Jede Frau kennt sie, sie ist zum Haareraufen. Die allmorgendliche Frage: «Was zieh ich bloss an?» Der Schrank ist voll und doch findet sich nichts Passendes. Ein Problem, das auch Fitnessmodel und Influencerin Patrizia Yangüela, 31, kennt. Die Zürcherin begeistert ihre 1,3 Millionen Fans auf Instagram mit sexy Fotos. Die meisten Shooting-Outfits türmen sich im Schrank, das Schuhregal ist voll. «Ich habe keinen Überblick und keine Einteilung mehr. Ich brauche einfach Hilfe, denn selbst schaffe ich das mit der richtigen Struktur nicht.» Sie ist ehrlich: Zeit und Lust zum grossen Ausmisten hat sie wenig.
Notruf bei der professionellen Schrankaufräumerin: Nicole Böhme, 47, sortiert und stylt seit sechs Jahren beruflich Kleiderschränke weltweit. Sie trägt den Spitznamen Frau Doktor Ordnung und arbeitet sich unerschrocken und mit Herz durch jeden Schrank. Oft wird sie gefragt, wie viele Hosen ausreichen, wie viele Jacken sind normal. Einen fixen Richtwert kann sie nicht nennen. «Durch Fast Fashion und unseren Kaufrausch wissen wir nicht mehr, was normal ist. Fakt ist aber, dass wir nur ein Drittel von Schrank tragen.» Immer wieder sind ihre Kundinnen erstaunt, wie wenig sie tatsächlich anziehen, wenn sie die Kleidung testhalber markieren. Böhmes Rekord: 70 Jeans (Wer trägt die?) und zehn Müllsäcke mit überflüssigen Textilen. Ja, die Schweizer sind Sammler.
Der Schrank als Psychogramm
Böhme ist durch ihren Beruf auch eine Menschenkennerin geworden und meint: «Zeig mir deinen Schrank und ich sag dir, wer du bist.» Die Kundinnen der Lifestyle Consultant kommen aus allen Schichten: Ob Prominente, Politikerinnen oder Studentinnen. Über die Namen schweigt sie. Mit dem Entrümpeln geht oft der Wunsch einher sich von Altlasten zu befreien, eine neue Lebensphase zu beginnen oder einfach die Unordnung zu besiegen. «Ich bin eine Chaos-Queen und liebe Klamotten», gibt Patrizia zu. Ihr Style: farbenfroh, chic und etwas edgy. Bevor sie vor drei Jahren mit einem harten Training begann, wog sie etwas mehr. Etwa die Hälfte der alten Kleidung hat sie behalten. «Da kann ich mich noch nicht trennen. Ich hänge emotional daran.» Sie hasst Gestreiftes, ein solches Teil findet sich aber doch im Schrank: «Vintage, von meiner Mutter. Ich ziehe das nie an, einfach ein Andenken.» Kleidung ist eben auch Erinnerung. Hier rät Böhme dazu, genau zu unterscheiden, was bleiben muss und in welchem Fall ein schönes Foto des Stücks als Erinnerung genügt.
Oft begegnet sie auch den Traumwelten ihrer Kundinnen. In der Hoffnung auf mehr Ausgang haben sie dutzende Roben und Stöckelschuhe im Schrank, ungetragen. Der Wunsch, eine andere zu sein. Hier braucht die Ordnungsfrau Fingerspitzengefühl: «Da kann man bewusst einen schönen Anlass schaffen, an dem die tollen Kleider dann zum Einsatz kommen.»
Sandwich-, Sushi- oder Teebeutel-Typ
Patrizia Yangüela machte die Arbeit der Wardrobe Organizerin leicht und sortierte radikal vor: «Das muss weg.» Auf einen Vielleicht-Stapel liess sie sich erst gar nicht ein. Drei Kleidersäcke werden voll. Viel verschenkt sie an Freundinnen. Zusammen mit Böhme ordnet sie ihren Schrank neu nach Artikel, Jahreszeiten und Farben. Zurück darf nur das, was passt, sauber ist und noch gefällt. Hier stellt der Aufräumprofi die Frage: «Bist du der Sandwich-, Sushi- oder Teebeutel-Typ?» Tönt kurios. Dahinter verbirgt sich die Verstau-Technik von Böhme.
Der Sandwich-Typ stapelt alles aufeinander, bei Sushi wird gerollt, beim Teebeutel werden die Stücke mit Hilfe von Trennwänden aufgestellt. «Denn nur was man sieht, trägt man», sagt die Expertin und stellt in Yangüelas Schrank Boxen auf, legt BHs hintereinander. Die Ordnung hält sich nur, wenn man alles wieder zurück an seinen fixen Platz räumt. Und wo ist jetzt das Lieblingsstück? Gezielt zieht Yangüela ein Kleid mit hohem Schlitz hervor. Ein Griff, ein Treffer. Funktioniert diese neue Ordnung.