«Als Kind nannten sie mich Geissli», sagt Heidi Maria Glössner, 73. Sie sei schon mit knapp drei Jahren auf den Säntis spaziert. Mit vier habe sie den Hohen Kasten bestiegen. Auch heute noch bewegt sich die Schauspielerin mit Leichtigkeit in den Bergen.
Sie ist auf dem Güggisgrat unterwegs, einer sieben Kilometer langen Höhenwanderung, die als eine der eindrücklichsten des Berner Oberlandes gilt. Von schwindelerregenden Tiefen bis hin zu berührend nahen Begegnungnen mit Steinböcken - hier ist alles möglich!
«Das weiss fast jeder Berner»
Heidi Maria Glössner startet die Wanderung meist auf dem Niederhorn. Vor 30 Jahren, als sie wegen eines Engagements am Stadttheater nach Bern zog, habe ein junger Mann sie hierhin entführt. «Seither komme ich mit all meinen Besuchern hoch.» Der Gipfel ist mit seinen 1963 Metern über Meer vielleicht nicht der eindrücklichste Berg der Alpen, «aber der beste, um das Panorama zu bewundern! Das weiss fast jeder Berner.»
Als hätten die Wolken aufs Stichwort gewartet, lichten sie sich und geben den Blick frei auf das Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau. Glössner legt die Füsse hoch auf einer Holzliege neben dem Berghaus. Sie stecken in eleganten Lederschuhen von Koflach. «Die sind so bequem, ich trage sie schon seit 25 Jahren auf jeder Wanderung!»
Jahrelang getrennt von der Mutter
Nicht dass Glössner müde wäre. Im Gegenteil! «Ich fühle mich frisch und sprudelnd. Die Höhenluft wirkt auf mich wie ein Champagner-Bad.» Und sie scheint Erinnerungen zu wecken. Glössner erzählt von ihrer Kindheit in der Ostschweiz. Fast wie die Sagenfigur Heidi sei sie aufgewachsen. Frei, naturnah, in den Bergen. «Ich habe fast nur positive Erinnerungen.» Dabei hat sei Tragisches erlebt.
1943 mitten in Deutschland im Krieg geboren, bringt Glössners Mutter ihr Neugeborenes in die Schweiz zu einer Freundin in Sicherheit. «Als sie umkehrte, um auch meinen Bruder zu holen, schloss die Grenze.» Jahrelang bleibt Mutter und Tochter der Kontakt verwehrt. Und es bleibt nicht der einzige Schicksalsschlag für Glössner: Als Erwachsene erfährt die Schauspielerin, dass sie nicht ihrem namensgebenden Vater entstammt, sondern einer Affäre.
«Mittlerweile geniesse ich den Augenblick»
Ein Leben wie ein Bestseller-Roman! Glössner lacht! «Es gab Angebote von Verlagen - aber nein danke. Ich will nichts festhalten.» Auch Eiger, Mönch und Jungfrau fotografiert sie nicht. «Früher ja. Mittlerweile geniesse ich den Augenblick.»
Zwei Tage in den Bergen hätten denselben Effekt wie zwei Wochen Ferien, meint sie. «Unten im Tal fühle ich mich manchmal meiner Freiheit beraubt, beengt, wie in einer schlechten Beziehung.» Sie sei stets sehr freiheitsliebend gewesen, sagt die Single-Frau - auch in der Liebe: «Es ging mir nie um billiges Ausnützen von Vertrauen. Aber um Unabhängigkeit!» Sollte sie noch einmal ihr Herz verschenken, müsste sie sich fühlen wie auf dem Niederhorn. «Auf Augenhöhe mit den umliegenden Gipfeln.»