Schlaf für mich zentral. Ich habe penibel darauf geachtet, dass ich acht Stunden pro Nacht schlafe. Wenns nur 7,5 waren, habe ich die halbe Stunde am Tag nachgeholt. Das heisst: In der Nacht für die Kinder aufstehen lag nicht drin. Da hat mich Heidi immer unterstützt und mir den Rücken freigehalten. 

Heidi hat mich immer unterstützt

Nun hätten Sie Zeit zu heiraten!
(Lacht.) Da gibt es keine Pläne ...

Welche Dinge, die als Spitzensportler nicht möglich waren, können Sie nun tun?
Endlich wieder regelmässiger an die SCL-Tigers-Eishockeyspiele zu gehen. Bisher hatte ich unter der Woche an den Spieltagen stets Training. Und im nächsten Sommer können wir vielleicht mal zwei Wochen verreisen. Ich freue mich auch darauf, entspannt zu essen und Sport zu treiben, ohne immer Gewicht zulegen zu müssen. In den letzten zwei Wochen ohne Training habe ich nämlich vier Kilo abgenommen. Zudem bin ich froh, wenn es um meine Person in der nächsten Zeit ein bisschen ruhiger wird.  

Fühlen Sie sich also nicht so wohl im Rampenlicht, wie es den Anschein macht?
Ich habe mich daran gewöhnt und immer gerne und gut mit Partnern und Medien zusammengearbeitet. Doch ich habe mich damals ja fürs Schwingen entschieden und nicht dafür, in der Öffentlichkeit zu stehen.

Wie werden Sie in Zukunft sportlich aktiv sein? Sie hätten die ideale Postur zum Bob-Anschieber!
O nein, ich weiss aus Magglingen, wie hart die Bobfahrer trainieren und wie viel es dort braucht. Zudem werde ich nun kein Krafttraining mehr machen – ohne Ziel ist es nicht das Gleiche. Ich mag Spielsportarten und freue mich auf mehr Fussball und Eishockey. 

Ich werde das Gefühl vermissen, in eine volle Arena einzulaufen, die Emotionen eines Schlussgangs zu spüren

Was aus Ihrem Spitzensportler-Leben werden Sie vermissen?
Das Gefühl, wenn man voll fit ist. Das Gefühl, wenn man sich in einer Trainingsgruppe pusht und danach völlig erschöpft ist. Ebenso, in eine volle Arena einzulaufen, im Schlussgang zu stehen und die Emotionen zu spüren. Vielleicht den geregelten Tagesablauf. Und natürlich die Kameraden, wir hatten es immer gut zusammen.

Können Sie sich da an einen besonders lustigen Moment erinnern?
Stucki, Glarner, Wenger oder Siegenthaler kenne ich seit 23 Jahren, wir haben zu viel erlebt, als dass ich etwas herauspicken könnte. Ich erinnere mich aber an eine prägende Episode aus der Kindheit: Vor meinem ersten Buben-Schwinget als Siebenjähriger träumte ich vom Sieg. Ich wollte ihn unbedingt, doch leider wurde ich Letzter. Immerhin gab es als Preis eine Dreifachsteckdose (lacht). 

Nun stehen neue Ziele an. Eines haben Sie bereits geäussert: einen eigenen Landwirtschaftsbetrieb. Gehen Sie das auch so akribisch an?
Irgendwann bestimmt. Bisher habe ich noch nichts geplant oder entschieden. Ich möchte nichts überstürzen. Denn dort, wo wir möglicherweise einen Betrieb übernehmen, werden wir wohl unser ganzes Leben sesshaft sein.

Von Sarah van Berkel am 22. August 2018 - 13:50 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 12:08 Uhr