Raphael Diaz, wer hat es wem zu verdanken, dass Sie beide nach Südkorea fliegen dürfen? Hat Daniela den Weg vorgespurt?
Raphael Diaz: Nein, es war umgekehrt. Sie ist zwar vier Jahre älter, aber ich habe sie zum Eishockey gebracht. Wir haben daheim immer schon gegeneinander «gchäpslet».
Daniela Diaz: Er musste sich als kleiner Bub durchsetzen, um überhaupt mit Eishockey beginnen zu dürfen.
Wie ging das?
Raphael: Ich stand bereits mit drei, vier Jahren auf Schlittschuhen. Mir gefiel das sehr. Ich wollte unbedingt ins Hockey. Zuerst durfte ich nicht, weil die Eltern fanden, es sei zu teuer, ich solle zum Fussball. Aber mit fünfeinhalb Jahren setzte ich meinen Kopf doch durch. Auch weil die Mutter einen Job annahm, um mir die Ausrüstung zu kaufen.
Daniela: Bei mir als Mädchen dauerte das länger. Mit 12 durfte ich dann auch. Zuvor habe ich auf dem Aussen-Eisfeld etwas gespielt. Und mit Rafi daheim im Gang.
Es ist nicht gerade üblich, dass man es in den Profisport schafft, wenn die Eltern nicht von Beginn an voll mitziehen.
Daniela: Eishockey sagte der Familie früher halt nicht viel. Der Vater aus Spanien, die Mutter aus Luzern. Da war Eishockey recht exotisch. Aber es war unser Glück, dass wir nahe der Eishalle aufgewachsen sind.
Raphael: Richtig gut findet der Vater Eishockey heute noch nicht. Zu gefährlich, findet er. Zu aggressiv. (lacht) Der grosse Hockeyfan ist er nicht. Auch wenn er ab und zu schauen kommt.
Daniela: Aber die Mutter wurde zum Fan. Sie war die Betreuerin, unterstützte ihn, fuhr ihn zum Training. Sie war der Motor.
Eishockey ist sehr zeitintensiv. Gab es in der Familie bei zwei spielenden Kindern überhaupt noch andere Themen?
Raphael: Es drehte sich schon viel um Eishockey. Es war früher zentrales Gesprächsthema und heute auch oft. Ich erinnere mich, wie wir vor dem Radio sassen und mitfieberten, wenn der EVZ spielte. Am Wochenende hatten wir Matches, dazu am Mittwoch. Und die armen Frauen hatten am Mittwochabend gar erst um 23 Uhr Spiele oder Training.
Daniela: Und Raphael kam zuschauen. Das macht er heute noch ab und zu.
Raphael: Daniela war schon früh eine sehr dynamische Schlittschuhläuferin, hatte einen guten Schuss, war eine Skorerin. Es machte Spass, ihr zuzuschauen.
Eishockey ist ein sehr physischer Sport. Gab es zwischen den Geschwistern Diaz auch übertriebene Härte zwischen Esstisch und Kinderzimmer?
Daniela: (lacht) Es gab schon kleine Kämpfe daheim, wenn es nicht so lief, wie er wollte.
Raphael: Ich konnte einfach nicht verlieren. Wurde richtig sauer.
Daniela: Irgendwann liessen wir – die ältere Schwester und ich – ihn dann gewinnen, weil es so mühsam wurde. Das macht ihn aber auch aus. Diesen Ehrgeiz brauchte er.
Eishockey war zentral, sagen Sie. Litten die schulischen Leistungen nie darunter?
Daniela: Bei ihm war es sicher intensiver, weil er viel extremer aufs Eishockey setzte. Das unter einen Hut zu bringen, war nicht immer einfach. Ich hatte mehr Zeit.
Sie beide investierten sehr viel Zeit in Ihre Leidenschaft. Aber Sie wussten von Beginn weg, dass es eigentlich nur Männern möglich ist, mit Eishockey richtig Geld zu verdienen. Haderten Sie nie damit?
Daniela: Richtig Geld verdienen zwar nicht, aber man kann auch als Frau viel erreichen im Eishockey. Neid verspürte ich nie. Als Raphis Karriere in Fahrt kam, war es ein schönes Gefühl. Denn er verzichtete auf so vieles. Er wusste immer, was er will. Er arbeitete hart dafür. Ich ging wohl etwas öfter in den Ausgang, genoss meine Freiheit. Er musste verzichten, war zielstrebig, ehrgeizig. Als er den Durchbruch als so junger Spieler schaffte, hatte ich wahnsinnig Freude. Wir sind so stolz auf ihn.
Sie schafften es dafür zuerst nach Nordamerika.
Daniela: Ja, nach Olympia in Turin 2006 spielte ich eine Saison lang bei den Etobicoke Dolphins in der National Women’s Hockey League, einem Team, das in Toronto beheimatet war. Ich wohnte in einem Haus mit vier anderen Spielerinnen. Das Niveau war hoch. Bei den Mitspielerinnen, bei den Trainerinnen. Alles war viel professioneller. Es war eine grossartige Erfahrung.
Würden Sie auch von einer grossartigen Erfahrung sprechen, wenn Sie auf Ihre NHL-Karriere zurückblicken, Raphael?
Raphael: Absolut. Natürlich hätte ich auf gewisse Dinge verzichten können. Aber bereuen tue ich nichts. Ich musste ein paarmal in den sauren Apfel beissen. Das hat mir als Mensch jedoch weitergeholfen. Ein Highlight war, in Montreal spielen zu können. Oder mit den New York Rangers im Stanley-Cup-Final zu stehen. Schwierig waren die Trades. Das ist ein hartes Business. Plötzlich wirst du transferiert. Aber meine Frau war eine Riesenstütze.
Haben Sie ein Beispiel?
Wir hatten mit Vancouver in Arizona ein Spiel, trainierten noch dort. Am nächsten Tag kam der Coach und sagte, du wirst sofort nach New York transferiert. Ich fragte, was mit dem Umzug sei. Es hiess: Das musst du selbst organisieren. Meine Frau musste das Apartment leeren, die Sachen in sieben Koffer packen. Das waren die Dinge, die weniger schön waren. Aber als Mensch haben sie mich reifer, erwachsener gemacht.
Daniela, Sie sind mittlerweile die erste vollamtliche Trainerin des Eishockey-Nationalteams der Frauen. So etwas war vor ein paar Jahren noch undenkbar.
Daniela: Ja, das zeigt, dass wir grosse Fortschritte erzielt haben. Ich muss aber heute noch fürs Frauenhockey kämpfen. Ums Image, um den Respekt. Aber in meinem direkten Umfeld wissen die Leute, wie viel wir investieren. Fünf bis sechs Mal Trainings plus Spiele. Sie opfern ihre ganze Freizeit, arbeiten oder studieren noch neben dem Sport.
Respektieren die männlichen Hockey-Profis das Frauen-Eishockey?
Raphael: Jene, die etwas davon verstehen, schätzen es sicher. Ich weiss noch, wie Damien Brunner einst von Lara Stalder schwärmte, als er ihre Fähigkeiten auf dem Eis im Training sah. Ich habe das im Schusstraining auch einmal gesehen. Das war unglaublich, welche Technik sie hatte. Die Fortschritte, die gemacht wurden, sind wirklich gross.
Daniela: Bei Olympia wollen wir zeigen, wie attraktiv das Fraueneishockey geworden ist. Wir haben technisch, taktisch und physisch riesige Sprünge gemacht.
Trotzdem sind die Spiesse im Vergleich zu den besten Nationen, Kanada, den USA, ungleich lang.
Daniela: Ja, nur schon, weil sie aus einem viel grösseren Reservoir schöpfen können. Seit Sotschi gab es bei uns zwar eine markante Steigerung der lizenzierten Spielerinnen von etwas über 1000 auf 1600. Das ist im Verhältnis zu den 90 000 der Kanadierinnen aber immer noch sehr wenig.
Raphael: Bei den Frauen ist der Unterschied eben riesig. Kanada und die USA sind top. Aber auch für die Schweiz ist einiges möglich. Sie müssen sich nicht verstecken.
2014 in Sotschi gab es überraschend Olympia-Bronze für die Frauen. Ist so etwas wieder möglich?
Daniela: Ich habe beschlossen, dass das Träumen Sache der Spielerinnen ist. Wichtig ist für mich, dass wir unser Potenzial abrufen und das Frauenhockey gut präsentieren. Hinter den Topnationen ist es relativ eng. Da kann alles passieren.
Und was liegt bei den Männern drin in einem Turnier ohne NHL-Stars?
Raphael: Wir müssen wie in Stockholm in einen Lauf kommen. Damals trug uns plötzlich eine Welle. Ich kann das kaum beschreiben. Was die NHL betrifft, finde ich es schade. Es geht nicht nur um Leute wie Crosby und Owetschkin. Auch das Niveau der anderen ist extrem hoch. Sie fehlen dem Turnier.
Wer ist Ihr Favorit?
Raphael: Ganz klar Kanada. Sie haben trotzdem Leute dabei, die 800 NHL-Spiele in den Beinen haben.
Als Geschwister bei Olympia zu sein, ist aussergewöhnlich. Treffen Sie sich?
Raphael: Wir werden im Village sehr nah beieinander wohnen und uns ab und zu sehen.
Daniela: Es ist mega schön, zu zweit da zu sein. Viel Zeit habe ich zwar nicht. Aber für ein Erinnerungsfoto wird es allemal reichen.
Das ist ein Interview aus SI Sport #1 vom 9. Februar 2018