Für die Lichtsendung, das tägliche Gebet, steigt Uriella in ihr Heiligtum runter. Dutzende Anhänger warten auf sie – Uriella nennt sie «meine Kinder». Es ist warm, der Teppich weich, es duftet nach Rosen, obwohl die Blumen aus Plastik sind. «Es werde Licht», begrüsst Uriella, damals 70, ihre Sektenmitglieder mit sanfter Stimme.
Video: Die besten Szenen von Uriella
Heute sei ein besonderer Tag, so das selbst ernannte Sprachrohr Gottes: «Oliver hat Geburtstag. Er hat viel für unseren Orden getan.» Das Gesicht des jungen Mannes verklärt sich. Er stammelt: «Danke, Uriella, danke! Bei dir kann ich mich so entwickeln, wie du und der liebe Gott es ersehnen.» Mich schauderts.
Eine andere Welt
20 Jahre ist dieser Besuch her. Damals haben die gebürtige Zürcherin und ihr Gatte Icordo, 58, ein SI-Team eingeladen – zu sich nach Ibach im Südschwarzwald, ins Zentrum ihrer Sekte Fiat Lux (Es werde Licht). Es ist Dezember 1999: Seit Kurzem sitzt Icordo im örtlichen Gemeinderat.
Gott ist die Reinheit. Deshalb ist ein reines und geordnetes Leben unser oberstes Gebot
Es ist eine andere Welt. Eine Bewohnerin huscht herbei, reicht dem Gast weisse Stoffüberzieher für die Schuhe, reden will sie nicht. 32 Sektenanhänger leben hier mit Uriella und Icordo, die Einheimischen nennen sie «Luxer». Im Haus wird ganz leise gesprochen. Überall helle Töne, Farbtupfer geben nur die künstlichen Blumen und die vielen Bilder ab. «Gott ist die Reinheit. Deshalb ist ein reines und geordnetes Leben unser oberstes Gebot», erklärt Icordo damals beim Abendessen in der «Eremitage», dem öffentlichen Restaurant im Haupthaus. Wer Fiat Lux beitritt, muss verzichten: keinen Kaffee, keinen Alkohol, keinen Sex. Auch Zeitungen, Radio und TV sind im Orden tabu. «Wir und unsere Geistgeschwister leben gottbewusst, deshalb wohnen viele Engel bei uns. Uriella spricht oft mit ihnen.»
Die Tür geht auf, die Sektenführerin steht da. Blütenweisses Kleid, schwarz gefärbte Haare, starke Schminke, aufgeklebte Fingernägel. Sie streckt mir ihre kalte Hand hin. «Nennen Sie mich einfach Uriella!» Mit weissen Stoffhandschuhen serviert Geistschwester Anja, 36, eine Platte mit rohen Rüebli, Kabissalat und Geissenkäse – alles ist mit Zellophan abgedeckt. Zuvor war das Gemüse in ein Becken mit Uriellas heiligem, gequirltem Athrumwasser samt Antistrahlentinktur getaucht worden.
«Mit der göttlichen Kraft kann ich alle Krankheiten heilen»
Sie habe Röntgenaugen, sagt die Geistheilerin. «Mit der göttlichen Kraft kann ich alle Krankheiten heilen, auch Krebs und Aids.» In Schwellbrunn AR führt sie damals eine Naturheilpraxis. Der ehemalige Ausserrhoder Sanitätsdirektor Ernst Graf spricht von Scharlatanerie: Uriellas Präparate würden in einem Labor hergestellt, in dem eine katastrophale Sauordnung herrsche. Die prophezeiten Weltuntergänge dienten nur dazu, ihren Patienten teure Heilmittel zu verkaufen.
Mehr als einmal stand die Sektenführerin vor Gericht: 1996 lautete die Anklage fahrlässige Tötung, 1998 wurde sie wegen Medikamentenschmuggel und Steuerhinterziehung in Millionenhöhe verurteilt. Uriella lacht laut. «In Gottes Augen bin ich unschuldig.» Sie selber leide seit 1973 unter starken Kopfschmerzen. Damals lag sie nach dem Sturz von einem Ross drei Stunden im Koma. «Danach sah ich erstmals Engel. Seither bin ich hellsichtig.» 750 Anhänger hat ihr Orden, vor allem in der Schweiz. Viele kommen jeweils am letzten Sonntag eines Monats, um Uriellas Offenbarungen zu lauschen. Dann sei sie in Volltrance und nur noch Sprachrohr Gottes, bis zu zehn Stunden. «Meine Stimme ist dann langsamer und tiefer, Geist und Seele verlassen meinen Körper, dadurch ist der Verstand ausgeschaltet.»
Sie sah die Zukunft vorher
Vor Kurzem sei ihr offenbart worden, dass im Jahr 2000 Teile der Welt einer göttlichen Reinigung zum Opfer fallen. «Erst gibts einen Computer-Crash, dann bricht die Wirtschaft zusammen. Der folgende dritte Weltkrieg wird durch einen Meteoriteneinschlag in die Nordsee beendet.» Zwei Drittel der Menschheit würden sterben. «Der Rest, unter anderem unser Orden, wird von Ufos abgeholt und lebt weiter auf dem gereinigten Planeten Amora. Dieser wird aus der Erde entstehen.» – «Frau Bertschinger», frage ich, «haben Sie kein schlechtes Gewissen, den Leuten solchen Schmarren aufzubinden?»
Uriella lacht laut. «Das sind Botschaften Gottes.» Ich frage weiter: «Warum schauen Sie in Trance manchmal auf die Uhr?» – «Warum sollte sich der in mir anwesende Jesus nicht mal für die Zeit interessieren?» Noch etwas will ich wissen: «Macht es Ihnen nichts aus, bei Ihren vielen TV-Auftritten wegen solcher Äusserungen verleumdet zu werden?» Lautes Lachen. «Danach bekommt mein Orden viele Neuanmeldungen.»
Heute, 20 Jahre später, besteht Uriellas Anhängerschaft aus ein paar wenigen Unbeirrbaren. Am 24. Februar, kurz nach ihrem 90. Geburtstag, ist sie in Ibach gestorben. Die letzten Jahre soll sie von der Hüfte an abwärts gelähmt gewesen sein, wird im Dorf gemunkelt. Damals, zum Abschied meines Besuches, hatte Uriella orakelt: «Vielleicht holt mich der Heiland ja vor dem Weltuntergang.» Ich war froh, von dannen ziehen zu können.