Das Sterben scheint Gardi Hutter, 65, zu liegen. Als «Hanna» war sie in sieben von acht Bühnenstücken am Ende tot. Jetzt, im neusten Programm «Gaia Gaudi» (Tourdaten: www.gardihutter.com), ist Hutter alias Hanna von Anfang an hinüber. Doch davon lässt sich die freche Göre mit der roten Knubbelnase, den verstrubbelten Haaren und der ausgeblichenen Schürze nicht abhalten, weiterhin putzmunter als verstorbene Seele über die Bühne zu flattern.
Tränen, Wut und Gebrüll
Quicklebendig, obschon tot – es geht um die nachfolgende Generation, um Wurzeln und Flügel. Und zwar sowohl bei ihrer Hanna auf der Bühne als auch in Gardi Hutters echtem Leben. Erstmals steht die Clownin mit ihren Kindern Juri, 33, und Neda, 29, gemeinsam auf der Bühne – und auch Schwiegertochter Beatriz, 42, ist mit von der Partie.
«Damit ist für mich ein Wunsch in Erfüllung gegangen.» Doch der Weg dahin sei anstrengend und zeitweise mit Tränen, Wut, Verschlossenheit und Gebrüll verbunden gewesen, gibt Hutter zu.
Vier Hannas auf einer Bühne. Die Idee kommt Hutter vor drei Jahren. Sie hätte mit 65 einfach in Pension gehen können. «Das war auch eine Option», sagt sie. Andererseits sei für sie Theater nach all den Jahrzehnten immer noch «etwas Wunderbares». «Was da passiert… hat etwas von einem Rausch – einem alkoholfreien Rausch», schwärmt sie.
Die Schweizerin ist internationales Vorbild
Eine gewisse Müdigkeit habe sie dennoch zunehmend verspürt, gesteht Hutter. «Tausende Kilometer auf Autobahnen, dazu unzählige Raststätten, Hotel-Frühstücksbuffets, das Herumhängen an Flughäfen – das alles zehrt.» Seit 1981 ist sie mit ihrer «Hanna» als Solo-Künstlerin unterwegs, hat über 3700 Vorstellungen in 33 Ländern rund um den Globus gegeben, weltweit über ein Dutzend Auszeichnungen erhalten – sie tourte 2000 mit dem Circus Knie als Clownin durchs Land. Die Schweizerin gilt heute international als weibliches Vorbild für das Clowntheater.
Verschoben hat sie die AHV. «Aber ich wusste, dass ich nicht mehr alleine weitermachen wollte.» Und so ruft sie ihre Kinder an, die seit drei Jahren in Marseille in einer WG zusammenleben, und fragt, ob sie nicht Lust hätten, mit ihrer Mutter gemeinsame Sache zu machen.
Juri und Neda sind mit der Bühnenfigur Hanna aufgewachsen. «Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr waren beide mit mir unterwegs», erinnert sich Gardi. Im Gegensatz zu ihrer Tochter, die schon als Zweijährige mit dem Schoppen jeden Abend in der Vorstellung in der ersten Reihe gesessen und gespannt zugeschaut habe, sei Juri am Theater weniger interessiert gewesen. «Er fand jedes Loch auf irgendwelchen Dachböden interessanter und erforschte es.»
Nur weil sie ihre Kinder seien, hätte sie Juri und Neda nicht mit ins Boot geholt. «Mir gefällt vor allem, was sie künstlerisch tun.» Juri ist Perkussionist, er studierte in Amsterdam Musik, reist seit Jahren als Künstler mit seiner Frau Beatriz, einer Tänzerin aus Mexiko, und ihrer Kompanie Onyrikon durch die Welt.
Seine Schwester Neda ist als Sängerin ebenfalls dabei. Ursprünglich hat sie Biologie und Anthropologie studiert und sich erst nach ihrem Bachelorabschluss der Kunst zugewandt.
Es gab dramatische und Verzweifelte Momente
Zusammenraufen mussten sie sich – die Mutter und ihre Kinder. «Ich dachte zu Beginn, dass sie mir einfach die Musik machen», erzählt Gardi. Aber das wäre langweilig gewesen. Spannend werde es erst, wenn sich verschiedene Vorstellungen aneinander reiben würden.
Gardi: «Es gab dramatische und verzweifelte Momente in unserer Zusammenarbeit.» Kurz habe sie sogar ans Aufgeben gedacht. Hilfe bietet ihnen schliesslich ein professioneller Coach, den sie mit ins Boot holen.
Ein gemeinsames Werk zu erschaffen, das ist mit «Gaia Gaudi» das Ziel von Gardi, Juri und Neda. Gardi muss bei der Zusammenarbeit mit den Kindern lernen, dass es nicht immer nur nach ihrem Kopf geht. «Die Natur hat es ja auch so eingerichtet, dass jede junge Generation etwas Eigenes will und dies nicht automatisch mit den Vorstellungen der Alten zusammengeht – so entsteht Neues und Überraschendes.»
Vier Monate einfach nur leben
Ende gut, alles gut. Sie haben sämtliche Krisen gemeistert. Und feiern seit Oktober den Erfolg als «Familienunternehmen» auf der Bühne. «Das funktioniert jetzt ziemlich gut», zieht Tochter Neda ein persönliches Fazit. Und auch Sohn Juri hält fest: «Meine Mutter und ich, wir haben denselben Sturkopf. Aber es ist schön, dass wir gemeinsam einen guten Weg gefunden haben.»
Vergessen sind die Tränen, die Wut. «Ich verspüre einfach eine ganz tiefe Freude, dass wirs geschafft haben», sagt Gardi. Sie hat loslassen können. Nicht nur als Mutter, auch als Künstlerin. Der Bühnenrausch bleibt ihr noch ein wenig erhalten. Gardi Hutters Vorsatz fürs neue Jahr: vier Monate mit ihren Kindern auf der Bühne stehen, vier Monate solo touren – und vier Monate einfach nur leben.