Die #metoo-Lawine kam vor drei Wochen ins Rollen. In einem Dossier veröffentlichte das «ZEITmagazin» mehrere Berichte von Frauen, die schwere Vorwürfe gegen Fernsehregisseur Dieter Wedel, 75, («Der grosse Bellheim», «Der König von St. Pauli», «Der Schattenmann») enthielten. Sie reichten von Schikane, Gewalt und sexueller Nötigung bis hin zur Vergewaltigung. Zu den jüngsten Klägerinnen gehört auch «Lüthi und Blanc»-Star Esther Gemsch, 62. Was die Schweizer Schauspielerin in der aktuellen Ausgabe der «Zeit» schildert, ist erschütternd.
«Er schlug meinen Kopf gegen die Wand»
Es geschah im Jahr 1980. Esther Gemsch, die damals noch Esther Christinat hiess, war 24 und wurde zum Casting für eine Hauptrolle im Achtteiler «Bretter, die die Welt bedeuten» nach Hamburg eingeladen. Sie bekam die Rolle. Nachdem Wedel sie während des Drehs permanent fertig gemacht, sexuell bedrängt und drangsaliert hatte, lockte er sie unter dem Vorwand, ihr einen Arbeitstext geben zu wollen, in sein Hotelzimmer. Als «blauäugig» bezeichnet Gemsch sich selbst heute in der «Zeit».
Im Hotelzimmer soll sich am 12. Dezember 1980 folgendes ereignet haben: «Er setzte sich rittlings auf mich, packte meinen Kopf bei den Haaren und schlug ihn immer wieder aufs Bett, einmal an die Wand und dann einmal auf die Bettkante. Er hat mir ins Gesicht gespuckt, seinen Speichel wieder abgeschleckt und gesagt: Wenn du mich küsst, kriegst du Schokolade.» Mit ihrem Schal habe er ihr die Kehle zugeschnürt. Es gelingt ihr, unter starken Schmerzen zu entkommen. Der Halswirbel ist verletzt.
Schriftliches Beweismaterial
Die Dreharbeiten pausieren. Die Begründung: «Heute kein Dreh wegen Halswirbelverletzung der Hauptdarstellerin». Als sie versucht, die Arbeit wieder aufzunehmen, terrorisiert Wedel sie auf dem Set so lange, bis sie zusammenbricht. Teammitglieder begleiten sie zu Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, dem langjährigen Mannschaftsarzt des FC Bayern Münchens.
Die 24-Jährige geht zu einem Anwalt. Die Polizei sucht sie nicht auf. Müller-Wohlfahrt bestätigt ihre Verletzungen, schreibt: «Diese Symptome können eindeutig als Folge der Gewalttätigkeit vom 12.12.1980 angesehen werden.»
«Gang durch die Hölle»
Wedel und seine Anwälte schlagen die Vorwürfe in den Wind und kehren sie ins Gegenteil um. Nicht er habe sie belästigt, sondern sie ihn, und ihre Verletzung rühre von einem alten Unfall her. Er bedroht sie. Sie wagt nicht, weiter gegen ihn vorzugehen: «Ich war 24 und hatte kein Geld». Als Schauspielerin ist sie gebrochen. Jahrelang zieht sie sich zurück. Mit «Lüthi und Blanc» startet sie ihre Karriere neu.
«Ich habe dank Dieter Wedel einen Gang durch die Hölle gemacht», sagt Esther Gemsch. «Die Sache belastet mich und meine Familie bis heute massiv.» Darüber zu reden, traute sie sich erst, nachdem sich vor drei Wochen drei andere Schauspielerinnen als Opfer von Wedel geoutet hatten. «Ich schämte mich und habe mit niemandem darüber gesprochen.»
Dieter Wedel hat die Vorwürfe bisher allesamt zurückgewiesen. Er habe nie irgendeiner Frau sexuelle Gewalt angetan. In einem der Fälle hat die Staatsanwaltschaft München inzwischen Ermittlungen aufgenommen. Am Montag trat der Regisseur von seinem Amt als Intendant der Bad Hersfelder Festspiele zurück.