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Hunderte Post-Stellen vor dem Aus

Unterwegs mit dem obersten Pöstler der Schweiz

Was passiert, wenn die Poststelle im Dorf schliesst? Urs Schwaller, der oberste Pöstler der Schweiz, geht mit der «Schweizer Illustrierten» auf eine Tour durchs Land. In Oberbalm BE kauft er ein Glas Honig. In Zäziwil BE bekommt er einen Landjäger. Und in Kastanienbaum LU schreibt er seiner 90-jährigen Mutter eine Postkarte.

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Urs Schwaller Post Verwaltungsrat Präsident

«Ohne Post gäbe es keinen Dorfladen.» Verena Schmocker vom Volg Oberbalm BE mit Post-Verwaltungsratspräsident Urs Schwaller.

Geri Born/Schweizer Illustrierte
 

Schräg gegenüber dem Dorfladen blühen Hunderte von Blumen. Urs Schwaller, 65, steigt aus dem Auto und schaut in den prächtigen Bauernhaus-Garten. «Das esch efach schön», sagt er in seinem Sensler-Dialekt, mit dem der heutige Verwaltungsratspräsident der Post schon früher als Ständerat Vertrauen verströmte.

Wir sind in Oberbalm BE, die Nachbarorte heissen Oberscherli, Oberulmiz, Niederblacken und Niedermuhlern. Die Hauptstadt, wo die Post ihren Sitz hat, ist nur 20 Autominuten entfernt und doch weit weg. Im Dorfladen steht Verena Schmocker, eine kleine, kräftige Frau mit knallgrünen Hosen: «Ich bin eine Bauerntochter, arbeite seit 1998 hier. Der Laden ist mein Leben, von Montag bis Sonntag, von 6.30 bis 19.30 Uhr.» Sie sitzt an der Kasse, grüsst und scannt ein Paket: «Hallo, Silvia, ist das für deinen Sohn, also Feldpost?» Die Angesprochene nickt. Sie ist Bäuerin, kommt fast jeden Tag. «Wir sind noch eine eigenständige Gemeinde. Der Volg ist unser Dorftreff.»

Die älteste Poststelle der Schweiz

Seit 2005 ist der Laden auch eine Post. Es ist die älteste Postagentur der Schweiz. Filialleiterin Schmocker freut sich über den hohen Besuch aus Bern: «Ohne das Zusatzgeschäft mit der Post gäbe es den Laden nicht mehr.»

Vor dem Honigregal steht Werner Hunziker. Er nimmt ein Glas Blütenhonig und geht direkt auf Urs Schwaller zu: «Sie sind doch der Postchef? Sie dürfen nicht alle Poststellen schliessen!» Schwaller gibt ihm zuerst die Hand und stellt sich vor. Dann erst antwortet er: «Nein, nein, wir machen es nicht wie in Deutschland, wo es nur noch Postagenturen gibt.» – «Gut so», meint Hunziker, «man muss nicht alles den Deutschen nachmachen. Aber wenn Sie schon von der Post sind, kaufen Sie doch meinen Honig hier. Und schicken Sie mir bitte einen Brief und sagen mir, wie er schmeckt. Sie können dann per Post weitere Gläser bestellen! Man merkt, dass Schwaller aus Tafers FR vom Land kommt. Sofort fragt er den Imker, ob der Honig frisch geschleudert sei. «Ich kaufe ein Glas Hung, aber nur, wenn es nicht zu viel Raps drin hat.»

An der Kasse fragt Schwaller die Ladenleiterin, wie hoch der Postanteil am Umsatz sei. «Ja, das macht schon was aus. Ohne die Postagentur hätte ich sicher eine Teilzeitfrau weniger.» Stolz erzählt sie, wie sich ihre Arbeit für die Post verändert habe. «Früher durfte man bei uns keine Auslandpost aufgeben. Auch keine Nachnahmen machen. Aber ich habe immer zu eurer Zufriedenheit gearbeitet und wenig Fehler gemacht. Ausser ein einziges Mal habe ich in den zwölf Jahren jeden Monat den Bonus erhalten.»

Schwallers nächste Station ist Zäziwil im Emmental, wo die Poststelle von Godi Müller am 8. Juli dichtmacht. Kaum tritt Schwaller ein, wird er von einer Frau, die am Schalter Bareinzahlungen auf ihre Postfinance-Karte macht, attackiert: «Kommen Sie zur Hinrichtung?!» Schwaller verneint höflich. «Zuerst einmal möchte ich dem abtretenden Poststellenleiter Danke sagen für 45 Jahre im Dienst der Post. Aber wir richten nicht hin, wir richten neu aus. In Zukunft können Sie im Dorfladen mit viel längeren Öffnungszeiten ihre Einkäufe und ihre Postsachen erledigen.» Die Frau lässt sich nicht so leicht beruhigen: «Aber meine Bareinzahlungen kann ich dort dann nicht mehr machen.» – «Das stimmt», sagt Schwaller, aber fragen Sie mal Herrn Müller, wie viele noch hier ihre Einzahlungen machen.»

Ein Viertel weniger Einzahlungen

Poststellenleiter Godi Müller will das nicht verraten. Er zeigt auf das anwesende SI-Team und sagt zum Verwaltungsratspräsidenten der Post: «Ich muss zuerst die Medienstelle fragen, ob ich reden darf.» – «Ja, ja, das ist alles okay», erwidert Schwaller. Erst als sich seine Begleiterin Jacqueline Bühlmann als Mediensprecherin der Post ausweist, beruhigt sich Herr Müller: «Die Kundenfrequenz ist in den vergangenen Jahren – wenn überhaupt – nur wenig zurückgegangen. Ich hätte gern noch etwa anderthalb Jahre länger gearbeitet.»

Schwaller ist gut vorbereitet nach Zäziwil gekommen: «Sie haben hier im Schnitt pro Tag 127 Einzahlungen, das sind 22 Prozent weniger als vor fünf Jahren.» Godi Müller lenkt sofort ein: «Ja, ich weiss schon, das ist eine Zeiterscheinung. Ich verstehe es schon, aber es tut auch weh.»

Zum Abschied hat er für seine Stammkunden auf eigene Rechnung 500 Landjägerli und 500 Schoggikäferli gekauft und auf ein Kärtchen geklebt. Feierlich überreicht er Schwaller eines: «Ich bedanke mich, dass ich zum Schluss meiner Arbeit bei der Post noch einen so hohen Besuch erhalten habe.»

Bevor Schwaller Zäziwil verlässt, geht er noch schnell in den Volg, schaut sich die neue Postecke an und kauft ein Prügeli und ein Schoggistängeli. Ladenleiterin Therese Weltner erklärt ihm, dass sie nächste Woche von der Post für ihre neue Aufgabe geschult wird. «Ich freue mich!»

Die 24-Stunden-Post

Weiter gehts an den Vierwaldstättersee. Dort ist die Postagentur seit dem 7. November ganz exklusiv im Seehotel Kastanienbaum untergebracht – die Réception ist hier die Post für diesen Ortsteil von Horw LU. Und Hoteldirektorin Simone Müller-Staubli ist happy: «Gemeinsam mit den Ortsvereinen und der Gemeinde haben wir selber die Initiative ergriffen. Das Hotel hat unter dem Vorpächter seine Bedeutung als Begegnungsort verloren. Es hatte kaum Stammkunden aus dem Dorf. Dank der Postagentur haben wir jetzt wieder einen guten Kontakt mit der Bevölkerung. Und es hilft auch, unsere Mitarbeiter an der Réception besser auszulasten.» Hier kann der Postkurier sogar eine Kaffeepause einlegen, wenn er die Post abholen kommt.

Urs Schwaller Post Verwaltungsrat Präsident

Die Réception im Seehotel Kastanienbaum von Simone Müller-Staubli, 33, ist Tag und Nacht auch eine Post.

Geri Born/Schweizer Illustrierte

Auch bei den Anwälten aus Luzern hat sich diese Postagentur rumgesprochen. «Weil die Réception ja rund um die Uhr offen ist, sind wir quasi eine 24-Stunden-Post. Das nützen die Anwälte aus, die noch knapp vor Mitternacht ihre Post abgeben müssen», sagt die Hoteldirektorin und schenkt dem Postpräsidenten wie jedem Hotelgast eine Postkarte samt Marke. Urs Schwaller schreibt sie gleich seiner Mutter: «Sie wird demnächst 91 Jahre alt und freut sich über jeden Kartengruss.»

Von Werner De Schepper am 9. Juli 2017 - 15:53 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 13:51 Uhr