Heutzutage ist fast alles für fast jeden eine Challenge. Jeder Buchhalter vermeldet auf Social Media wie Facebook oder Linkedin die Herausforderung, der er sich stellt – wenn er die Firma wechselt. Die Zehnkilometer-Strecke beim Silvesterlauf vor sich? Challenge! Ein neues Kuchenrezept ausprobieren? Challenge! Herausforderungen für Sterbliche.
Und dann gibt es noch das: Stellen Sie sich vor, Sie sind 18 Jahre alt und werden vor einem Millionenpublikum als weltgrösstes Talent Ihres Jahrgangs in Ihrer Branche geadelt. Und Sie müssen sich ab sofort dreimal pro Woche mit den Besten der Welt in den grössten Stadien messen, obwohl Sie das noch nie auf diesem Niveau getan haben. Sie wissen auch: Nur Wunderdinge sind gut genug, oder die werden früher oder später über mich herfallen. Die Zuschauer, die Medien und am Ende vielleicht auch der Chef. Verspüren Sie ein bisschen Druck? Willkommen in der Welt von Nico Hischier, dem weltgrössten Eishockeytalent seines Jahrgangs, Stürmer der New Jersey Devils. In der besten Liga, der NHL.
«Er wollte alles ausprobieren»
Das Spannende an solchen Menschen – in diesem Fall von Athleten – ist nicht etwa die Beschaffenheit ihrer Hände und Füsse, Arme und Beine, nicht die optimalen Hebel, mit welchen sie die Natur vielleicht ausgestattet hat, sondern das, was in diesen Köpfen vor sich geht. Schwierige Aufgaben lösen bei ihnen keine Depression, sondern einen Reiz aus. Und sie sind hartnäckig oder stur genug, etwas so lange zu probieren, bis sie es können.
Als Bub spielt Nico nicht nur Eishockey, sondern parallel auch Fussball, Tennis und Unihockey. Er fährt Skateboard, Ski, Snowboard, geht ins Judo, ins Kunstturnen, ins Schwimmen. Er balanciert auf der Slackline, lernt Einradfahren. Seine Mutter Katja sagt: «Er wollte alles ausprobieren. Und er wollte auch immer den Weg zum Ziel kennen. Er beobachtete ganz genau.»
Hischiers Familie investierte viel in das Talent
Als seine Schwester Nina am Klavier wochenlang ein Lied einübt, beobachtet Nico sie. Und sagt: «Ich kann es auch.» Er übt ein paar Tage wie verrückt – dann spielt er es vor. Während vielen das Leben wie eine Aneinanderreihung von Tests erscheint, ist es für ihn ein Spiel. Nur: Wie viel er, die Eltern und die Grosseltern investieren, sehen die meisten nicht.
Das ist als Kind so, als er von Naters nach Visp ins Training und in die Sportschule will und ständig hin- und hergefahren wird, das ist so als Teenager, als er mit 15 Jahren das Wallis verlässt, um im Nachwuchs des SC Bern zu spielen, das ist mit 17 so, als er alleine nach Nordamerika zu einer Gastfamilie zieht, um sich in Halifax einem Juniorenteam anzuschliessen. Er ist einer, der alles von sich verlangt. Und alles dafür tut, damit sein Team nicht verliert.
Hartnäckiger Wille
Als Kind geht er bei einem Turnier vor einem Spiel zu seinem Trainer und sagt ihm, wer wo zu spielen hat, damit sie gewinnen. Der Trainer hört auf ihn. Sie gewinnen. Spass und Perfektionismus gehen bei ihm zusammen. «Es stimmt, wenn ich im Eishockey etwas verbessern muss, versuche ich es so lange, bis ich es kann», sagt er. «Wenn der Trainer sagt, ihr macht 20 Kniebeugen, mache ich nicht 19. Wenn wir Kreisel drehen, gibt es keine Abkürzung.»
Die Experten sind hingerissen von ihm. «Es gibt viele smarte Spieler, aber bei Nico ist alles fliessend», sagt etwa Craig Button vom kanadischen Sportsender TSN. «Er ist automatisch immer am richtigen Ort. Wenn man ein Video von ihm anschaut, sagt man nur noch: ‹Wow!› Seine Hände sind so gut, er bringt die Gegner automatisch aus dem Gleichgewicht.»
«Ich bin glücklich, ein Walliser zu sein»
Hischier, der sein Können seit Anfang Oktober am Hudson River demonstriert, sieht seine Heimat seit drei Jahren nur an Wochenenden oder in den Ferien. «Ich bin glücklich, ein Walliser zu sein», sagt er. Er erzählt von den Wanderungen mit der Familie. Mit Vater Rino, Mutter Katja, Schwester Nina und Bruder Luca, der jetzt Profi beim SC Bern ist. Blatten, Belalp, Riederalp, Aletschgletscher. Vom Baden im Baggilla, dem kleinen Weiher bei Raron. Alles eingebrannte Bilder.
Hischier hat keinen Plan B
Sosehr er in Gedanken mit der Heimat verbunden ist, so unschweizerisch kompromisslos geht er seinen Weg. Keine Zweitausbildung, keine Rückfallposition, kein Sicherheitsnetz. Es ist die Konsequenz, welche die Handvoll Weltstars im Schweizer Sport gemein hat.
Federer ist ihm charakterlich ähnlich
Und während man den meisten Menschen keinen Gefallen tut, sie mit Tennisstar Roger Federer zu vergleichen, ist es dieser Ausnahmeerscheinung nicht nur zuzumuten, es drängt sich richtiggehend auf. Denn beide vereinen Demut, Opferbereitschaft, einen peniblen Arbeitseifer und eine fast schon kindliche Liebe zum Spiel. Und während sie den gleichen Sport wie Millionen andere betreiben, tun sie es so kunstvoll wie nur wenige. Die Challenge, der nächste Schweizer Weltstar zu werden: Eigentlich ist es bei Hischier keine Frage, ob er es schafft. Nur wie schnell.