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«Ich mache mir keinen Druck»

So erlebt Nicola Spirig ihre zweite Schwangerschaft

Gesundheitssport statt knallharte Disziplin: Triathletin Nicola Spirig erlebt zum zweiten Mal eine Schwangerschaft als Spitzensportlerin. Und setzt in einem kaum erforschten Gebiet ihre eigenen Grenzen.

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Nicola Spirig vor Baby schwanger mit Mann und Sohn

Joggen geht in der 30. Woche noch gut: Nicola Spirig trainiert pro Tag noch rund zwei Stunden in zwei Einheiten.

Kurt Reichenbach

Nicola Spirig zieht ihre Bahnen im Schwimmbad von Maspalomas, Gran Canaria. Eine halbe Länge Delfin, dann eineinhalb Kraul. Derweil klappert Sohn Yannis, 4, mit Papa Reto Hug die Stationen der handgezeichneten Schatzkarte ab. Für später wird eine Glace versprochen. «Bisch debi?», fragt Yannis seine Mama, als sie nach anderthalb Stunden aus dem Wasser kommt. Natürlich ist sie. Denn in diesem Trainingslager läuft alles ein wenig anders als normal für die Triathlon-Olympiasiegerin: Die Familie bestimmt den Tagesablauf, nicht das Training.

Ende Mai soll Spirigs zweites Kind zur Welt kommen. Und während sie Spitzensportlerin bleiben wird, sofern alles aufgeht, ist sie es im Moment eben doch nicht. Grenzen ausloten, Schmerzen ignorieren, aus dem Körper das Maximum holen, knallharte Disziplin: Alles, was zum Alltag einer der besten Triathletinnen der Welt gehörte, verliert von einem Tag auf den anderen seine Wichtigkeit - oder ist tabu. Heute geht es darum, gesund und fit zu bleiben.

Von der Olympiamedaille in Bestform direkt in die Schwangerschaft: Bereits vor vier Jahren hat die 35-Jährige dies durchlebt, und dennoch sagt sie: «Das war mental eine grosse Umstellung für mich. Mein Körper ist mein Arbeitsgerät. Nun muss ich ihn teilen, und der andere Bewohner ist wichtiger.» Nach so vielen Jahren Spitzensport sei es aber auch eine Chance, dem Körper Erholung zu gönnen. «Kein Ziel und keinen Druck zu haben, ist auch mal schön.» Der Sport ist aber nach wie vor ein essenzieller Bestandteil ihres Lebens, einfach zwei Stufen unterhalb dessen, was eigentlich möglich wäre.

In punkto Schwangerschaft sind die Athletinnen untereinander sehr offen

Bloss wie viel Sport und welche Intensität ist denn richtig in der Schwangerschaft? Diese Frage beschäftigt Nicola Spirig auf zwei Ebenen. Die erste ist jene des Leistungssports: Es gibt wenige Athletinnen von Weltformat, die ihre Sportkarriere nicht mit dem ersten Kind beenden. Fachliteratur gibt es deshalb kaum. Gynäkologen haben wenig Ahnung vom Spitzensport, und Sportärzte sind keine Schwangerschafts-Experten, weshalb alle eher vorsichtig sind mit Ratschlägen. Darum suchte die Zürcherin intensiv den Kontakt zu anderen Sportlerinnen - zu OL-Meisterin Simone Niggli-Luder, Triathletin Magali Di Marco Messmer etwa oder zur Ärztin, Triathletin und Mutter Sibylle Matter. Biathletin Selina Gasparin ihrerseits rief Spirig an, als sie schwanger war. «Es ist sehr, sehr schön, dass punkto Schwangerschaft die Athletinnen untereinander sehr offen sind.» Auch wenn die Unterschiede gross waren - eine lief noch bis zur Geburt, eine andere fand es schon im fünften Monat unangenehm: «Es hat mir extrem geholfen, eine Idee zu bekommen, wie viel Training normal ist.»

Es gibt etwas, worin sich die Ärzte einig sind: Bekommt die Mutter zu wenig Sauerstoff, gilt dasselbe beim Ungeborenen. Das heisst, dass sehr intensive Belastungen tabu sind. «Ich wollte mir nie auch nur überlegen müssen, falls etwas schiefgeht: Ist das, weil ich im Training etwas falsch gemacht habe?» Auch bergab joggt sie wegen der Schläge nur noch langsam und vorsichtig, aufs Velofahren draussen verzichtet sie aufgrund der Sturzgefahr fast seit Beginn komplett.

Entspannter als bei der ersten Schwangerschaft

Nicht nur die Auswirkungen von zu viel Sport auf den schwangeren Körper beschäftigen die Juristin aber. Sie ist überzeugt, dass Bewegung guttut, solange die Frau kein grösseres Problem hat. «Natürlich habe ich hie und da auch eine Krampfader oder nach langem Stehen ein bisschen Wasser in den Beinen. Aber ich denke, es ist wichtig, dass der Körper die Kraft behält.» Während der Schwangerschaft, bei der Geburt und in der Zeit danach sei er schliesslich ziemlich gefordert. Auch fürs Körpergefühl und die Rückbildung sind Kraft und eine allgemeine Fitness von Vorteil.

Nicola Spirig selbst erlebt die zweite Schwangerschaft entspannter als die erste. Nach dem Olympiagold 2012 und der Geburt von Yannis im Frühling darauf war sie extrem angespannt. Sie wollte unbedingt erfolgreich zurückkehren und hatte das Gefühl, sich etwas beweisen zu müssen. «Nun mache ich mir keinen Druck.» Sie würde gerne weiterhin Profi-Triathletin sein, hat im Hinterkopf schon die Olympischen Spiele von Tokio 2020. Sie wäre dann 38 Jahre alt. Doch wie sich Körper und Alltag nach dem zweiten Kind verändern, ist schwer vorherzusehen. Auch, ob Kind Nummer 2 so unkompliziert wird wie Yannis. «Wenns klappt, ist es toll, sonst aber auch nicht so schlimm», sagt Spirig mit der Gelassenheit einer zweifachen Olympia-Medaillen-Gewinnerin. Ihr Mann Reto Hug hat die erste Schwangerschaft beinahe verpasst. «Ich war von morgens bis abends mit der Renovation unseres Hauses beschäftigt», erinnert sich der 42-Jährige. «Und als Yannis fünf Wochen zu früh kam, hatten wir noch nicht einmal gezügelt oder das Zimmer eingerichtet.»

Nicola Spirig vor Baby schwanger mit Mann und Sohn

Bei Nicola Spirig steht die Familie im Vordergrund.

Kurt Reichenbach

Nun ist es ein gemeinsames Erlebnis; Yannis hat sich schon lange ein Geschwisterchen gewünscht und freut sich sehr, Spirig hat mehr Zeit für die Familie. Und doch ist es nicht ihre allerliebste Zeit. «Es gibt Leute, die Schwangere sehr schön finden. Ich finde meinen Bauch ehrlich gesagt nicht wahnsinnig ästhetisch.» Ein sehr persönliches Thema, mit dem sie aber offen umgeht. «Schön fühle ich mich momentan nicht, aber das ist ja nur vorübergehend. Und die Vorfreude auf unser zweites Kind ist viel wichtiger.»

Als Sportlerin verfügt sie über ein sehr gutes Körpergefühl, ist austrainiert - und nun ist alles anders. «Nächstes Mal stelle ich einen Antrag, dass es nur noch sechs Monate geht», sagt sie lachend. Mit den zehn, elf Kilo, die sie bisher zugenommen hat, fühlt sie sich aber noch wohl. «Das wäre bei 20 wohl anders.» Komische Gelüste halten sich in Grenzen. Überhaupt keine Lust hatte sie in den ersten drei Monaten auf ihre geliebte Schoggi - dafür umso mehr auf Kohlenhydrate wie Brot, Reis und Pasta. Das hat sich wieder normalisiert. Zum Glück. Denn heute ist Glace schlecken mit der ganzen Familie angesagt. Und das wäre sonst ein wenig schwierig.

Von Eva Breitenstein am 2. April 2017 - 06:00 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 14:13 Uhr