Sie könnten fast Zwillinge sein: Braune lange Haare, identisches Outfit, Medaillen um den Hals. «Sie ist ein bisschen wie eine grosse Schwester, wir verstehen uns super», sagt Freeskierin Mathilde Gremaud, 18, über ihre Teamkollegin Sarah Höfflin, 27. Und die fügt an: «Wir sind wirklich sehr kompatibel. Bei uns ist kein Platz für Diva-Getue!» Beide sehen noch etwas verschlafen aus, obwohl es bereits Abend ist. Ein gelegentliches Gähnen können sie sich nicht verkneifen. «Sorry», sagt Höfflin mit einem Lächeln. «Aber wir haben in zwei Tagen nur vier Stunden geschlafen. Alle wollen mit uns Party machen!»
Bei der Medaillenfeier im House of Switzerland ausgelassen herumhüpfen, Champagner rumspritzen und danach bis frühmorgens Karaoke singen – das haben sich die Freestylerinnen verdient: Am vergangenen Samstag fliegen die beiden Romandes im Slopestyle allen davon und gewinnen überraschend Gold (Sarah) und Silber (Mathilde).
«Ich habe vor dem Start gespürt, dass etwas in der Luft liegt. Ich wusste, wenn sie locker sind und Spass haben, kommts gut», freut sich Trainer Misra Noto. Während im Vorfeld mehr vom Männer-Team um Andri Ragettli und Fabian Bösch gesprochen wird, heben die Frauen zum Doppelsieg ab. «Eine riesige Überraschung», sagt Höfflin. «Ich hätte nie gedacht, dass ich mit Gold nach Hause komme.» Gremaud macht die Silbermedaille gar ein bisschen sprachlos. «C’est incroyable – unglaublich.» Einer, der ihnen den Grosserfolg durchaus zugetraut hat, ist Trainer Misra Noto: «Ich habe vor dem Start gespürt, dass etwas in der Luft liegt. Ich wusste, wenn sie locker sind und Spass haben, kommts gut», sprüht er vor Freude.
«Beide haben technische Höchstschwierigkeiten in ihrem Repertoire», so der Trainer
Edelmetall für Höfflin und Gremaud ist tatsächlich nur bedingt überraschend, denn beide haben sie die technischen Höchstschwierigkeiten in ihrem Repertoire. Und wie! An den X-Games in Oslo im März schafft Gremaud Historisches: Mit dem «Switch Double Cork 1080» von der Big-Air-Schanze – ein zweifacher Rückwärtssalto mit dreifacher Schraube – holt sie als erste Frau die Maximalnote von 50 Punkten. Und Höfflin wird in der vergangenen Saison Gesamtweltcupsiegerin im Slopestyle. Erstaunlich ist bei Gremaud also höchstens die Rückkehr von einer schweren Knieverletzung. Und bei Höfflin ihr spezieller Werdegang zur Überraschungs-Überfliegerin.
Als Kinder waren beide polysportiv
Sarah Höfflin, die mit ihrem Freund in Chamonix lebt, ist die Tochter einer Neuseeländerin und eines Schweizers. Die Kindheit verbringt sie in Genf, fährt regelmässig Ski, tanzt Ballett und spielt Geige. Nach der Scheidung der Eltern zieht sie mit der Mutter nach England, das Skifahren rückt in den Hintergrund. Stattdessen entdeckt sie einen neuen Sport: Landhockey. Sie schliesst in Cardiff ein Studium in Neurowissenschaften ab, um sich dann wieder ihrer ersten sportlichen Liebe zu widmen.
Das tut Höfflin in Méribel und Tignes in den französischen Alpen, nach Lust und Laune, ohne strikten Plan. Nebenbei jobbt sie in Bars und arbeitet in einem Busbetrieb. Bis sie ein Trainer von Swiss Ski entdeckt und von der Hobby- zur Profifahrerin macht.
Auch die Freiburgerin Gremaud ist als Kind polysportiv. Im Gebiet La Berra steht sie bereits mit zwei auf den Ski, macht später Leichtathletik. Und hört wieder auf, weil sie lieber Zeit auf den selbstgebauten Kickern verbringt. Die Schülerin der Sportmittelschule Engelberg hat einen steilen Aufstieg hinter sich: Mit 13 der erste Contest, mit 16 das Weltcup-Debüt, mit 17 der X-Games-Triumph – und vergangenen März der Schock: Sie reisst sich das Kreuzband.
«Vor den Spielen kann ich natürlich nicht Party machen», erklärt Gremaud
Bis im letzten Moment ist nicht klar, ob sie an Olympia überhaupt starten kann. Doch dann das beste Geschenk: An ihrem 18. Geburtstag steigt sie ins Flugzeug nach Südkorea. Auf Instagram postet sie ein Bild mit Champagner-Flasche und schreibt: «Ein altes Foto. Vor den Spielen kann ich natürlich nicht Party machen.» Das holt sie nun zusammen mit ihrer Teamkollegin nach. «Aber heute muss ich unbedingt früher ins Bett.» Sagts und macht sich mit Höfflin auf den Weg. In die nächste Bar.