Ohne dich wäre ich nicht da, wo ich heute bin», sagt der erfolgreiche Bluessänger und legt einen Arm um Anna Rosa Hodel. Die 78-Jährige ist eine vitale Frau, sie mustert «meinen Philipp», dann ruft sie: «Du bisch de ä Schöne!» Es habe sie gefreut, ihn immer wieder mal im Radio zu hören und am Fernsehen zu sehen – etwa bei der Castingshow «The Voice of Switzerland», wo der Thuner in der Jury sass.
Doch ab und zu sei ihr dabei durch den Kopf gegangen: Ohne mich würde der Philipp ja gar nicht mehr leben! Fankhauser, 53, nickt. «Stimmt, das war kritisch damals.» Dann gibt er Anna Rosa Hodel ein Müntschi. «I danke dir vo Härze!»
Das erste Treffen am Ort des Geschehens
Es ist das erste Mal, dass sich die beiden an dem Ort sehen, wo sich das Drama vor 49 Jahren ereignet hat – vermittelt hat das Treffen die Schweizer Illustrierte. Philipp Fankhauser lebt in der Region Zürich, Anna Rosa Hodel im nahen Hilterfingen BE. Nun stehen sie auf einem winzig kleinen Inselchen am Ufer des Thunersees, in Gwatt, einem Stadtteil von Thun. Ein Brüggli führt hinüber auf das private Eiland mit seinem Bootssteg.
Der renommierteste Schweizer Bluesmusiker, chic wie immer, ist mit seinem Hund gekommen, dem dreijährigen Mops Trevor. «Da hinten haben wir gewohnt», sagt Hodel und zeigt zu den flachen Häusern gleich hinter der Brücke. «Unsere Familien waren gute Nachbarn.» Fankhauser rückt seine Schiebermütze zurecht, es ist nasskalt und ungemütlich.
Fankhauser fiel ins eiskalte Wasser
Doch an jenem Januartag anno 1968 wars richtig kalt. Schnee, eine dünne Schicht Eis bedeckt den Schilfgürtel am See. Der vierjährige Philipp spielt mit ein paar Kameraden am Ufer – einer ist Adrian, der drei Jahre ältere Sohn von Anna Rosa Hodel.
«Auf der mit Schilf bestandenen Böschung lag ein Boot», beginnt Fankhauser zu erzählen. «Dort fiel ich plötzlich rücklings ins eiskalte Wasser. Ich konnte nicht schwimmen und sank langsam auf den Grund. Durchs Eis sah ich verschwommen die Silhouetten meiner drei Gschpänli, das Licht war ganz diffus. Es kam mir friedlich vor. Ich dachte, jetzt stirbst du. Angst hatte ich keine.» Das sei seine früheste Kindheitserinnerung, sagt Fankhauser, «die Szene hat sich fotografisch in meinem Hirn eingebrannt».
Sein Spielkamerade war geschockt
Adrian ist vom Schrecken gepackt, als er sieht, dass sein Freund ins Wasser fällt. Er rennt über das Brüggli, dann die 50 Meter zum Haus seiner Eltern, schreit verzweifelt: «Mami, Mami! Philipp ist in den See gefallen!»
Anna Rosa Hodel zögerte keine Sekunde
Seine Mutter, damals 29 Jahre alt, ist gerade am Arbeiten im Elternschlafzimmer, dieses liegt im Parterre. Hodel erinnert sich: «Zum Glück stand das Fenster offen. Ich kletterte raus, rannte in Hauskleidung ans Ufer, dabei starrte ich unentwegt aufs Wasser. Ich sah nur noch etwas Rotes versinken – Philipp in seinem Wintermäntelchen.» Die Frau überlegt nicht, springt mit den Kleidern ins Wasser, die Pantoffeln hat sie unterwegs verloren. Bis zum Bauch steht sie im Wasser, sieht Philipp am Seeboden liegen. Dann taucht sie, packt ihn, zieht ihn aus dem Wasser.
Den halb bewusstlosen Bub legt sie in die Arme von dessen herbeigeeilter Mutter. «Erst dann spürte ich die eisige Kälte in den Knochen. Ich nahm meinen Sohn an der Hand und lief zum Haus zurück, wo wir wieder durchs Schlafzimmerfenster kletterten. Ich schlotterte am ganzen Leib, legte mich in voller Montur in die Badewanne und füllte sie mit warmem Wasser.» Etwas später sei Doktor Zimmermann vorbeigekommen, Philipps Kinderarzt, «er erkundigte sich nach meinem Befinden und bedankte sich».
Ausser den Gedanken an den Tod seien seine Erinnerungen an diesen Tag getrübt und spärlich, sagt Fankhauser. «Ich sah nur noch, wie Frau Hodel mit ihrem blonden, hochtoupierten Haar samt Rock und Strümpfen ins Wasser sprang.»
Der Vorfall am See hat Fankhauser geprägt
Frankhauser hält inne, es beginnt zu regnen. Er lädt Anna Rosa Hodel zu einem Kaffee ins Thuner Restaurant Spedition ein. Seit jenem Januartag 1968 habe er «einen Heidenrespekt» vor Wasser, erzählt er. Er sei kein guter Schwimmer – und später noch sechs weitere Male fast ertrunken, einmal hat ihn sein Bruder gerettet. «Das Wasser will mich. Irgendwann. Ich spüre es.»
Trotzdem geht er immer wieder baden, auch im Meer. «Doch ich bin vorsichtig.» Steigt er beispielsweise vom Motorboot in den Zürichsee, ist auch Trevor in einer Hundeschwimmweste dabei.
Sein neues Album erinnert ihn an das Drama
«Ohne dich wäre es um mich geschehen. Ich bekam ein zweites Leben geschenkt», sagt der Bluesman zu Anna Rosa. Vor zwei Jahren hat er den Song «I’ll Be Around» geschrieben – «Ich werde da sein». Erst als er sich entschied, auch sein neues Album so zu nennen, erkannte er den Bogen: «Wäre ich damals ertrunken, wäre ich nicht mehr around. Ich habe unheimlich viel erlebt in all meinen Jahren.»
Sein 15. Album in seiner 30-jährigen Karriere hat der Blueser diesen Sommer in den Malaco Studios in Jackson, Mississippi, USA, aufgenommen, mit den legendären Produzenten Dennis Walker und Wolf Stephenson. Die neue CD kommt soulig daher, präsentiert einen gereiften, relaxten Mister Blues. «Für mich ist es der Startschuss zu meiner zweiten musikalischen Lebenshälfte.»
Zum Abschied drückt er seiner Retterin lange die Hand. «I’ll be around. Dank dir, Annarös.» Sie schaut ihn an und gesteht: «Seither bist du auch ein wenig mein Bueb.»