Stefan Kurt, 58, blättert im Klassenzimmer seiner alten Schule im Berner Schwabgut-Quartier durch den Schweizer Weltatlas. Der ist fast so legendär wie die Geschichten von Papa Moll. Den fülligen Familienvater mit den fünf Haaren, Sakko und Krawatte, Gattin Mama Moll, den Kindern Willy, Fritz und Eva und Dackel Tschips erschuf Edith Oppenheim-Jonas Anfang der 1950er-Jahre.
Jetzt läuft Moll im Kino – nach über 60 Jahren und 24 Papa-Moll-Klassik-Bänden. Und Stefan Kurt spielt den charmanten, tollpatschigen und liebenswürdigen Vater und Ehemann. Dass der Charakterdarsteller diese Rolle bekommen hat, freut ihn besonders. «Endlich darf ich vor der Kamera meine komödiantische Seite zeigen. Ich gelte ja sonst als eher ernster Schauspieler.»
Erinnerungen an die eigene Kindheit werden bei Stefan Kurt wach, wenn er nach Papa Moll gefragt wird. «Beim Metzger gabs früher ein Rädli Wurst und in der Apotheke das ‹Junior›-Heftli, wo auf der letzten Seite die Papa-Moll-Comics abgedruckt waren.» Auch wenn Kurt, wie er gesteht, «nicht so ein Bücherwurm» ist, die Kurzgeschichten hat er verschlungen.
Als Kind wächst Stefan im Berner Schwabgut-Quartier auf. Er ist sieben, als seine Eltern mit ihm und seinen beiden Brüdern in den 9. Stock eines der dort neu in die Höhe gezogenen grossen Wohnblocks einziehen. Zuvor wohnt die Familie im Stöckacker in Bümpliz.
Im neuen Zuhause findet Kurt paradiesische Zustände in Sachen Abenteuerspielplatz vor. «Überall waren Baustellen, vor unserem Haus hatte sich ein grosser See gebildet, bis zu einem Meter tief, in dem Schilf wuchs und Enten schwammen.» Als das Quartier fertig gebaut ist, wird der See zugeschüttet und zur Wiese. Stefans Schulweg ist kürzer als ein Katzensprung, er blickt vom Balkon der elterlichen Wohnung direkt auf seine Schule hinab.
Nach über 40 Jahren sitzt er nun in seinem ehemaligen Klassenzimmer. Erinnert sich an die Lehrer und an deren Spitznamen, die sie ihnen als Schüler verpasst hatten. «Ich ging gern in die Schule, war aber keine grosse Leuchte», erzählt Kurt lachend.
Ich war keine grosse Leuchte
Dabei schafft er den Sprung ans Gymnasium problemlos – ohne Prüfung. Es wird ein sehr kurzes Gastspiel. «Mir gefiels gar nicht – weder die Leute noch der Schulstoff.» Und so wechselt er nur ein halbes Jahr später zurück ins Schwabgut-Schulhaus zu seinen alten Gspänli.
Papa Moll aber verfolgt ihn. Sogar bis ins Lehrerseminar, wo er sich zum Primarlehrer ausbilden lässt. «Unser Lehrer nutzte die Papa-Moll-Comics, um mit uns Französisch zu pauken. Er legte die Bilder vor, und wir mussten jeweils eine Geschichte dazu erzählen», erinnert sich Kurt. Als Lehrer arbeitet er selbst dann nur ein halbes Jahr.
Um sich die Ausbildung zum Schauspieler an der Hochschule für Künste in Bern zu finanzieren, putzt Stefan Kurt Wohnwagen bei Bantam Camping in Burgdorf, arbeitet in einer Klimatechnikfirma und versucht sich als Gerüstbauer. «Eine peinliche Sache», wie er erzählt.
Chaos als Kellner
Er gehört mit 67 Kilo eher zu den Leichtgewichten – auf der Waage. «Ich sollte am ersten Tag auf der Baustelle schwere Holzbalken mit Eisen nach oben ziehen. Bei der dritten Ladung konnte ich nicht mehr. Als einer der Arbeiter meinte, es sei mit mir zu gefährlich, war mir das nur recht.»
Kurzzeitig versucht er sich auch als Kellner. «Obwohl ich Texte lernen muss als Schauspieler, konnte ich mir die Bestellungen der Gästen kaum merken, es gab teilweise ein heilloses Durcheinander.»
Erfolgreicher verläuft Kurts Schauspielkarriere. Im gesamten deutschsprachigen Raum zählt er heute zu den gefragtesten Schauspielern. In «Der Schattenmann» feiert er 1996 seinen Durchbruch, erhält dafür den renommierten Adolf-Grimme-Preis. Er spielt in der Kultkrimiserie «Tatort», «Die Affäre Semmeling», «Der Verdingbub» und «Akte Grüninger».
«Wie ein drogenabhängiger Zombie»
Nun also ist er Papa Moll. Eine nicht einfache Rolle, allein des Äusseren wegen. Stefan Kurt ist das Gegenteil des wohlbeleibten Moll: schlank und mit schmalem Gesicht. Viel Zeit wurde in sein Aussehen investiert. Nur mit Glatze und fünf Haaren habe er zunächst ausgesehen, «wie ein drogenabhängiger Zombie», sagt Kurt, lacht und zückt sein Handy, um ein Foto zu zeigen.
Dank Silikon auf den Backen und dem Fatsuit-Anzug auf den Hüften nimmt man ihm jetzt aber den Papa Moll ab. Was für ein Glück, dass ihn der lustige Familienvater seit seiner Kindheit verfolgt hat.
Morgen zeigen wir auf SI online unseren Besuch bei Mama-Moll-Darstellerin Isabella Schmid, die nach 25 Jahren wieder in die Schweiz gezogen ist.