Ein Sonntag Ende Oktober, der Himmel über dem Zugerland ist ein graues Geschmier. Peter Hegglin, 57, öffnet die Tür in Pantoffeln, entschuldigt sich für das Wetter, fast so, als ob er es selbst gemacht hätte. Dann führt er ins Wohnzimmer, herein in eine gemütliche Ordnung: An den Wänden hängen Bilder von Zuger Künstlern, auf dem Schrank reihen sich Souvenir-Tassen.
Tochter Sonya, 27, kommt mit einem Stück Himbeertorte aus der Küche: «Chef, darf ich servieren?» Peter Hegglin grinst. Weil er weiss: Der «Chef» ist reine Koketterie. Zu Hause in Edlibach ZG bestimmen die Frauen.
Jeden Sonntag kommt die Familie zusammen: Petra, 28, Sonya, 27, Patrick, 25, und Luzia, 23. Heute sind nur Sonya und Luzia da – was die Kraft der Frauen aber nicht schmälert: «Daddy, zieh den Bauch ein für das Bild», «Daddy, sitz aufrechter.» Hegglins Frau Rosmarie, 52, hat sofort gespürt, dass es in ihrem Mann rumort, als Bundesrätin Doris Leuthard ihren Rücktritt bekannt gab. «Er soll die Chance packen», sagt sie, «ich bin Veränderungen gewohnt.»
«Die sogenannte Ochsentour habe ich hinter mir»
Als Erster hat Hegglin seine Kandidatur öffentlich gemacht – nach der Absage der weit bekannteren CVP-Männer Gerhard Pfister und Konrad Graber. «Höchste Zeit, dass die Zentralschweiz wieder im Bundesrat vertreten ist», sagt er. 13 Jahre sass er im Zuger Regierungsrat, seit 2015 ist er Ständerat.
Wenn Hegglin über Politik spricht, sind seine Antworten nüchtern und bedacht. Über seine Eignung als Bundesrat sagt er: «15 Jahre lang Exekutive, 15 Jahre lang Legislative – die sogenannte Ochsentour habe ich hinter mir.» Darüber, dass er keine Frau ist: «Ich gehe davon aus, dass die CVP auf ein gemischtes Ticket setzt.» Und über seine mögliche Rolle im Bundesrat: «Ich könnte zwischen den Polen vermitteln.»
Ob so viel Diplomatie ist man doch fast ein bisschen erleichtert, als er einen Schluck Schnaps in den Nachmittagstee rührt – natürlich nicht, bevor er allen anderen davon angeboten hat.
Einen eigenen Hof mit 27 Jahren
Als Kind hat Hegglin gelernt: Sei anständig, und arbeite für dein Geld. Der Bauernsohn ist in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Mit seinem ersten Lehrlingslohn als Landwirt kaufte er sich ein Paar Levi’s-Jeans. «Damals purer Luxus für mich, aber ich hatte ja etwas dafür geleistet.» Tochter Luzia schmunzelt, «typisch Daddy». Früher habe er sie und ihre Geschwister immer ermahnt: «Lebt ja nicht auf Pump!»
Mit 27 übernimmt Hegglin den Hof seiner Eltern und stellt auf Bio um, daneben amtet er als Kantonsrat – bis er 2002 den Sprung in den Regierungsrat schafft. Von einem Tag auf den anderen verkauft er seine 18 Kühe und 15 Stück Jungvieh, ebenso Inventar und Landmaschinen.
«Das war eine grosse Umstellung», sagt Hegglin und führt kurz an die frische Luft. Im stillgelegten Hof neben dem Wohnhaus steht noch immer ein Traktor, Jahrgang 1974 – «damals ein Hightech-Gerät», sagt Hegglin und klettert in die Führerkabine. Wie er dasitzt, die Füsse in Wanderschuhen, hinter ihm der rauchende Motor, da kommt Leben in ihn. Die Wärme der Tiere habe ihm noch lange gefehlt, sagt er. «Und doch habe ich den Schritt nie bereut.»
«Mir wurde klar, dass das Leben nicht ewig dauert»
Als Zuger Finanzdirektor und Präsident der Finanzdirektorenkonferenz verschaffte sich Hegglin schweizweit ein Renommee. Nach seinem Wechsel in den Ständerat wurde es ruhiger um ihn. SVP-Ständerat Alex Kuprecht, der mit Hegglin in der Sicherheitspolitischen Kommission sitzt, lobt dessen Detailkenntnisse und die kollegiale Art. «Aber ob er als Führungsfigur taugt? Ich bin skeptisch.»
Als sich Hegglin für seine Bundesratskandidatur entschieden hat, schreibt er zu Hause einen «Masterplan»: wann er was vorbereiten will – in der Hoffnung, dass er es aufs offizielle Ticket schafft. «Ich behalte gerne die Kontrolle», sagt er und nippt an seinem Tee.
Und doch gibt es an diesem Sonntag einen Moment, in dem sich Hegglin verletzlich zeigt – als er erzählt, wie er 2001 den Amoklauf im Zuger Ratsgebäude miterlebte. 14 Menschen starben, er selbst blieb unverletzt. Seine Frau sagt, er brauche seither mehr Schlaf. «Mir wurde klar, dass das Leben nicht ewig dauert», sagt er. Vielleicht auch darum ist er so gut im Chancenpacken.