Kinder waren für mich nie ein Thema. Ich möchte keine, weil ich mich nicht sorgen und weil ich nicht klugscheissern will. Und ich würde den Gedanken nicht aushalten, sie irgendwann ziehen zu lassen. Zu meinem grossen Unglück löst die zuckersüsse Yessica aus St. Gallen bei «Adieu Heimat»solche Muttergefühle aus.
Die 25-Jährige hat sich in der Auswanderersendung von 3+ aufgemacht, um Hollywood zu erobern. Mit einem Idealismus, der an Naivität grenzt, will die Schweizerin mit mexikanischen Wurzeln in Los Angeles den Durchbruch als Schauspielerin schaffen.
Galerie: «Adieu Heimat» - So chaotisch können Schweizer sein
«Mach bitte was Vernünftiges!»
Während sie mich mit ihren polierten, weissen Zähnen breit angrinst und erzählt, wie sie sich schon den Oscar halten sieht, höre ich mich den Satz sagen, für den ich meine Mutter gehasst habe: «Kind, mach bitte was Vernünftiges!»
Wenige Minuten später bin ich aber schon böse auf einen Produzenten, der «meiner» Yessica ordentlich den Kopf wäscht und kein Blatt vor den Mund nimmt: «Solche wie dich gibt es hier in Hollywood viele.» Was erlaubt der sich, so an ihr zu zweifeln!
Das darf nur ich. Bequem von meinem Sofa aus: Immer wieder möchte ich in den Bildschirm kriechen und Yessica ordentlich schütteln. Zum Beispiel, als sie den gemeinen Produzenten mit grossen Knopfaugen anstrahlt und sich über die «super schönen» Fotos freut, die er für ihr Bewerbungsdossier geschossen hat. «Liebes», warnt die Mama in mir «die sind alle unscharf. Vertraue nicht jedem. Komm heim. Ich koch' dir Milchreis.»
Ich rette Yessica aus dem Fleischwolf
Aber wer denkt, dass ich nicht an das Talent von Yessica glaube, der weiss nichts von mütterlicher Verblendung. Die St. Gallerin ist nämlich fürchterlich entzückend, spricht hervorragend Englisch und ist genügend ehrgeizig, um es in einer total anständigen Welt wirklich schaffen könnte. Aber in Hollywood, im Fleischwolf für Schauspieler?
Die gesamte Länge der Sendung sehe ich «meine Kleine» in die Fänge schmieriger Castingagenten geraten. Und das Schicksal, das ihr dann droht, ist ja wohl auch klar: falsche Freunde, Absturz, Drogen, zu viele Partys mit zu wenigen Kleidern. Das halte ich nicht aus!
Und dann, nach rund 60 Minuten Sendezeit, stehe ich vom Sofa auf, rühre meinen Milchreis um, schaue aus dem Fenster auf die kleinen Häuser in meinem Zürcher Vorstadtquartier und bin neidisch: auf Yessica und ihren Mut.