Schuld ist Hollywood! Die Filmbosse hätten Superstar Tom Cruise für «Mission Impossible» nur einen hässlichen älteren Bruder zur Seite stellen müssen, der des Schweizerdeutschen mächtig ist, dann könnte Reeto von Gunten, 52, sonntags ausschlafen und mit seiner Ehefrau und seinen Teenager-Kindern gemütlich brunchen. So aber springt er frühmorgens 4 Uhr aus dem Bett, fährt ins Radiostudio, setzt sich hinters Mikro und weckt die Schweiz sanft – statt vor der Kamera mit Bruder Tom haudraufmässig die Welt zu retten.
Lehrer ist er. Schauspieler will er werden. So steigt von Gunten Ende der 1980er-Jahre nach der Lehrerausbildung ins Flugzeug nach New York, marschiert ins Lee Strasberg Theatre & Film Institute und sagt: «Grüezi, ich wiu i Euichi Schuel.» Fünf Mal lehnen sie den Schweizer ab. Im Nachhinein glaubt er, «dass sie mich dann nur genommen haben, weil sie ihre Ruhe wollten». Mit Maria Walliser, die 1991 ebenfalls die Schauspielschule in New York besucht, muss von Gunten eine Szene improvisieren. «Sie hatte nicht die geringste Ahnung, dass ich Schweizer bin und sie kannte.»
Velokurier und Deutschlehrer
Vier Jahre bleibt von Gunten im Big Apple. Er schlägt sich als Velokurier durch, schleppt in Bars Getränke aus den Kellern, gibt Deutsch-Stunden. «Alles, was ich ohne Arbeitserlaubnis machen konnte.» Bis sein Agent ihm süffisant unter die Nase reibt, er werde ihn schon finden, wenn die Rolle von Tom Cruise’ hässlichem Bruder zu besetzen sei. «Da wusste ich, jetzt kann ich gehen.» Ausserdem hat von Gunten kein Geld mehr, verdient nichts mehr und hat noch mehr Schulden. Trotzdem zieht er ein positives Fazit: «Es war eine der besten Schulen, die ich gemacht habe.»
Zurück in der Schweiz, arbeitet von Gunten zunächst wieder als Lehrer. Bis er seine Schüler, die er in der 5. Klasse übernahm, nach fünf Jahren verabschieden muss. Plötzlich sei ihm bewusst geworden, «dass alles wieder von vorne beginnt und ich in eine Sackgasse renne». Er marschiert ins Büro des Schulrektors und kündigt.
Lebenslauf als Radiosendung
Zum Radio bringt ihn ein ehemaliger Schulkollege. DRS 3 sucht Leute. Nur hat Reeto von Gunten keine Lust auf den Bewerbungskram. Stattdessen schickt er eine Demokassette, auf der er seinen Lebenslauf so erzählt, als würde er eine Radiosendung moderieren, spielt dazu Linda Ronstadts «To Know Him Is to Love Him» – und hat zwei Wochen später einen neuen Job als Moderator.
Nicht nur hören, auch sehen kann man Reeto von Gunten seit 2008. Seine Dia-Abende und Lesungen gelten laut «NZZ» als «etwas vom Hippsten», was man derzeit auf Kleinkunstbühnen erleben kann. Sechs Zuschauer sassen an seinem ersten Abend vor ihm. Bewirtet mit von Guntens selbst gemachtem Risotto. Er könnte längst nicht mehr den Kochlöffel für seine Fans schwingen. Rund 100'000 Zuschauer werden ihn am Ende seiner aktuellen Tour gesehen haben. Ohne dass Tom Cruise an seiner Seite für Action sorgen muss.