Wie der Schein trügen kann! Höflich und aufmerksam tritt er einem gegenüber, der 31-jährige Engadiner, dem man seine Kindheit in Herisau AR deutlich anhört. Typ Traumschwiegersohn. Doch Nevin Galmarini kann auch anders. Seiner Gitarre mit aufgeklebtem Totenkopf entlockt er zu Hause in Witikon am Stadtrand von Zürich mit Vorliebe die harten Töne. Und sein Aufwärmsong vor dem Siegeslauf von Pyeongchang ist «Spit Out the Bone» von Metallica. Heavy Metal pur.
Schweres Metall ist auch die Goldmedaille, die seine Geschwister und Freunde bei Nevins privater Siegesfeier einen Tag nach der Heimkehr anfassen wollen. Ihr Erstaunen gilt aber nur den 586 Gramm Gewicht des Edelmetalls. Der Sieg Nevins kommt für sie weniger überraschend. Schon gar nicht für den Olympiasieger selbst. «Ich habe in der Vorbereitung alles so sorgfältig erarbeitet, dass ich wusste, es kann aufgehen.»
Und bei den ersten Läufen im Olympiarennen ist Nevin derart sicher und offensiv unterwegs, dass die Freude im ersten Moment nach dem Finalsieg gegen seinen südkoreanischen Widersacher nicht einmal überschäumt: «Beim Silbergewinn vor vier Jahren in Sotschi kam fast sofort die Explosion der Gefühle. In Pyeongchang war ich vergleichsweise ruhig. Ich war bereit für einen Krieg auf dem Brett. Doch dann liefs fast zu rund. Erst als ich nach ein paar Minuten mit Nadja telefonierte, schrien wir beide die Freude hinaus.»
Der Gruss in Gebärdensprache via TV-Kamera an die gehörlose Mama Helen in Ardez blieb diesmal aus. «Das war in Sotschi eine spontane Geste. Ich wollte daraus kein Ritual machen. Diesmal rief ich sie per Facetime an.»
Dass Nevin Galmarini in Korea seinen Plan und Traum so unbeirrt wahr machen kann, liegt auch an einer kleinen sportlichen Berg-und-Tal-Fahrt nach dem Sensationssilber von 2014. Eine Saison lang will auf der Piste wenig klappen. Dann wechselt er zur Schweizer Marke Oxess, arbeitet dort in der Entwicklung mit und baut sich seine massgeschneiderten Bretter.
An der WM 2017 in Sierra Nevada holt er mit einer riesigen Willensleistung nach knapp verpasstem Edelmetall im Slalom Bronze im Riesenslalom. «Der Schlüsselmoment meiner Karriere», sagt er heute. Vor einem Jahr endlich der erste Weltcup-Rennsieg, diesen Winter zwei weitere.
Ich habe alle Teilprüfungen des Studiums auf Anhieb geschafft. Auch das macht mich stolz
Auch privat läufts rund. Mit seiner langjährigen Solothurner Freundin Nadja von Büren bezieht er 2016 in Zürich die erste gemeinsame Wohnung. Ihr Arbeitsplatz beim Handballverband in Olten und seine Trainingsbasis im Fitnesscenter von Bruder Arno in Zürich Seebach machen Witikon zum idealen Kompromiss. Doch Nevins Herz schlägt weiterhin für sein geliebtes Engadin.
Engadin Scuol ist auch sein Hauptsponsor, der ihm ein für Alpin-Boarder vergleichsweise komfortables Leben ermöglicht. Und mit dessen Unterstützung Nevin auch das Fernstudium als Betriebswirtschaftler finanziert, das er im März 2019 mit dem Bachelor abschliessen will.
Zuerst aber steht noch ein grosses sportliches Ziel auf dem Programm: «Ich liege im Gesamtweltcup vorne. Diese Wertung zu gewinnen, wäre mir extrem wichtig. Wies mit der Karriere danach weitergeht, wird sich weisen. Bis zur WM 2019 bin ich sicher dabei.»
Mal schauen, ob er und seine Nadja – «Hochzeitspläne müssen noch warten» – bis dann den Kompromiss gefunden haben, wo sie dereinst ihre Kinder aufwachsen lassen wollen. Zweisprachig wäre toll. Wie Silber und Gold.