Mit Robert Federer, 33, zu reden, ist auch heute ein Privileg. Denn der 68-jährige Rheintaler hält sich gerne im Hintergrund und ist oft unterwegs. Auch für die Roger Federer Foundation, welche Sporttalenten aus der ganzen Schweiz unter die Arme greift.
Schweizer Illustrierte: Robert Federer, Ihr Sohn Roger wurde schon in jungen Jahren von verschiedener Seite finanziell unterstützt. Hätte es sonst keinen Weltstar gegeben?
Robert Federer: Vielleicht. Roger will deshalb auch gerne etwas zurückgeben. Wir konzentrieren uns dabei selbstverständlich nicht nur auf Tennistalente. Wir unterstützen derzeit 34 Sporttalente. Darunter 4 Behindertensportler. Das Patenschaftsprojekt der Sporthilfe ist eine der ältesten Initiativen der Stiftung und war lange Zeit auch das einzige Engagement in der Schweiz. Wir fokussieren ansonsten ja mehrheitlich auf Afrika. Bei der Auswahl der Athleten ist eines der wichtigsten Kriterien, dass sie ohne diese Hilfe ihren Traum nicht leben könnten. Jedes Talent soll eine Chance haben.
Warum operieren Sie nach dem Prinzip Giesskanne und fokussieren die Beträge nicht auf die vielversprechendsten Talente?
Wir möchten die ganz jungen Talente unterstützen. Das Patenschaftsprogramm der Sporthilfe nimmt bereits Zwölfjährige auf. Bei Kindern kann man aber noch nicht beurteilen, wer den Durchbruch eines Tages schafft und wer nicht. Wir bezahlen 2500 Franken pro Athlet, wobei der Sportler 2000 Franken erhält und 500 bei der Sporthilfe bleiben. Ich bevorzuge es, 34 Talente mit 2500 Franken zu unterstützen statt nur vier mit je 20'000.
Macht das Sinn?
Ja, eine Umfrage hat gezeigt, dass dies ein entscheidender Zustupf ist. Wir hatten auch nicht allzu viel Geld. Der Beitrag ist aber auch Motivation und Anerkennung für das bisher Geleistete.
Wir haben 30'000 Franken pro Jahr investiert
Wie viel gaben Sie vor 20 Jahren für Roger aus?
Wir haben zu der Zeit 30'000 Franken pro Jahr investiert.
Das waren Ihre persönlichen Ausgaben. Wer ein Tennistalent heute im Teenageralter quer durch Europa schickt und selbst beruflich noch zurücksteckt, hat schnell 200'000 Franken pro Jahr ausgegeben.
Natürlich kostet alles zusammen sehr viel mehr Geld. Wir wurden früher glücklicherweise sehr stark von Swiss Tennis unterstützt. Roger hat bewiesen, dass auch der Tennisverband Talente an die Spitze bringen kann. Wenn Roger unterwegs war, bezahlte Swiss Tennis den Coach und die Reisespesen. Als er später nach Ecublens ins nationale Leistungszentrum für Tennis ging, übernahm der Verband auch einen grossen Teil des Schulgeldes. Und in der Zeit davor in Basel wurden wir vom Tennis Club Old Boys und von der Basler Tennisvereinigung unterstützt. Alleine hätten wir die Ausgaben nicht stemmen können.
Ist es für einen Durchschnittsverdiener heute zumutbar, sein Kind im Tennis zu fördern?
Das kommt darauf an, wie man es macht, wen man mit einbezieht, und so weiter. Die jungen Spieler von heute meinen, sie müssten zwei Privatstunden pro Woche haben. Roger hatte früher pro Woche dreimal Gruppentraining, unter anderem auch mit Marco Chiudinelli. Daneben gab es eine Privatstunde pro Woche. Als Roger acht Jahre alt war, kam es uns nicht in den Sinn, schon 14 Stunden pro Woche zu trainieren, wie sie es heute tun. Ich denke, dass hier übertrieben wird. Es sollte auch viel polysportiv gearbeitet werden.
Die Frage ist, ob ein Talent ohne diesen grossen Aufwand heute noch an die Weltspitze kommt.
Ich weiss es nicht. Ich sehe nur, dass die heutigen Junioren gar nicht mehr frei miteinander spielen können. Am Wochenende spielen sie Turniere und während der Woche sind sie unter konstanter Aufsicht. Das war bei uns nicht so.
Wenn das Kind in seinem Jahrgang nicht zu den Top 3 gehört, sollte man sich hinterfragen
Wann macht es Sinn, ein Kind zu fördern, und wann lässt man es lieber sein?
Wenn das Kind in seinem Jahrgang nicht zur absoluten Spitze gehört - also nicht zu den Top 3 -, sollte man sich schon hinterfragen. Denn viele wollen hoch hinaus. Aber nur die allerwenigsten schaffen es. Es gibt sehr ambitionierte Eltern, die lange nicht merken oder sich nicht eingestehen wollen, dass es wohl nie zum grossen Durchbruch kommen wird. Man sollte jederzeit ehrlich mit sich und dem Kind sein. Auch oder gerade weil man viel investiert hat.
Hatten Sie nie Zweifel, dass die Investition in Roger sich nicht auszahlt? Dass er scheitern könnte?
Eine gute Frage (überlegt). Ich fragte Roger als Teenager, ob er ins Bollettieri-Training nach Florida möchte. Er wollte dies auf keinen Fall. Dann fragte ich ihn kurze Zeit später, ob er nach Ecublens wolle, was er ebenfalls verneinte. Einen Monat später las ich aber ein Interview von Roger, in dem er erklärte, dass er nach Ecublens gehen wolle. Ich war ziemlich überrascht und sagte ihm ziemlich genervt, dass er doch vor ein paar Wochen anders entschieden habe! Er meinte dann, dass er erst jetzt so weit sei. Also ging er. Und ich sagte ihm, dass wir nach zwei Jahren anschauen würden, wo er steht und ob der Tennisleistungssport immer noch der richtige Weg ist. Mit 16 kann man immer noch viel machen, falls es nicht klappt.
Mit 16 war er schon in den Top 10 Europas.
Ja, mit 16 war er die Nummer 5 oder 7 in Europa. Er trainierte dann in Biel. Aber auch zu diesem Zeitpunkt nahmen wir Schritt für Schritt und gaben ihm zwei weitere Jahre. Als er mit 17 Junioren-Weltmeister wurde, die Orange Bowl in Florida gewann, mussten wir keine Sekunde mehr überlegen. Da war es für uns klar, dass wir auf die Karte Tennis setzen konnten. Wir hatten es im Vergleich mit anderen einfach zu entscheiden.
War für Sie die Förderung von Roger kein finanzielles Wagnis? Mussten Sie auf etwas verzichten?
Nein, verzichten würde ich nicht sagen. Aber ich behielt natürlich meinen Job, und meine Frau erhöhte deswegen ihr Arbeitspensum bei Ciba-Geigy, damit mehr Geld zur Verfügung stand. Lynette und ich finanzierten das zusammen, dafür arbeiteten wir. Und dann hatten wir eine wunderbare Ablösung von Swiss Tennis. Zudem wurde Roger immer besser, fing an, Geld zu verdienen. Roger konnte gewisse Dinge nun selbst bezahlen. Und eine Zeit lang erhielt Swiss Tennis eine Kommission der Preisgelder. Später lösten wir uns ganz vom Verband.
Martina Hingis ging ihren eigenen Weg ohne den Verband.
Hingis verdiente ja auch so früh viel Geld, dass die Mutter das zusammen mit den Sponsoren gut finanzieren konnte. Die Mädchen sind früher reif. Sie sind also weniger lange finanziell abhängig. Bei den Männern gibt es kaum Spieler unter 20 Jahren, die in den Top 100 sind. Und ausserhalb der Top 100 braucht man meist jede Unterstützung, die man bekommen kann.
Die Eltern müssen finanziell oft anschieben, um eine Karriere in Gang zu bringen. Und wollen im sportlichen Bereich darum mitreden. Warum haben Sie sich da völlig herausgehalten?
Ich finde, es ist eine schwierige Situation für die Entwicklung des Kindes, wenn die Eltern in jedem Bereich mitreden und nicht mehr loslassen können. Man soll die jungen Leute manchmal lieber selber machen lassen. Aber auch da gibt es natürlich verschiedene Wege. Es gibt nicht richtig und falsch. Aber Tendenzen.
Ein Kind soll machen, worauf es Lust hat
Hätten Sie heute ein Kind, das auf eine wenig lukrative Sportart setzt, würden Sie es bekräftigen?
Auf jeden Fall. Ein Kind soll machen, worauf es Lust hat.
Roger hätte also auch Kunstturner werden können, und Sie hätten es ermöglicht?
Klar. Darum unterstützen wir die Sportler auch quer durch die Sportarten. Wenn Roger nicht Tennisspieler geworden wäre, hätte er wohl auf Fussball gesetzt.
Wenn ein Kind eine zeitintensive Sportart wählt, können sich die Eltern doch heute ein eigenes Hobby ans Bein streichen.
Die Jungen trainieren viel öfter als früher, zweifellos. Gerade im Tennis. Mit zwölf spielen sie schon 12 bis 14 Stunden pro Woche. Ich weiss ehrlich gesagt nicht, was ich davon halten soll. Mit zwölf spielte Roger noch Fussball. Ich ging mit ihm Squash spielen. Ich bin ein Freund davon, dass man polysportiv aufwächst. Aber es ist auch klar, dass man nicht bis 16 drei bis vier Sportarten machen kann, wenn man Erfolg haben will. Man muss sich ab 14 wohl schon auf einen Sport konzentrieren. Da reden wir aber von den Talenten. Generell finde ich, sollen Kinder und Teenager so viele Sportarten wie möglich machen.
Warum sollen Eltern Geld investieren?
Wenn wir das Geld mal beiseitelassen: Teenager sollen die Möglichkeit haben, sich zu beschäftigen. Man nimmt sie mit einer Aufgabe von der Strasse weg. Statt das ganze Wochenende nur im Ausgang zu sein, sind sie gefordert. Wichtig ist aber auch, dass man das Kind nicht überfordert mit Schule und Sport. Es gibt heutzutage für Talente immer bessere Lösungen, ob in Sportschulen oder in normalen Schulen. Ziel muss es sein, dass die Zeit optimal eingesetzt wird, gewisse Fächer ausgelassen werden können. Diese Entwicklungen finde ich gut. Egal, ob ein Kind im Sport begabt ist, musisch seine Stärken hat oder sonst wo.
Hatten Sie ein verborgenes Sporttalent?
Nein, ich musste arbeiten. Ich ging bis 13 jeweils zu meinen Verwandten ins Appenzellerland, um auf dem Bauernhof zu arbeiten. Ich half dort im Sommer beim Heuen. Wir konnten nicht nach Lust und Laune Fussball spielen. Zum Sporttreiben kam ich erst mit 15, 16, als ich mit der Lehre begann.
Roger hat sein Talent eher von seiner Mutter
Hätten Sie sich eine solche Chance gewünscht, wie Roger sie bekam?
Nein. Roger hat sein Talent wahrscheinlich eher von seiner Mutter. Ich war absolut kein Sporttalent. Bei uns auf dem Land (Robert Federer kommt aus Berneck im Rheintal) hatten wir gar keine Möglichkeit, um so wie heute Sport zu treiben. Im Tennis schaffte ich es mal auf R3. Ich habe mit 25 Jahren in Südafrika mit dem Tennis begonnen. Ich spielte mit Lynette. Und Roger kam über uns ins Tennis hinein. Das läuft ja meistens über die Eltern.
Gibt es schon Pläne, wie sich Roger nach seiner Karriere in der Talentförderung engagieren will? Plant er vielleicht auch eigene Akademien?
Nein, solche Pläne existieren noch keine. Wir haben uns nur über die Stiftung Ziele gesetzt. Dass wir bis 2018 eine Million Kinder unterstützen wollen, wobei dies vor allem in Afrika geschieht.
Das ist ambitioniert.
Das ist ein Ziel. Ob wir es dann erreichen, werden wir sehen. Wir sind aber hoch motiviert.