Am Sonntagnachmittag ist sogar das berüchtigte Zürcher Langstrasse-Quartier ein verschlafener Ort. Das Viertel, bekannt für Bordelle, Bars und Kreaturen am Rande des Wahnsinns, dümpelt träge in der Nachmittagssonne vor sich hin. Mittendrin liegt das «Rothaus», ein Hotel, in dem schon immer gerne Musiker abstiegen, wenn sie in der Stadt waren. Aus der Suite direkt unter dem Dach klingt Klavierspiel. Das Klopfen an der Tür wird überhört. Nach einer gefühlten Ewigkeit dreht sich endlich der Schlüssel im Schloss.
Dahinter liegt das Reich von Noah Veraguth, 30. Hier ist das Zuhause des Pegasus-Sängers. Beziehungsweise das, was einem Zuhause am nächsten kommt. Seit vier Jahren wohnt er in diesem Hotelzimmer, immer wenn er in der Schweiz ist. Hier hängen die Bilder, die sein Götti gemalt hat, der starb, als Noah sieben Jahre alt war. Sogar den Bösendorfer-Flügel seiner Grossmutter, die Pianistin war, hat er in dieses Wohnzimmer stellen lassen. «Eine Riesensache», erzählt Noah lachend. «Sie mussten die ganze Langstrasse absperren, damit ein Kran ihn hochhieven konnte.» Es hat sich gelohnt: Seither kann Noah – der übrigens bis heute keine Noten lesen kann – hier komponieren. Ein grosser Teil der Songs des aktuellen Pegasus-Albums «Beautiful Life» entstand im «Rothaus».
Mit 14 die Band gegründet
Aufgenommen haben die Jungs ihr Werk in Berlin, unter anderem weil sie dafür einen Plattenvertrag in Deutschland abgestaubt haben – ein grosser Erfolg für eine Schweizer Band. Aber Berlin ist nur eine Station im Leben und in der Karriere des umtriebigen Trios. Noah, Bassist Gabriel Spahni, 28, und der ehemalige Gitarrist Simon Spahr wuchsen in der gleichen Strasse in Biel auf und gründeten Pegasus mit 14. «So zu leben wie jetzt, immer unterwegs zu sein, das war schon damals unser Traum», erzählt Noah. So entstand das Album «Love & Gunfire» vor drei Jahren in London. Mit «Beautiful Life» touren Pegasus bis im Herbst durch die Schweiz, dann durch Deutschland. Wo es sie danach hinzieht, wissen sie nicht – und das ist gut so, finden Noah & Co.
Rastlosigkeit als Erfolgsrezept? Offenbar. Kaum eine andere Schweizer Popband hatte so viele Alben und Singles in der Hitparade wie Pegasus. Und mit «Skyline» gelang ihnen, was Schweizer Künstlern nur selten gelingt: ein Nummer-1-Hit in den Single-Charts. «Wir ordnen alles der Musik unter», sagt Gabriel Spahni bei einem Espresso auf Veraguths Dachterrasse mit Blick über Zürich. Dass Letzterer seinen 30. Geburtstag am 13. Juli bei einem Auftritt am Gurten-Festival feierte, passt. «So musste ich keine Party organisieren. Und es war trotzdem speziell.»
Mit der Liebe ist es kompliziert
Zu seinem Alter hat Noah ein gespaltenes Verhältnis. «Die Drei steht fürs Erwachsensein und eine gewisse Reife. Das ist einerseits ein gutes Gefühl, denn so langsam treffen sich Erfahrung und Energie.» Anderseits sorgt diese Drei bei Noah Veraguth für ein Gefühl, das er bisher nicht kannte: die Sehnsucht anzukommen. Eigentlich ist er überzeugt, dass immer am gleichen Ort zu bleiben, abstumpft: «Ich fürchte mich vor Stillstand.»
Und noch ein ungewohntes Bedürfnis sucht den Musiker immer öfter heim: das, sein Leben mit jemandem zu teilen. Er, der sich selbst gern mal als beziehungsunfähig beschrieb, sagt: «Es muss doch irgendwie möglich sein, eine Beziehung zu führen und Karriere als Musiker zu machen. Andere schaffen das ja auch!» Nicht dass es Noah nie versucht hätte – «aber eine feste Beziehung hat mich immer eingeengt und blockiert».
Noahs grösste Liebe ist Pegasus. Und als Gitarrist Simon die Band vergangenes Jahr nach 15 Jahren verliess, fühlte sich das ein bisschen an wie Liebeskummer. «Wir mussten uns zuerst wieder finden», sagt Veraguth. Man entschied, Simon nicht zu ersetzen und aus dem Quartett ein Trio zu machen. Eines, das sich optimal ergänzt: Noah, der Emotionale, Gabriel, der Rationale, und Schlagzeuger Stefan Brenner, 28, der Ausgleich dazwischen.
Eine feste Beziehung hat mich immer eingeengt und blockiert
Als «Vieldenker mit viel Gefühl» beschreibt Bassist Spahni den Band-Frontmann. «Veraguth hat die Hippieness der Sechziger, die Experimentierlust der Millennium-Kids und die lässige Internationalität der neuen Schweizer», schrieb «Die Zeit». Ein Hippie-Schrägstrich-Digital-Native? Ist es das, was den Bieler für seine Fans so unwiderstehlich macht? Oder sind es doch der Wuschelkopf und das scheue Zahnlücken-Lächeln, gepaart mit einer Mischung aus Herzlichkeit und Unnahbarkeit – und einer grossen Portion Ehrgeiz?
Go international
Das Ziel von Pegasus ist klar: international durchstarten. Nicht aus finanziellen Gründen, stellt Noah klar. «Sondern weil wir unsere Musik mit möglichst vielen Leuten teilen wollen.» Dass das nicht einfach wird, weiss Veraguth. Aber unmöglich ist es nicht. Abgesehen davon, dass seine «lässige Internationalität» nicht von ungefähr kommt – Noahs Mutter ist Brasilianerin, der Vater Bündner –, weiss er: «Glück hat, wer dafür arbeitet.»
Noah setzt sich wieder an den Flügel seiner Grossmutter, klimpert vor sich hin, summt eine Melodie. Gabriel und Stefan stellen sich dazu, schnippen einen Takt. Egal, ob das klappt mit der Weltkarriere. Und der festen Beziehung. An diesem Sonntagnachmittag, hier, unterm Dach des «Rothauses» an der Zürcher Langstrasse, ist Noah Veraguth angekommen.
Ab 12. 8. sind Pegasus auf Tour. Daten: www.pegasustheband.com