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Produzentin Ellen Ringier und die Schauspielerin über «#Female Pleasure»

Melanie Winigers Kampf für die weibliche Lust

Sie setzen sich für eine selbstbestimmte Sexualität von Frauen ein: Schauspielerin Melanie Winiger und Verlegerin Ellen Ringier reden über eigene Erfahrungen – und verraten, wie sie ihre Kinder aufklärten.  

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Melanie Winiger Ellen Ringier Female Pleasure

Melanie Winiger: «Feminismus hat nichts mit Männerhass zu tun!» 

Geri Born

Fünf Kulturen, fünf Frauen, eine Geschichte. Der Dok-Film «#Female Pleasure» zeigt den Kampf ganz unterschiedlicher Frauen für eine selbstbestimmte weibliche Sexualität. Hinter der Kamera agieren Schauspielerin Melanie Winiger, 39, und Unternehmer-Gattin Ellen Ringier, 67, als Produzentinnen. Zwei Frauen, zwei Generationen, ein Ziel. Denn beide sagen: Von echter Gleichberechtigung sind wir auch in der Schweiz noch weit entfernt.

Frau Ringier, wie hat Ihr Mann Michael auf die Tatsache reagiert, dass Sie einen feministischen Film produzieren?
Er ist seit 42 Jahren mit mir verheiratet - wie könnte er da überrascht sein? Ich habe aber Gleichberechtigung schon immer eingefordert. Ich bekam das so vorgelebt. In unserer Familie hatten die Frauen stets eine starke Rolle.
Winiger: Auch für die Männer in meinem Leben war das keine grosse Überraschung. Schön ist, dass mein Vater, mein Mann und mein Sohn, also drei Männer aus drei Generationen, alle fanden, sie haben mich noch nie so enthusiastisch gesehen.

Melanie Winiger Ellen Ringier Female Pleasure

Gemeinsamkeiten: Ellen Ringier (l.) und Melanie Winiger verstanden sich auf Anhieb prächtig.  

Geri Born

Machen Sie denn im Alltag sexistische Erfahrungen?
Ringier: Nun, ich entsprach wohl nie dem Bild einer Unternehmer-Gattin. Ich habe diese Rolle auch nicht gesucht. Ich habe immer mein eigenes Ding gemacht. Dabei war mir der soziale Aspekt sehr wichtig, was einen rechts stehenden Unternehmer mal dazu bewog, mich als «Kryptokommunistin» zu betiteln.

Sie glauben, einem Mann wäre das nicht passiert?
Nein. Bei einem Mann hätte man gesagt: «Der kann doch mit seinem Geld machen, was er will.» Man meint ja fälschlicherweise immer, ich arbeite mit dem Geld meines Mannes, was nicht so ist. Und selbst wenn es so wäre, bin ich immer noch eine eigenständige Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit mit einem Nachnamen, der verpflichtet. Und an den ich gewisse Konzessionen gemacht habe. Ich habe zum Beispiel alle politischen Ämter abgelehnt, die mir angeboten wurden, obwohl mich das eine oder andere interessiert hätte.

Was für Rollenbilder bekamen Sie diesbezüglich in Ihrer Kindheit vermittelt? 
Winiger: Bereits meine indische Mutter war ein Rebell. Meine Grossmutter war sehr religiös reformiert. Als ich unehelich zur Welt kam, wurde meine Mutter enterbt. Sie traute sich trotz dieser sehr strikten Erziehung, ihr eigenes Leben und ihre eigenen Werte zu leben. Dafür respektiere ich sie sehr. Meine Eltern erzogen mich nicht als «Mädchen», sondern als Individuum, das alles erreichen kann, was man will. Dafür bin ich ihnen extrem dankbar.

Melanie Winiger Ellen Ringier Female Pleasure

Abgeklärt: Ellen Ringier und Melanie Winiger tauschen sich im Büro der Zürcher Produktionsfirma Eqal rege aus.

Geri Born

Sie gehören einer anderen Generation an, Frau Ringier.
Trotzdem kann ich mich Melanie da ganz und gar anschliessen. Meine Mutter wuchs in London in einem sehr wohlhabenden Elternhaus auf, verliebte sich in meinen Vater und zog für ihn in eine Einzimmerwohnung in Luzern - zum Horror ihrer Eltern. Sie hatte bereits 1948 einen Studienabschluss, hatte vor ihrer Ehe bereits ein Jahr in New York im Finanzwesen gearbeitet. Ziemlich unüblich für die damalige Zeit! Ihr Ziel war es jedoch, ein einfaches, bodenständiges, natürliches Leben zu führen. Ich glaube, meine Mutter war die erste «Grüne» in meinem Leben! Sie liebte und liebt noch heute die Berge, Seen, Wälder der Innerschweiz und war auch einem Nacktbad an der Sonne oder im See nicht abgeneigt!
Winiger (lacht): Meine Eltern auch nicht!
Ringier: Ich wurde auch in anderen Bereichen sehr offen erzogen. Bei uns hiess es immer: «Sprich aus, was du zu sagen hast!»
Winiger: Lustigerweise haben Ellen und ich einen sehr ähnlichen Background, obwohl wir einer unterschiedlichen Generation angehören. Vielleicht haben wir uns deshalb von Anfang an so gut verstanden.

Machen Sie diese Erfahrung nicht oft mit Frauen?
Winiger: Das kann ich so nicht sagen, aber ich wurde schon oft mit Vorurteilen konfrontiert. Und ich habe mich auch schon gefragt, ob es besser wäre, wenn ich nicht mehr ganz so offen meine Meinung sagen würde.

Ich kämpfe für Gleichberechtigung, weil ich daran glaube

Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? 
Zum Entschluss, keine Angst mehr zu haben. Deshalb habe ich diesen Film mitproduziert und sage damit deutlich: Ich kämpfe für Gleichberechtigung, weil ich daran glaube.

Wie kam es dazu, dass Sie beide gemeinsam «#Female Pleasure» produzierten?
Winiger: Ich wollte nicht unbedingt Produzentin werden. Aber als die Anfrage kam, musste ich keine Sekunde überlegen. Bei mir hat noch selten ein Film so viele Emotionen ausgelöst.
Ringier: Das Verrückte ist ja, dass im Unterbewusstsein alle wissen, dass jede Kultur auf dieser Welt den Frauen eine Rolle der Unterwürfigkeit und Fremdbestimmung zuordnet. Als ich den Film sah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich fand, da muss ich mitmachen und im Rahmen meiner eigenen finanziellen Möglichkeiten Unterstützung leisten.

Was erhoffen Sie sich von dieser Dokumentation?
Winiger: Ich hoffe, dass die Leute für dieses wichtige Thema sensibilisiert werden, damit sie sehen, dass auch 2018 noch lange keine Gleichberechtigung herrscht, und zwar nirgends auf der Welt.
Ringier: Mein Ziel ist es, dass dieser Film bei ganz vielen Leuten das auslöst, was er bei mir ausgelöst hat. Ich habe die Zweiklassengesellschaft - oben Männer, unten Frauen - in meinen 67 Jahren nie konsequent genug hinterfragt. Das tue ich erst jetzt.

Melanie Winiger Ellen Ringier Female Pleasure

Powerfrau: Ellen Ringier hat eine eigene Stiftung.

Geri Born

Ein Film von Frauen für Frauen?
Winiger: Gar nicht. Man kann den Dok vor einem feministischen Hintergrund sehen. Ich finde aber, eine seiner Stärken ist die, dass er aufzeigt, dass Feminismus nichts mit Männerhass zu tun hat. Im Gegenteil: Die Protagonistinnen lieben Männer. Und wir beide tun das auch.

Im Mittelpunkt steht die Frage, warum Männer Angst vor der selbstbestimmten weiblichen Sexualität haben. Haben Sie eine Antwort?
Ringier: Ich glaube, es gibt keinen Unterschied zwischen weiblicher und männlicher Lust. Wenn man ganz weit in der Evolution zurückgeht, hatte der Mann infolge seiner körperlichen Überlegenheit eine Beschützer-Rolle. Das gab ihm Macht, die er über Jahrhunderte - unter Berufung auf Religion und Kultur - aufrecht erhielt, ja zementierte. Der Aufgabenbereich der Frauen beschränkte sich bewusst auf die Familie.
Winiger: In der Steinzeit machte das Sinn. Wir leben aber nicht mehr in der Steinzeit, und man sollte diese Rollen langsam überdenken. Gleichberechtigt sind wir erst dann, wenn man Frauen den gleichen Umgang mit Sexualität zugesteht wie Männern. Das bedeutet für diese einen Machtverlust, davor haben sie Angst.

Auch die Schweizer Männer? 
Winiger: Die Schweiz ist ja nicht dafür bekannt, ein Vorzeigeland in Sachen Gleichberechtigung zu sein. Ich glaube, das passiert nicht bewusst, sondern weil viele Leute die herrschenden Strukturen nicht hinterfragen. Wenn man nicht ins Schema passt, und sich als Frau nicht so verhält, wie eine Frau sich verhalten soll, wird man angegriffen. Ich musste in den letzten 23 Jahren manchen Shitstorm über mich ergehen lassen. Aber ich habe auch mit 39 noch eine Haltung und vertrete meine Meinung!
Ringier: Man muss sehen, dass die Schweiz dank ihrer Neutralität historisch in einer Ausnahmesituation war: In fast allen anderen europäischen Ländern waren die Männer während der Weltkriege an der Front, und die Frauen haben zu Hause die Familie zusammengehalten und Firmen geführt - und ich spreche nicht von Bauernhöfen! Und als die Männer zurückkamen, liessen sich die Frauen nicht mehr zurückdrängen. Diese Erfahrung hatten die Schweizer Frauen nicht. Dazu kommt, dass die Schweiz bis zum Zweiten Weltkrieg ein armes Land war. Mit dem wachsenden Reichtum kam die Idee auf, dass es für einen angesehenen Mann eine Schande war, wenn seine Frau arbeiten «musste». Daraus entwickelte sich mit der Zeit die Vorstellung der Frau als Statussymbol für den Mann - was sie zum ultimativen fremdbestimmten Objekt macht.

Ich rede über Sex

Und die Frauen akzeptieren das nicht nur, sondern unterstützen und fördern es.
Winiger: Weil sie selbst so aufgewachsen sind. Die Somalierin Leyla Hussein, die beschnitten wurde, ist ein gutes Beispiel dafür. In unserem Film sagt sie, das Schlimmste sei gewesen, dass ihre Mutter und ihre Tante sie festgehalten haben. Ihre Mutter wollte ihr ja aber nicht bewusst Schmerz zufügen, sondern wollte, dass sie in ihrer Gesellschaft akzeptiert wird.

Wie haben Sie Ihren heute 16-jährigen Sohn aufgeklärt, Frau Winiger?
Ich habe Noëls Fragen immer offen beantwortet. Selbstverständlich habe ich ihm auch gesagt, dass Sex nur okay ist, wenn beide das wollen. Ich habe mich mit ihm auch über Pornografie unterhalten, da diese meist ein falsches Bild der Frau vermittelt. Er muss wissen, dass das nichts mit der Realität zu tun hat! Ehrlich gesagt fand ich es recht schwierig, als Mutter einen Buben aufzuklären.

Bildergalerie: Stars kämpfen an der Premiere von «#Female Pleasure» für die weibliche Lust

Sie haben zwei Töchter, Frau Ringier. Hat das die Aufklärung erleichtert? 
Im Gegenteil, ich glaube, es ist fast schwieriger, weil Mädchen sich ab einem gewissen Alter von ihrer Mutter abgrenzen wollen. Ich habe aber von meinen Töchtern zum Beispiel nie verlangt, dass sie jemanden umarmen oder küssen sollten, wenn sie das nicht wollten. Sie sollten wissen, dass man sich nicht anbiedern muss, um zu gefallen.

Durften die beiden ihre Freunde mit nach Hause bringen? 
Natürlich, es kamen sogar welche mit uns in die Ferien. Ich fand nicht alle dieser Burschen wahnsinnig toll, aber meine Töchter sollten ihre Erfahrungen selber machen dürfen. Das grosse Geschenk der Pille ist ja auch, dass wir Frauen uns selbst und unsere Bedürfnisse mit wechselnden Männern kennen lernen dürfen. Das war zuvor nicht möglich. Ich finde, eine Frau muss diese Erfahrung unbedingt gemacht haben, bevor sie sich fest bindet - und ich rede nicht von «schon mal einen Freund gehabt, bevor man heiratet».

Female Pleasure Melanie Winiger

«#Female Pleasure»: Regisseurin Barbara Miller und vier von fünf Protagonistinnen an der Premiere in Locarno: Rokudenashiko, Leyla Hussein, Vithika Yadav und Doris Wagner (v.ln.r.). Sie alle sind Opfer von Diskriminierung und Gewalt geworden.  

Filmcoopi Zürich

Erfahrungen sammeln ist das eine, darüber reden das andere. Warum reden Frauen nicht mit ihren Partnern über Sex?
Winiger: Ich rede über Sex, das habe ich schon immer getan. Man muss doch sagen, was einem gefällt, die armen Kerle können ja keine Gedanken lesen.
Ringier: Damit tue ich mich etwas schwerer. Da macht sich vielleicht doch der Generationen-Unterschied bemerkbar. Ich gehöre zu der Generation, die findet, man soll schauen, dass es für den Mann schön ist, in jeder Beziehung. Das war doch eine gesellschaftliche Vorgabe jener Jahre, der ich kritiklos erlegen bin. So habe ich selbstverständlich immer darauf geachtet, dass es auch bei beruflichen Entscheidungen vor allem für meinen Mann stimmt.

Was, glauben Sie, müsste sich ändern, damit wir in jeder Hinsicht eine gleichberechtigte Gesellschaft haben?
Ringier: Diese Entwicklung kann nur aus der Gesellschaft herauswachsen. Ich bin zwar oft enttäuscht, wie langsam manches vorangeht, trotzdem muss man sagen, dass Frauen in den letzten Jahren relativ viel erreicht haben, auch wenn die Gesellschaft nach wie vor viel zu wenig für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder für einen geschlechtsneutralen Lohn tut. Filme wie «#Female Pleasure» sind kleine Bausteine, die das Potential haben, etwas zur Förderung der Gleichberechtigung beizutragen.
Winiger: Ich fände es schön, wenn man irgendwann nicht mehr so sehr in Schubladen denken würde. Wenn wir uns weniger über unsere Genitalien und mehr über unsere ganz individuellen Eigenschaften, Wünsche und Bedürfnisse definieren würden, wären wir einen sehr grossen Schritt weiter.

Familienbloggerin Sandra C.
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Von Sandra Casalini am 11. November 2018 - 08:00 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 11:54 Uhr