Heute ist Stichtag, 10. Mai, heute komplettiert Renato Walder seine Brustgalerie. Schon vier SVP-Exponenten hat er sich tätowieren lassen, jetzt nimmt er sich eine Frau zur Brust: SVP-Nationalrätin Natalie Rickli. «Meine Art der Frauenquote», sagt Walder. Jeder Politiker sei anders, schmerze anders: Toni Brunner verursachte ein Beissen wie nach einem Sonnenbrand, Christoph Mörgeli kratzte wie Dornengestrüpp, richtig weh aber tat Christoph Blocher, gestochen in die Brustmitte, direkt auf den Brustknochen. «Er ist ja sonst ein ‹zwäger› Typ», sagt Walder, «aber sein Tattoo schmerzte zünftig.»
Im Sommer wird Walder 60. Er ist Frührentner, war Abwart im Altersheim in Schmerikon SG. Dann erkrankte er an Krebs und erlitt einen Herzinfarkt. «Seither lebe ich meine verrückten Ideen aus», sagt der Mann mit dem Zigaretten-Bier-Bass. Seither lässt er sich Tattoos stechen, Pin-up-Engel, KTM-Töff, «Born to be free» und das SVP-Sünneli.
Seit vier Jahren politisiert Walder bei der SVP, ist eidgenössischer Delegierter, mit den Polit-ganz-Grossen per Du. Vor drei Jahren entstand die Idee mit den SVP-Tattoos. Walder liess sich die «Neuauflage der drei Eidgenossen» stechen: Parteichef Brunner, Nationalrat Blocher und er selber. Etwas später ging ihm auch noch Mörgeli unter die Haut. «Ich tätowiere nur Leute, die ich persönlich kenne und die es verdient haben, verewigt zu werden», so Walders stichhaltige Argumentation.
White Skin Tattoo heisst das Studio in Thalwil ZH. Seit 13 Jahren tätowiert Sven Winzeler. An der Eingangstür klebt das Logo des Verbands Schweizerischer Berufstätowierer: ein Kreuz mit einer Tattoo-Pistole. Es wirkt ziemlich martialisch, erinnert an eine Rekrutierungsstelle für Fremdenlegionäre. Im blitzsauberen Tattoo-Studio stehen Farbtöpfchen, Sterilisiergeräte, ein Napf Schweizer Melkfett und Kanister voller Antisept 77 HD. Das «Jahrbuch Deutscher Tätowierer» präsentiert neuste Trends, und das Heft «Die schönsten Feen-Tattoos» beweist, wie filigran die Kunst mit der Nadel ist.
Politik-Sujets hat Winzeler vorher nie gestochen, «höchstens mal Kosovo-Adler oder Türkei-Fahnen». Er sei unpolitisch, betont Winzeler, Jahrgang 1981, gelernter Maler, und beugt sich mit Mundschutz und schwarzen Latexhandschuhen über seinen Kunden. Und tätowiert - als Linkshänder - die Rechtspolitikerin auf Walders Brust. Mit 2000 Stichen pro Minute und viel schwarzer Farbe nimmt Rickli Format an. Ihr Haar erweist sich als Herausforderung, ist aber lange nicht so schwierig wie Blochers Antlitz, das Winzeler auf den harten walderschen Brustknochen stechen musste: «Ich konnte bei Blocher nur wenige Schattierungen anbringen und musste grobe Striche verwenden», sagt der Tattoo-Meister und klingt dabei wie ein Politologe.
Zwei Stunden lang wird Rickli geformt, gepikst und angeschwärzt. Dann ist sie fertig, die Hautpartie geschwollen, picklig und wangenrougerot gereizt. Bis in drei Wochen sei alles verheilt, weiss Walder aus Erfahrung, «dann siehts richtig geil aus». Seine Frau übrigens störe das nicht: «Sie trage ich im Herzen, Natalie auf der Brust.» 250 Franken kostet die Verewigung, Schmerz inklusive. «Prickelnd wie eine Brennessel», beschreibt der SVP-Mann das Gefühl, das Frau Rickli hinterlässt.
Er sei eine «ewige Baustelle», sagt Walder. Bald wird er eine zweite Tattooreihe auf seiner Brust eröffnen, Nationalrat Lukas Reimann habe es ebenfalls verdient. Mal ehrlich, Herr Walder: Wie ertragen Sie all die blöden Sprüche und Frotzeleien? Renato Walder, Tattoo-Fan und lebender SVP-Flyer, grinst nur und sagt: «Wir SVPler haben eine dicke Haut.» Und gerade er - ist Sticheleien ja gewohnt.