Vor fünf Jahren spielte sie letztmals auf der grossen Bühne von Radio Energy. Ihr Auftritt am Energy Air im Stade de Suisse ist für die Berner Sängerin ein Heimspiel: «Ich merke schon, dass etwas Zeit vergangen ist», sagt Steff la Cheffe, 31. «2013 war ich nervöser. Heute weiss ich, wie der Hase läuft. Das ist eine Show, kein Konzert.» So hat die ehemalige Vizeweltmeisterin im Beatboxen für heute eine Choreografie mit 19 Tänzern und ihren Background-Sängerinnen einstudiert. Dabei ist sie selber alles andere als eine Tänzerin.
Eine Auszeit - eine Rückschau
Ende 2014, nach eineinhalb Jahren auf Tournee mit ihrem zweiten Album «Vögu zum Geburtstag», zog sich die gefeierte Mundart-Rapperin aus der Öffentlichkeit zurück. «Ich war einfach müde», sagt sie. «Und mit 27 kam der Zeitpunkt, eine Rückschau auf knapp zehn Jahre Erwachsenenleben zu halten.» Die äussere Bilanz zeigte sich erfolgreich. Alle Ziele, die sie sich als 15-jähriges «Meitschi vom Breitsch» gesteckt hatte, waren erreicht: zwei Alben, zwei Tourneen plus eine mit Harfenspieler Andreas Vollenweider, Gold-Platte, Nummer 1 in der Hitparade, Swiss Music Award, Prix Walo.
Ich spürte plötzlich eine Leere und merkte, dass die Erfolge mich innerlich nicht so erfüllten, wie ich mir das erhoffte.
«Doch ich spürte plötzlich eine Leere und merkte, dass die Erfolge mich innerlich nicht so erfüllten, wie ich mir das erhoffte.» Dabei investierte Steff la Cheffe all ihre Energie in ihre Karriere, stellte ihr Privatleben stets hinten an. Stefanie Peter, wie sie gebürtig heisst, fällt in ein tiefes Loch und fasst den Entschluss: ihre Aufmerksamkeit nach innen lenken.
2015 reist Steff la Cheffe für neun Wochen zur Tante in die Karibik, hütet zwei Monate einen Garten auf einer Insel nahe von Sizilien. In ihrem Sabbatical findet sie ihren Frieden, tankt Kraft, verdaut, was passiert ist. «Ich war immer ein ‹chopfiger› Mensch. Vor allem in Liebesbeziehungen bewegte ich mich stets auf der sicheren Seite», sagt sie. «Nun wollte ich mein Herz mehr auftun – und zwar in allen Bereichen.»
Sie lässt ab von ihrem Kontrolldrang, auch dass alles picobello sein muss, bereitet ihr seit je nur «Gringweh». Vertrauen ist ein schöner Moment – und sie verliebt sich Hals über Kopf. «Vorher wusste ich irgendwie nicht, wie es mit diesem Herz funktioniert.»
«Mä het immer ah si dänkt» - trotz Pause
«Ha di no nie vergässe, ha geng a di dänkt» – mit ihrer Version des «Guggisbärglieds» eröffnet Steff la Cheffe heute ihren Auftritt, heizt mit der ersten Pyro-Show ihrer Karriere den 40 000 Energy-Air-Besuchern ein, beeindruckt mit Beatbox-Einlage und lässt zu ihrem Hit «Ha ke Ahnig» Konfetti regnen. Kein Zweifel: Steff la Cheffe gehört nach wie vor zur Schweizer Musikelite! Chansonnier Stephan Eicher hat sie zu sich gerufen und tourt seit Januar mit ihr durch Frankreich und die Romandie.
Ihr Album «Härz Schritt Macherin» steigt im Mai 2018 direkt auf Platz 1 in die Charts ein, und ab Oktober ist sie selbst auf Tour. «Es gibt so viel über sie zu sagen.» Produzent Ben Mühlethaler atmet tief ein. «Stefi hat was Faszinierendes. Sie ist tiefgründig, ehrgeizig, leidenschaftlich, kämpferisch und stolz. Sie hat das Herz am richtigen Fleck.» Mit dem Grammy-Gewinner, der mehrere Jahre mit Weltstar Prince zusammengearbeitet hat, und mit Musiker Benjamin Noti nahm sie ihr aktuelles Album auf. «Wir stimmen einfach überein. Menschlich, beim musikalischen Nenner, bei der Arbeitsmoral», so Steff. Nach all den Erfolgen gibt es für sie trotz der öffentlichen Auszeit nur eine Richtung: «Nach vorne!»
Nach 12 Minuten ist ihr Show-Auftritt vorbei. «Drei Wochen Vorbereitung, und dann ist es ...» Sie schnippt mit den Fingern. Energie tanken ist nun angesagt, bevors vom Energy Air in Bern ans Konzert am «Glücklich Festival» in Luzern geht. Sie trinkt ein Glas Rotwein, füllt sich den Teller, den sie mit Brot vollständig ausputzt.
Immer auf Reserve
Als 9-Jährige wurde sie Vegetarierin, als sie das «Güggeli» auf dem Tisch plötzlich als totes Tier erkannte. 20 Jahre später beginnt sie aber, wieder bewusst Fleisch zu essen. «Ich fühlte mich ständig schwach, hatte immer kalte Füsse.» Überhaupt hat sie begonnen, mit ihrer Energie zu haushalten. Bei ihr zu Hause steht Bernadette, ihr «Vorratsschäftli» – gefüllt mit Süssem, Salzigem, «Sämli und Körnli», Pasta und den zwei Musts: Kokosnussmilch und Pelati. «Bernadette zeigt mir symbolisch, wie viel Vorrat ich noch habe. Im Moment laufe ich gerade auf Reserve.»
Nach ihrer Auszeit ist Steff la Cheffe eine Zeitlang auch finanziell auf Reserve gelaufen. «Wer nur reist, verdient kein Geld.» 2015 ruft die Steuerrechnung sie in die Realität zurück. Sie nimmt einen Job beim Käse- und Fleischhersteller Jumi an, steht wöchentlich auf dem Märit am Stand.
Solche Zukunftsgedanken
‚gruuse‘, sinder aber verschwendete Mühe.
Zudem plagt sie plötzlich ein Horrorszenario. Was, wenn ihre Mère in ein paar Jahren nicht mehr auf ihren zwei Jahre jüngeren autistischen Bruder achten kann? Was, wenn die Mutter ins Altersheim geht, der Bruder ins Pflegeheim muss? «Solche Zukunftsgedanken ‹gruuse›, sind aber verschwendete Mühe. Sorgen, die unnötig sind.» Doch die einstige Studentin der Soziokultur bleibt wütend – über die Gesellschaft, vor allem darüber, wie Personen, «die nicht anschaulich sind, in die Peripherie abgeschoben werden». Und da wäre noch die Ungerechtigkeit, die Gender-Ungleichheit, die sie als Theaterautorin im Stück «Alice» thematisiert hat, «ein Befreiungsschlag».
Ein Luxusprojekt
Vier Sekunden einatmen, sechs Sekunden aus. Die Übung hat sie von einem Hypnosetherapeuten, als sie mit Rauchen aufhören wollte. Vergeblich. Noch heute dreht sie ihre Zigaretten. Es folgt der Ritualspruch vor dem Konzert mit Crew und siebenköpfiger Band – «ein absolutes Luxusprojekt», ist sie sich bewusst. Der Dachboden der «Schüür» feiert Steff la Cheffe und ihre Musiker. Eine Viertelstunde hat sie überzogen. Für noch ein bisschen mehr Zeit auf der Bühne reicht ihre Energie immer.