Achtung, Achtung! Es gibt da etwas, was Nevin Galmarini, 32, schwer auf die Nerven geht: «Sagt bloss ja nicht Schuls, das hört sich grauenhaft an!» Auf die rätoromanische Ortsbezeichnung Scuol – ausgesprochen «Schcuel» – legt der gebürtige Appenzeller Wert. Als 13-Jähriger ist er mit seiner Familie des Sports und der Ausbildung am Sportgymnasium Ftan wegen von Herisau AR ins Unterengadin nach Ardez umgezogen. Seither fühlt er sich trotz verbliebenem Ostschweizer Dialekt als Engadiner.
Und so könnte es dereinst auch seinen Söhnen Eddie und Louie gehen: Mit ihrem Papa Nevin und Mama Nadja von Büren, 37, wohnen sie zwar in Flumenthal bei Solothurn. «Aber es ist durchaus eine Wunschvorstellung, dass wir irgendwann ins Engadin ziehen und unsere Jungs hier aufwachsen», sagt der Olympiasieger von 2018 im Snowboard alpin, der des Rätoromanischen recht gut mächtig ist. Dass Scuol Galmarinis Hauptsponsor ist, drückt denn auch weniger eine Geschäftsbeziehung aus als vielmehr eine Herzensverbindung.
Eddie und Louie verändern Galmarinis Leben im Doppel
Am vergangenen 12. Juli kommen die zweieiigen Zwillinge zur Welt, knapp fünf Monate nach Nevins Goldfahrt von Pyeongchang. «Zuerst der ruhige Vielschläfer Eddie, eine Minute später der impulsive und nimmermüde Louie», wie Nadja ihre zwei Knöpfe charakterisiert. Die Reise nach Südkorea hat sie auch wegen der Schwangerschaft nicht auf sich genommen.
Doch ihren Nevin beflügelt der erwartete Familienzuwachs aus der Ferne. «Weil wir schon seit Oktober 2017 von der Schwangerschaft wussten, wars zwar kein spezieller Boost im Rennen. Aber es hilft schon, wenn man mehr Risiken eingehen kann, weil man im Hinterkopf hat, dass ein Scheitern nicht das Ende der Welt wäre.»
Der Start ins Familienleben
Es ist der vielleicht emotionalste Moment, als der Profi-Snowboarder dreieinhalb Jahre nach Olympiasilber in Sotschi im November 2017 beim Training in Davos vom Besonderen seiner kommenden Vaterschaft erfährt.
«Ich sass mit Kollegen in Davos auf dem Sessellift, als Nadja mich aufs Handy anrief und mir mitteilte, dass es Zwillinge sind. Zuerst tat ich ganz cool, um mich vor den Kollegen nicht zu verraten. Aber dann bin ich allein in den Tiefschnee rausgefahren, und dort ist die Freude aus mir rausgebrochen.» Mit etwas Verzögerung, genau wie nach dem Sieg im Olympiarennen, als er erst beim Telefonat mit Nadja seinen Emotionen freien Lauf lässt.
Nun also sind die Galmarinis eine Familie. Und den Sprung «von null auf gleich zwei Kinder» haben sie erfolgreich bewältigt. «Man kommt am Anfang schon mal an den Anschlag, wenn beide gleichzeitig etwas von einem wollen, aber wir ergänzen uns perfekt», lobt Galmarini die häusliche Rollenaufteilung. Was auch Nadja bestätigt: «Nevin ist ein toller Papi. Er hat unendlich Geduld, und er beteiligt sich an allen Eltern-Aufgaben, wickelt die Jungs, bringt sie zu Bett, kleidet sie an, steht nachts auf.» Das Schöppelen schaffe er sogar parallel, präzisiert der Jungpapa lachend, nur beim Wickeln müsse er «eher sequenziell» vorgehen.
Die Aufgabenliste nebst den Vaterfreuden
Schön der Reihe nach erledigt der Olympiaheld auch seine komplexe Aufgabenliste nebst den Vaterfreuden. Bei seinem Fernstudium der Betriebswirtschaft arbeitet er derzeit an der Bachelorarbeit. Im März soll das Diplom vorliegen. «Ich kann mir auch vorstellen, gleich das Masterstudium anzuhängen.»
Und natürlich sind da die sportlichen Ziele, die der Profi-Snowboarder verfolgt. Nach Olympia- und Gesamtweltcup-Sieg im vergangenen Winter soll in einem Monat WM-Gold in Park City (USA) folgen – WM-Bronze hat er schon. Und den Heim-Weltcup in Scuol (nicht Schuls!) vom 9. März nennt er als zweites Saison-Highlight.
«Ich habe mit der Geburt von Eddie und Louie zwar Gelassenheit gewonnen, aber nichts von meinem Ehrgeiz eingebüsst», sagt Galmarini, «und ich sehe eigentlich keinen Grund, weshalb ich nach dieser Saison nicht weiterfahren sollte, auch wenn mir nun die Abreise an Wettkämpfe im Ausland oder in Trainingscamps schon deutlich schwerer fällt.»
Von Zürich ins Flumenthal
Das Familienleben der Galmarinis wird durch die aktuellen Lebensumstände erleichtert. Von Zürich nach Flumenthal umgezogen sind sie nicht zuletzt, weil Nadja dort aufgewachsen ist und ihre Eltern noch immer im Dorf wohnen, in unmittelbarer Nachbarschaft. «Ich kann jederzeit auf ihre Unterstützung zählen, wenn Nevin unterwegs ist und ich Hilfe benötige», preist Nadja die Vorzüge der räumlichen Nähe.
Auch Nevins gehörlose Mutter Helen, die in Ardez GR lebt, geniesst die neuen Oma-Freuden. Sie ist mit den Zwillingen erstmals Grossmami geworden. Die Erinnerung ist noch lebendig, wie Nevin 2014 nach der Silberfahrt von Sotschi seine Mutter am TV in Gebärdensprache grüsst. Gut möglich, dass Eddie und Louie dereinst in babylonischer Sprachenvielfalt aufwachsen: Mamas Solothurner Dialekt, Papas Herisauer Idiom, Rumantsch – und eben auch Gebärdensprache.
Schon die Namen der zwei Buben deuten Weltoffenheit an. «Eddie ist von Nadjas Grossvater Eduard abgeleitet, Louie von meinem Opa Luigi», erklärt Galmarini. Es ist die am leichtesten erkennbare Verbindung zu den Vorfahren der Zwillingsbuben. Mehrlingsgeburten gab es nämlich bisher weder in Nadjas noch in Nevins Familie.
Olympiasieger allerdings auch nicht. Da muss Galmarini aufpassen, dass seine Söhne dann nicht die Ersten sind, die Schuls statt Scuol sagen.