Wenn Roy Gerber, 53, und eine seiner Kolleginnen ein Gespräch mit einem oder einer Betroffenen führen, sind Micah, 11, und Benaiah, 4, immer dabei. «Sie schlagen Brücken und schaffen Vertrauen», sagt Gerber über seine beiden lizenzierten Therapiehunde. «Mit Hunden haben Menschen, die wir begleiten dürfen, selten schlechte Erfahrungen gemacht. Im Gegensatz zu Menschen.»
Jedes vierte Mädchen und jeder siebte Bub hat in der Schweiz Erfahrungen gemacht mit sexuellem Missbrauch. Für sie gründete Roy Gerber 2012 die «Kummernummer». Sie soll eine Anlaufstelle für Betroffene sein. Einige rufen nur einmal an, andere lassen sich über Jahre bei der Verarbeitung persönlich begleiten. Gratis. Finanziert wird das Angebot über Spenden.
Mit der «Kummernummer» löst Roy Gerber ein Versprechen ein, das er Faith gegeben hat. Das Mädchen lernte er in einem Camp für sexuell missbrauchte Kinder in Kalifornien kennen. Mit seinem damaligen Therapiehund war er als Betreuer unterwegs. Kurz vor der Abreise wandte sich Faith an Roy: «Versprich mir, dass du und Ziba sich weiterhin für Kinder wie mich einsetzen!»
Ein Wendepunkt in Gerbers Leben. Vier Jahre zuvor war er in die USA ausgewandert, «um reich und berühmt zu werden». Als Besitzer von drei selbst gegründeten Firmen führte er ein Leben auf der Überholspur – mit Arbeit, Partys, Sex, Alkohol und noch mehr Arbeit. Als er Leute kennenlernte, die mit Therapiehunden arbeiteten, liess er sich und seinen Golden Retriever zum Therapieteam ausbilden und leistete fortan Wochenendeinsätze in Spitälern, Altersheimen oder Camps. Seine Arbeitswut blieb ungetrübt. Vor Faith.
Nach Faith ist alles anders. Roy verkauft und verschenkt seine Firmen, studiert Theologie und arbeitet als Pfarrer in einer Gemeinde. Eine innere Stimme bewegt ihn in den USA dazu, Pfarrer Ernst Sieber anzurufen. Während Ferien in der Schweiz trifft er Sieber – und endet als Betriebsleiter und Teil der Geschäftsleitung des Sozialwerks des berühmtesten Pfarrers der Schweiz. Obwohl er eigentlich gar nicht in die Heimat zurückkehren wollte.
Drei Jahre später verlässt er Siebers Sozialwerk und gründet den Verein Be Unlimited, der Einzelpersonen, Firmen und Athleten in schwierigen Situationen begleitet, ein Jahr später die «Kummernummer». «Ich bin überzeugt davon, dass es irgendwann keinen sexuellen Missbrauch mehr gibt», sagt er. Bis dann kämpft er weiter. Für alle missbrauchten Menschen. Und speziell für Faith.