Selbst in der Morgendämmerung bleibt Toni Brunner, 44, nicht unerkannt. «Toni, zwei Liter Milch!», ruft ein Marktfahrer, als der SVP-Nationalrat mit seiner Aktentasche über den Bundesplatz marschiert. «Ich kenne sie alle», sagt Brunner vergnügt, fügt aber hinzu: «Doch bald sieht mich hier oben niemand mehr.»
Mit «hier oben» meint Brunner Bundesbern. 23 Jahre sass der Bergbauer aus dem Toggenburg SG im Nationalrat, 23 Jahre nahm er seinen Morgenkafi im «Fédéral» beim Bundesplatz, 23 Jahre wechselte er den Melkstuhl gegen Krawatte und Anzug. An seinen ersten kann er sich gut erinnern: «Der war noch von der Konfirmation. Mit dem ersten Sitzungsgeld kaufte ich mir bei Mode Müller schickere Kleider.»
Eine feste Grösse in Bundesbern
Gerade mal 21 Jahre ist Brunner damals alt, so jung wie kein anderer Nationalrat vor oder nach ihm. Heute, mit 44 Jahren, tritt er ab von der Politbühne. «Jetzt stehen meine Familie, mein Bauernhof und mein Gasthof im Vordergrund. Und dass ich keine Krawatte mehr anziehen muss, ist fast das Grösste!»
Mehr als sein halbes Leben hat Brunner in Bern politisiert, davon acht Jahre als SVP-Parteipräsident – dennoch kommt an seinen letzten Tagen kaum Wehmut auf. «Ich weiss ja noch nicht, wie es ohne Politik ist. Vielleicht wache ich während der Session plötzlich auf, weil ich meine, ich muss an eine Sitzung nach Bern.»
Doch seine Partnerin Esther Friedli, 41, passe da schon auf. «Wirklich vermissen werde ich wohl nur einige Menschen.» Etwa seine besten zwei Freunde in der SVP-Fraktion, Thomas Aeschi, 39, und Tommy Matter, 52.
«Sympathischster Verkäufer»
Kurz nachdem Brunner am Mittwochmorgen im Nationalratssaal zum letzten Mal einen Bundesrichter gewählt hat, trifft er die beiden Freunde im Hotel Bellevue zum Zmorgen. Bei Omelette mit Schinken und Spiegelei sprechen die drei über Brunners Eringerkuh Taifun, die gerade ein Kalb geboren hat, und über das neueste Rating der «NZZ», das Brunner als rechtesten Parlamentarier einstuft.
«Mit Toni verlieren wir den sympathischsten Verkäufer unserer Sache», sagt Aeschi. «Wir werden ihn schampar vermissen – obwohl wir dann eine Spur gesünder leben», ergänzt Matter augenzwinkernd. Brunner, der kein Geheimnis daraus macht, dass er nach der Arbeit gerne noch auf ein Bierchen geht, reagiert prompt und bestellt – zur Feier des Tages – eine Runde Cüpli.
Selbstverständlich kennt ihn auch Maria, 65, die seit 28 Jahren im «Bellevue» serviert. «Am Anfang war er noch ganz schüchtern», erinnert sie sich. Heute gehöre Toni, der während der Sessionen nicht im Hotel, sondern in einer Wohnung in Bern übernachtet, zur Familie.
Extra in die Hauptstadt gefahren sind Tonis Mutter Heidi Brunner, 74, Vater Hannes, 77, und sein Bruder Andi, 45. «Eigentlich war es Andis Wunsch», sagt Brunner, der zu seinem behinderten Bruder eine enge Beziehung hat. «Ich fragte ihn, was er in Bern noch sehen wolle. Er sagte: Guy Parmelin!»
Doch bevor es ins Bundeshaus Ost geht, führt Toni seine Familie – Mutter Heidi in der Toggenburger Werktagstracht – durch die Wandelhalle. «Achtung, jetzt kommen dann die Linken!», ruft er und grölt. SP-Frau Jacqueline Badran, die sieben Jahre mit ihm in derselben Kommission sass, sagt: «Sachpolitik war nie sein Thema, er hat lie ber Kuhbildli gezeigt. Doch er kann gut reden und ist menschlich ein feiner Typ. Er wird fehlen in Bern.»
Apéro mit Guy Parmelin
SVP-Bundesrat Guy Parmelin, 59, war einer der Ersten, der Brunner nach seiner Rücktrittsankündigung am 23. November eine SMS schrieb: «Willst du wirklich schon in Rente?» In dem Fall müsse er zumindest noch zum Apéro vorbeischauen.
«Das ist eben die Spontaneität unter Bauern», sagt Brunner, als der ehemalige Winzer Parmelin ihn und seine ganze Familie zu einem Glas Waadtländer Wein empfängt. Die beiden tauschen Geschenke aus, für Parmelin gibts Toggenburgerli, für Brunner ein Victorinox-Armee-Sackmesser, und sprechen über Parmelins Wechsel vom Verteidigungs- ins Wirtschaftsdepartement. «Jetzt kommt die Landwirtschaft wieder mehr zum Zug», freut sich Brunner. «Wenn du nicht zufrieden bist, kannst du dich jederzeit melden», witzelt der Bundesrat.
Zu jung für Biografie
Vorerst hat Brunner genug von der Politik. «Ich habe seit Jahren einen Langlaufpass und Skating-Ski. Jetzt habe ich endlich mal Zeit, diese auszuprobieren», sagt er auf dem Weg zur Vernissage des Buches, das Journalist Beni Gafner nach viel Überzeugungsarbeit über ihn schreiben durfte. «Es ist keine Biografie, so alt bin ich nun wirklich nicht», witzelt er. Deshalb erscheinen im Buch auch einige Gastbeiträge, etwa von seiner Partnerin Esther Friedli.
Seit er sein «Herzchäferli» vor 21 Jahren mit einem parfümierten Liebesbrief für sich gewonnen hat, ist Toni Brunner landauf, landab für seine Partei unterwegs. «Toni wieder zu Hause – das wird eine Umstellung! Aber ich freue mich darauf. Und wenn es mir zu viel wird, schicke ich ihn zu Andi.» Sein Bruder freut sich riesig, dass Toni bald wieder im «Haus der Freiheit» anpackt. «Aber ich bleibe der Chef. Toni ist der Gango!»