Wer die höchste Diplomatin der Schweiz für sich gewinnen will, braucht Musik! Als eine Gruppe von Bäuerinnen Pascale Baeriswyl, 49, in Mosambik zum Tanz auffordert, lässt sich die ehemalige Balletttänzerin nicht zweimal bitten. «Wir freuen uns, dass die Chefin da ist – aus der Schweiz nach Mosambik!», singen die Frauen auf Portugiesisch. Sie feiern die Eröffnung der neuen Bank, die durch die Schweiz finanziell unterstützt wird.
Dank den Mikrokrediten von umgerechnet 50 bis 100 Franken können sie kleine Betriebe gründen und so ihre Existenz sichern. Eine Bäuerin packt die zierliche Schweizerin, wickelt ihr ein Tuch um den Kopf und sagt: «Obrigada – danke!» Die beiden umarmen sich. «Dear Sisters», richtet Baeriswyl ihr Wort an die Frauen: «Danke für das Lied. Es ist das schönste Geschenk, das ihr mir machen konntet.»
Seit rund einem Jahr ist Baeriswyl Staatssekretärin im Aussendepartement EDA. Damit ist die Baslerin hinter Noch-Bundesrat Didier Burkhalter beziehungsweise Nachfolger Ignazio Cassis die Nummer zwei im prestigeträchtigen Departement. Zudem koordiniert sie seit April das wohl schwierigste Dossier: die Verhandlungen mit der EU.
Die Departementskolleginnen sprachen ihr viel Mut zu
Dabei wollte sich die Mutter von Florence, 18, und Laurent, 21, erst gar nicht für den Posten bewerben. «Viele Frauen im Departement haben mich dazu motiviert.» In einem dreistufigen Rekrutierungsprozess konnte die ehemalige Vizedirektorin für Völkerrecht den FDP-Bundesrat überzeugen. «Bundesrat Burkhalter traute mir mehr zu als ich mir selbst.» Heute ist Baeriswyl froh, dass sie das Rennen gemacht hat: «Ich fühle mich in meinem Amt wie ein Fisch im Wasser.»
Als Baeriswyl am 4. Oktober in Mosambiks Hauptstadt Maputo am Indischen Ozean landet, herrscht Aufbruchstimmung. Mit Gesang und Tanz feiert das Land 25 Jahre Frieden. Doch dieser steht auf wackligen Beinen. 2013 ist der bewaffnete Konflikt zwischen den ehemaligen Bürgerkriegsparteien Frelimo im Süden und Renamo im Norden wieder aufgeflammt. Mit Unterstützung der Schweiz haben die verfeindeten Parteien im Mai einen unbefristeten Waffenstillstand vereinbart. Ziel von Baeriswyls Besuch: die Friedensverhandlungen unterstützen. «Weil wir in Mosambik seit vierzig Jahren Entwicklungshilfe betreiben, ist das Vertrauen gross.»
Bei den Treffen mit den Regierungsvertretern zeigt sich die «secretary of state» ebenso charmant wie bestimmt. «Shall we sign – wollen wir unterzeichnen?», fordert sie den Aussenminister mit einem Lächeln auf. Darauf setzt er seine Unterschrift unter eine Absichtserklärung, die regelmässige politische Treffen zwischen der Schweiz und Mosambik vorsieht. Später bittet die nationale Presse Baeriswyl um ein Statement – sie muss vor die Kameras stehen. Beim Nachtessen sieht sie sich im TV: «So viel zum Thema, ich lasse mich nicht fotografieren», sagt sie schmunzelnd. Der «Blick» verzichtete im März auf ein Interview, weil sie sich nach einer Pressekonferenz nicht für Fotos zur Verfügung stellte.
Bevor Baeriswyl ins Flugzeug ins nördliche Nampula steigt, erreicht eine traurige Nachricht die Delegation: Der Bürgermeister der Stadt wurde erschossen. Er wollte für die nächsten Kommunalwahlen als Unabhängiger kandidieren. «Das zeigt, wie fragil die politische Lage hier immer noch ist», sagt Baeriswyl. Ihren Mann in Basel und ihre beiden Kinder, die in England studieren, informiert sie über den Familienchat. «Angst vor der Reise habe ich keine.» Allerdings besteht sie auf einem Sicherheitsbriefing. «Für den Schutz meiner Mitarbeiter.» Mit ihnen hat sie ein herzliches Verhältnis, ist mit allen per Du, begrüsst sie mit Küsschen.
Die Faszination für andere Kulturen kam im Teenageralter
Schon als 16-Jährige träumte Baeriswyl davon, einmal Diplomatin zu werden. Sie wächst im Multikulti-Quartier St. Johann in Basel auf, unweit von der deutschen und französischen Grenze. Ihre beste Freundin ist eine italienische Seconda, ihr Vater arbeitet im internationalen Bahngüterverkehr. «Gäste aus der ganzen Welt verkehrten bei uns zu Hause, das hat mich total fasziniert.»
Nach dem Jurastudium arbeitet Baeriswyl als Richterin im Kanton Basel-Stadt. Mit 32 startet ihre Karriere beim EDA – als erste Diplomatin mit zwei kleinen Kindern. Sie arbeitet auf der Schweizer Botschaft in Hanoi, Vietnam, bei der EU-Botschaft in Brüssel und der Uno-Mission in New York. «Meine Kinder sind in vier Schulsystemen auf drei Kontinenten aufgewachsen.» Unterstützung bekommt sie von ihrer Mutter und ihrem Mann René. Er betreut als Computerspezialist ein Basler Gymnasium, kann von zu Hause aus arbeiten und passt häufig auf die Kinder auf. «Wir hätten die Kinder nicht auf ein Internat schicken wollen.»
Im Flugzeug auf dem Weg nach Nampula hört Baeriswyl Musik auf ihrem iPhone. Pop-Rock, komponiert von ihrem Sohn, wie sie stolz erzählt. «Die beste Entspannung, denn ich habe Flugangst.»
«Der Job ist intensiv, aber extrem spannend»
Seit ihrem Amtsantritt reist die Staatssekretärin um die Welt. Ob nach Brüssel, wo sie als Chefdiplomatin die Beziehungen zur EU zu normalisieren hilft, nach Kolumbien, wo sie die Friedensverhandlungen mit den Guerillabewegungen beobachtet, oder nach Kuwait, wo sie mit ihrem Amtskollegen den Konflikt in der Golfregion diskutiert. «Der Job ist intensiv, aber extrem spannend.» Etwa wenn sie wie hier an einem Tag den Präsidenten und am nächsten einen Bauern trifft.
Dabei bleibt manchmal keine Zeit, um sich umzuziehen. «Flexibilität ist alles», sagt Baeriswyl, als sie kurz nach dem Gespräch mit der lokalen Politikerin in Nampula mit ihren schicken Pumps durch den Matsch zu Bauer Alfredos Salatfeld trippelt. Dort nimmt sie eine Riesenheuschrecke auf die Hand, inspiziert den Salat und lässt sich von Alfredo erklären, wie die vom Schweizer Deza mitfinanzierte Wasserpumpe funktioniert.
Trotz Bodenschätzen wie Gold und Gas zählt Mosambik zu den ärmsten Ländern der Welt. 70 Prozent der Einwohner arbeiten in der Landwirtschaft. «Força! Viel Kraft», wünscht Baeriswyl und überreicht Alfre-do eine Packung Jakob’s Basler Leckerly. «Was wir hier machen, ist nicht Gutmenschentum, sondern Wirtschaftsförderung.»
Auf dem Rückflug in die Schweiz schaut sie sich das Handyvideo von den singenden Frauen an. «Ich hatte beim Auftritt Tränen in den Augen, das passiert mir selten.» Zeit, das Erlebte zu verarbeiten, hat sie nicht. «Vom gemeinsamen Tanz werde ich aber noch lange zehren.»