Es ist ihr Gesicht, das in Bann zieht. Sarah Sophia Meyer, 34, strahlt Tiefsinn aus und Ruhe, Distanziertheit und Wachsamkeit, Suchendes und Zweifelndes. Die Schauspielerin drückt durch ihre Blicke mehr aus als andere mit Worten. Man sieht es im Kinodrama «Zwingli» – und Meyer überzeugt mit ihrer Mimik schon vor Drehbeginn den Regisseur. «Ich kannte sie nicht, sah Sarah nur auf einem Foto – und schlug sie fürs Casting vor», erinnert sich Stefan Haupt, 57.
Meyer überzeugt. Eigentlich gilt die Rolle von Anna Reinhart, der Ehefrau Zwinglis, als besetzt – von Julia Jentsch. Doch die sagt ab. Für Meyer ist es die erste Kino-Hauptrolle. Zuvor spielt sie in «Schellen-Ursli» und «Tatort: Hanglage mit Aussicht». Der «Blick» lobt ihren Auftritt im Kultkrimi 2012 «als ersten kräftigen Talentbeweis». Einen starken Auftritt hat sie auch im SRF-Serienhit «Der Bestatter».
In einer Künstlerfamilie aufgewachsen, wird Sarah Sophia zunächst musisch gefördert. Früh lernt sie Cello, spielt heute Klavier und Gitarre, «aber nur für mich zur Entspannung», wie sie betont. Die Familie ist zu Hause ein richtiges kleines Orchester. Der Vater ein Pianist und Dirigent, der vier Jahre ältere Bruder verdient sein Geld heute als Gitarrist und Bassist. Sarahs Mutter arbeitet als Kunsttherapeutin sowie Keramikerin, und ihre zwei Jahre ältere Schwester Anna ist ebenso künstlerisch aktiv – als Grafikerin.
Nomination für den Schweizer Filmpreis
So gut wie nichts gewusst habe sie zu Beginn über Zwingli, gibt Meyer offen zu. Obwohl, ihre erste Schule in St. Gallen lag an der Zwinglistrasse. Die Schauspielerin liest sich ein in das Leben von Anna Reinhart, erarbeitet die Rolle in enger Zusammenarbeit mit Regisseur Stefan Haupt und Max Simonischek, der Zwingli spielt. Sarahs Figur sei besonders herausfordernd, sagt Haupt. «Sie hat wenig Text, muss vieles über Blicke entwickeln. Einfach nur da zu sein, gehört zum Schwierigsten.» Sein Fazit: «Ich bin sehr glücklich, dass sie die Rolle übernehmen konnte.» Meyer ist mit der Anna in «Zwingli» als beste Darstellerin für den Schweizer Filmpreis nominiert.
Erste Schauspielerfahrung macht Sarah Sophia als Jugendliche in ihrer Heimat. «Ich las die Anzeige einer Schauspielerin, die Unterricht anbot», erzählt sie. Diana Dengler, 51, noch heute am Theater St. Gallen, erinnert sich an ihre jugendliche Schülerin: «Sarah war ein sehr zartes Mädchen, jung, aber sie strahlte Ernsthaftigkeit aus, und in ihrem Gesicht spiegelte sich etwas Tiefmelancholisches.»
Meyer fällt einfach auf. Sie gilt als respektvoll, feinsinnig, ehrlich. «Sarah vereint viele Facetten, ohne dass sie einem etwas vorspielen muss», so Dengler, die den Weg ihres Zöglings bis heute verfolgt.
Den ursprünglichen Wunsch, Gesang zu studieren, gibt Meyer auf. Sie absolviert ein Schauspielstudium an der berühmten Otto-Falckenberg-Schule in München, wird von dort geradewegs nach Stuttgart ans Staatstheater engagiert. Sie steht als Maria Stuart in Bern auf der Bühne und gehört nun seit über drei Jahren zum Ensemble am Schauspielhaus Graz. Anfang Jahr hat Meyer ihr Zehn-Jahr-Bühnenjubiläum gefeiert.
Heimweh nach Familie und Freunden
Obwohl in Österreichs zweitgrösster Stadt kulturell sehr viel geboten wird, fühlt sich Sarah Sophia manchmal ein klein wenig isoliert. Denn um zu ihrer Familie in die Schweiz oder zu Freunden nach Deutschland zu kommen, sitzt sie neun Stunden im Zug. «Für spontane Besuche ist das eher nichts.» So erkundet sie halt in der raren Freizeit die Kulturhauptstadt Europas 2003 auf ihrem australischen Malvern-Star-Rennrad. «Auf das Velo bin ich echt stolz.» Mit ihm legt sie auch jeweils den Weg zwischen Arbeitsplatz und Wohnung zurück.
In «Zwingli» wandelt sich Sarah von einer furchtsamen Witwe zur starken Frau, die ihrem Ehemann Kontra bietet. Privat sieht sich Meyer selbst als zunächst zurückhaltende Person. «Aber sobald ich mich unter Menschen wohlfühle, bin ich da», sagt sie selbstbewusst.
Sie ist stille Kämpferin – auch bei der Gleichberechtigung. Unverständlich findet sie, warum Frauen in ihrem Beruf nach wie vor oft weniger verdienen als männliche Kollegen. Für sich selbst verhandelt sie gut. Mit Worten – sicher auch mit ihrem Blick. Das ist ihre Stärke!