Satire darf alles. Hätte ich bloss früher daran gedacht! Jetzt ist es zu spät. Wie eine Heimsuchung steht Renato Kaiser vor der Haustür. Im Schlepptau das Fototeam mitsamt all seinem technischen Krempel. Ein paar Wochen ist es her, dass ich ihm die verhängnisvolle Frage gestellt habe: «Wir wollen eine Geschichte über dich machen. Hast du für die Inszenierung einen besonderen Wunsch?»
Kaiser muss nicht lange überlegen: «Ja, gerne eine richtige Schweizer-Illustrierte-Homestory. Wie früher, mit Schaumbad, Bettbild, Kochherd, das volle Programm halt.» Oh, gerne, hätte ich doch genau dieses Begehren von einem dieser coolen Slampoeten nicht erwartet. Dann Kaisers fataler Nachsatz: «Aber nicht bei mir zu Hause, sondern bei dir. Drehen wir die ganze Sache doch mal um hundertachtzig Grad.»
Päng. Da hats mich erwischt. Also, hereinspaziert in die gute Stube. Dass sich diese «andere Homestory» im sankt-gallischen Zuzwil abspielt, passt dem Satiriker, Wortkünstler, Video-Blogger und Komiker gut. Der 33-Jährige wohnt zwar schon lange in Bern, doch sein Ostschweizer Dialekt verrät die Herkunft aus Goldach SG.
«Für Satire gibts keine Grenze»
Seit er als Aussenreporter für die neue SRF-Satiresendung «Late Update» jeweils am Sonntagabend mit stoischer Miene die absurdesten Analysen zum Zeitgeschehen in den Schweizer TV-Stuben verbreitet, kennt ihn auch ein breites Publikum. Dabei ist ihm nichts heilig. Weder klimastreikende Schüler noch die bischöfliche Spermienproduktion.
«Für Satire gibts keine Grenze», sagt er, «es sei denn, sie will einfach um der Provokation willen provozieren. Dann ist sie nicht lustig.» Seiner Idee mit der umgekehrten Homestory liegt ein einfaches Konzept zugrunde: «Satire lebt extrem von der Umkehrung, vom Perspektivenwechsel.»
Wer aber ist dieser Mann mit den schrägen Ideen? Kaiser stammt aus «liberalem Mittelstands-Elternhaus mit viel sozialem und politischem Interesse». Vater Willy war Elektromonteur, ist heute IT-Spezialist. Mutter Cristina ist Hausfrau, hat zur Mitfinanzierung des Studiums ihres Sohnes schon im Altersheim gearbeitet. Zuvor war sie auch Kassierin im Denner.
Eine Frau, die mitten im realen Leben steht – und italienischstämmig ist. Das prägt Renatos Interessen: «Meine Themen drehen sich oft um Rassismus und Sexismus. Weil beides so absurd ist. Grundsätzlich aber mache ich mir Gedanken über alles. Ich bin ein Fan der Normalität.» Anders als andere Satiriker ist Kaiser nie verletzend. Er gewinnt auch den «vielen Tübeln, die es gibt», noch etwas Nettes ab, wenn er sich lustig macht über ihre Engstirnigkeit.
Video: So lief das Shooting mit dem Satiriker ab
Doch man sollte sich nicht einlullen lassen. Renato Kaiser denkt messerscharf und formuliert noch schärfer. Schon als Kantischüler in St. Gallen übt er sich als Autor der Schülerzeitung in «experimentellem Schreiben». Von zu Hause früh politisiert, nimmt er sich bereits da gesellschaftsrelevanter Themen an. Das Rauchverbot im Schulareal animiert ihn ebenso zur frechen Analyse wie der Schüler-Sitzstreik zum Irakkrieg.
Kaiser beginnt ein Geschichts- und Germanistikstudium in Fribourg. Ziel: Lehrer. Seine Freizeitbeschäftigungen als Fussballgoalie, «begnadeter» Blockflötist, Trompeter in der Melodia Goldach oder Mitglied einer «ambitionslosen Funkrock-Band» hat er aufgegeben zugunsten der Schreiberei – und der Slam-Poesie. «Ich verband diese zuerst mit Rap und Hip-Hop, woran ich wenig Interesse hatte. Doch dann erlebte ich 2004 in Schaffhausen den ersten Slam – und war fasziniert.»
Der Erfolg kam zufällig
Im März 2005, ein halbes Jahr vor Studienbeginn, bestreitet Kaiser in Sirnach TG seine Poetry-Slam-Premiere – und räumt bald ab bei den Contests. Der Weg auf die Bühne scheint vorgezeichnet: «Ich wollte schon als Viertklässler Schauspieler werden.» Ab 2007 dann die ersten Anfragen für Soloauftritte, seine Agenda füllt sich. Es kommt, wie es kommen muss: «Kurz vor dem Bachelor wurde mir alles nebeneinander zu viel. Das wars mit dem Studium.»
Bekanntheit über die Insider-Slam-Szene hinaus erhält er eher zufällig. 2016 ärgert er sich derart über die Durchsetzungs-Initiative, dass ihm der Kragen platzt. Er verfasst einen Videoblog zum Thema, der innert Kürze viral geht. Zu jener Zeit erkennt Kaiser, dass die Satire sein Metier ist. Über 300 000 Views machen ihn zum neuen Star der Videoblogger-Szene. Beim Newsportal Watson erhält er einen bezahlten Blog.
Als seine grösste Stärke bezeichnet Renato Kaiser seine Unabhängigkeit von Klischees und Interessengruppen. «Ich war stets der Durchschnittstyp, auch äusserlich. Ich war nie der Mädchenschwarm auf dem Pausenplatz, war weder dick noch schlank, weder gross noch klein. Mich mochten alle.» Kaiser sagt, sein Pragmatismus und seine Menschenfreundlichkeit hätten ihm stets geholfen. Und auch seine Normalität. «Ich war noch nie cool.»
Freundin mit Fertiggericht erobert
Gewirkt hat sein «gemütlicher Charme» anscheinend schon früh. Bereits 2003, in der Kantizeit, kommt er mit seiner heutigen Partnerin Jasmin zusammen. Ein bisschen Comedy ist auch da dabei. «Bei einem unserer ersten Dates kochte ich für sie. Ein Fertiggericht. Obwohl ich wusste, dass sie mitten in einer Kochlehre steckte. Aber mein guter Wille scheint sie gerührt zu haben.»
Und nun rührt dieser Renato Kaiser also die Nation zu Lachtränen. Mit seinem hintersinnigen Humor. Seis bei seinen Auftritten in «Late Update», mit dem Internet-Blog «Kaiservideos», bei seinen Bühnenprogrammen oder der regelmässigen Satireshow «Kaiser-Schmarren» im Casinotheater Winterthur.
Doch an diesem Tag macht er vor allem gehörig Arbeit. Als Instruktor zum Röstiwenden, als Schaumschläger im Bad, bei der Kissenschlacht – Renato Kaiser gibt alles. Die «umgekehrte Homestory» ist sein Privatprogramm fürs SI-Team. Für mich auch hinter her, mit Wischmopp und Staubsauger.
Wie gesagt: Im Umgang mit Satirikern erst nachdenken, dann Vorschlag machen!