Eigentlich kam er in die philippinische Hauptstadt Manila, um am Drehbuch für seinen neuen Schweizer Spielfilm zu arbeiten. Stattdessen ist Filmregisseur Michael Steiner, 44, jetzt hektisch am Organisieren von Hilfsgütern. Seine Frau Minerva ist Philippinerin, ihre Eltern leben in der vom Taifun Haiyan zerstörten Stadt Tacloban.
Schweizer Illustrierte: Michael Steiner, haben Sie Kontakt zu Ihren Schwiegereltern?
Michael Steiner: Ja. Nach drei Tagen Bangen und Hoffen gelang es uns, sie über Bekannte vor Ort zu kontaktieren. Wir konnten dann Freunden, die mit dem Auto von Manila nach Tacloban fuhren, Essen, Trinken, ein Handy und ein Radio mitgeben. Wir telefonieren nun mehrmals täglich und erstellen Listen von dringend benötigten Sachen wie Medikamenten, Kerzen, Moskitonetzen und natürlich Essen und Trinken.
Wie ist die Situation in Tacloban?
Sehr schwierig. Es gibt keinen Strom, keine Wasserversorgung und keine Mobilität. Wie ich heute erfahren habe, konnte ein Auto notdürftig repariert werden, es hat aber kein Benzin mehr in Tacloban. Mein Schwiegervater fährt mit dem Fahrrad einmal täglich durch den Schutt an die Handyladestation, die eine Telekommunikationsgesellschaft zwei Kilometer entfernt aufgestellt hat.
Ihre Schwiegereltern betreiben seit 1990 eine Schule in Tacloban, ein Computer-College. Ist nun alles zerstört?
Nein, das Hauptgebäude steht noch, leider sind nur noch zwei Stockwerke einigermassen intakt. Schwer beschädigt sind alle Nebengebäude wie das Wohnhaus, ein weiteres Schulhaus, die Schulbühne, die Schulküche, die Kantine, Computer, Wandtafeln, Schulmaterial, ganze Klassenzimmer sind zerstört. Der Schaden geht in die Millionen.
Gibt es in Ihrer Familie Verletzte oder gar Tote? Wird noch jemand vermisst?
Mein Schwager war fünf Tage lang verschollen, er war unter einem Baum eingeklemmt, der auf das Haus fiel, in dem er sich aufhielt. Er war ausserhalb von Tacloban auf dem Land. Zum Glück kam er mit Blessuren davon. Einige Onkel und Tanten werden noch vermisst, einige haben sich gemeldet. Das kann aber noch dauern, bis wir von allen Bescheid haben, da ein Teil unserer Familie auf der Insel Leyte auf dem Land lebt. Gewisse Gebiete dort haben noch keinen Kontakt zur Aussenwelt.
Wie versuchen Sie nun zu helfen?
In einem ersten Schritt haben wir eine Versorgungslinie vom Norden Samars nach Tacloban aufgebaut. Wir haben dort Freunde, die nun das Nötigste nach Tacloban liefern. Dabei geht es vorwiegend um Essen, denn immer mehr Schulangehörige melden sich auf dem Campus, um etwas zu essen und zu trinken zu kriegen. Die internationalen und nationalen Hilfsorganisationen sind bis jetzt noch nicht in den Bezirk meiner Schwiegereltern vorgedrungen.
Kommen sich denn private Hilfe, Hilfsorganisationen und Regierung nicht in den Weg oder behindern sich sogar?
Nein, im Gegenteil, denn die offizielle Hilfe kommt aufgrund des Ausmasses der Verwüstung nur schlecht voran, die private und lokal organisierte Hilfe kann hingegen auch in ungesicherte Gebiete vordringen. Die internationalen Grössen wie das Rote Kreuz sind auf die nationale Logistik angewiesen, die nicht gut zu funktionieren scheint. Und die nationale Hilfe nimmt sich sogar Zeit, Kleber mit Namen von Politikern auf Notrationen drucken zu lassen, bevor die dringend benötigten Hilfsgüter verteilt werden dürfen.
Man hört von Schiessereien und Plünderungen. Verstehen Sie die Wut der Menschen?
Ja, die verstehe ich. Die philippinische Regierung hat in allen Provinzen Lager mit Notvorräten stehen, gedacht für den Notfall bei Taifunen. Einige dieser Lager waren leider nur auf dem Papier vorhanden, da korrupte Menschen das Geld dafür eingesackt haben, und die tatsächlich gefüllten Lager wurden geplündert, weil die Verteilung nicht organisiert war oder nicht organisiert werden konnte.
Ist es deshalb - für Sie als Westler - nicht zu gefährlich, nach Tacloban zu reisen?
Natürlich gibt es kriminelle Menschen, die aus dieser Notlage Kapital schlagen, aber wie ich informiert bin, helfen sich die Menschen vor Ort, wo sie nur können. Die Philippiner sind ein sehr hilfsbereites und lebensfrohes Volk, die Solidarität untereinander ist gross, der Familiensinn ausgeprägt. Wir werden uns auf die Reise so gut vorbereiten, wie es nur geht. Für das letzte und schwierigste Teilstück sind wir in Kontakt mit der Polizei und hoffen auf Geleitschutz.
Schildern Sie uns kurz Ihren momentanen Tagesablauf.
Ich verbringe Stunden am Computer und am Telefon, meine Frau ebenso. Wir schlafen wenig, sind am Organisieren und Kommunizieren. Ich kümmere mich um die Spendenaktion für Soforthilfe und Wiederaufbau, Minerva organisiert die Transporte und kümmert sich um die ganze Logistik rund um ihre Eltern. Momentan sind wir dabei, einen Generator und einen Kleinlaster hier in Manila zu beschaffen, um mit den Aufräumarbeiten beginnen zu können.
Wie lange planen Sie, in Tacloban zu bleiben?
Nur wenige Tage. Wir wollen den Kleinlaster, den Generator und Güter aus Manila bringen und vor allem endlich unsere Familie umarmen. Danach müssen wir so schnell wie möglich wieder nach Manila, um von hier aus die Hilfe und die Spenden zu koordinieren.
Wie kann man aus der Schweiz helfen?
Wir haben eine private Spendenaktion ins Leben gerufen, weil man nicht weiss, wann und ob überhaupt Geld zum Wiederaufbau fliessen wird. Um die Stiftung meiner Schwiegereltern zu unterstützen, kann man uns finanziell helfen. Oder man schickt uns noch funktionsfähige Computer, die man nicht mehr braucht oder auf die man verzichten kann. Das können auch ältere Modelle sein. Wir sind daran, in der Stadt Zürich eine Sammelstelle dafür einzurichten. Wer einen Computer, einen Laptop, ein Tablet oder einen Projektor spenden möchte, kann sich direkt bei uns via der Mailadresse info@mondejar.edu melden.
Wer ausserdem Michael Steiners Projekt unterstützen will, kann das tun:
Spendenkonto Postfinance: 113127883, Kontonummer: 87-666314-7
IBAN CH76 0900 0000 8766 6314 7
Mondejar Minerva, Vermerk: JE Mondejar Foundation College
Weitere Informationen gibts hier.
13 Seiten über den Monster-Taifun: Wie der Schweizer Daniel Burkhalter seinen neugeborenen Sohn rettete und viele egreifende Bilder - in der neuen «Schweizer Illustrierten» Nr. 47, ab 18. November am Kiosk oder auf Ihrem iPad.