Sie bewegt sich so sicher vor der Kamera, als ob sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht hätte. Viktorija Golubic ist es sichtlich wohl in ihrer Haut. Sie ist angekommen. Dabei hatten sie bis im vergangenen Jahr nur Tennisinsider auf dem Radar. Dann brillierte Viktorija Golubic am Fedcup-Halbfinal in Luzern, feierte einen Turniersieg in Gstaad, kam in Linz bis in den Final und stieg so in einer Saison von Rang 178 auf 56. Mit 24 Jahren hat die junge Frau aus Zürich Affoltern plötzlich den Tritt in der Weltsportart gefunden.
Schweizer Illustrierte: Viktorija Golubic, warum können Sie es nun mit den Besten aufnehmen?
Viktorija Golubic: Es hat plötzlich alles zusammengepasst. Viele Jahre der Vorarbeit haben sich jetzt ausbezahlt. Ich habe einen späten Lohn geerntet. Ich habe so viel erlebt.
Welche Zutat war für den Erfolg entscheidend?
Ich bin physisch noch einen Tick besser als zuvor, habe mehr Power und Explosivität. Ich war schon immer fit. Aber jetzt bin ich auf einem anderen Level. Und mein Kopf ist stärker. Ich kann besser mit Sieg und Niederlage umgehen, bleibe fokussiert. Ich habe die richtige Lebensphilosophie gefunden.
Erklären Sie das.
Stark vereinfacht würde ich sagen, es geht darum, präsenter zu sein, den Kopf im Jetzt zu behalten. Nicht zu weit vorauszudenken oder in der Vergangenheit zu verharren. Früher habe ich Niederlagen mit mir herumgetragen. Heute lösche ich sozusagen die Festplatte. Vor Gstaad spielte ich schlecht. Aber ich nahm es nicht mit. Und dann gewann ich das Turnier.
Sie hatten Ihre Trainingsbasis lange in Kerpen bei Köln. Jetzt kehren Sie zurück in die Schweiz. Warum?
Einerseits hat sich meine Turnierplanung verändert, ich bin meistens unterwegs, anderseits und durch meine Leistungen ist die Schweiz erschwinglich geworden. Vor ein paar Jahren war es finanziell schwierig. Ich musste überlegen, wie ich alles bezahle. Ich bin froh, zurück nach Zürich zu kommen. Zurück in meine Stadt, in der ich aufwuchs.
Ich spürte einfach, dass ich das kann
Wie konnten Sie so mutig sein und voll aufs Tennis setzen? Ihre Juniorinnen-Resultate waren ja nicht einzigartig.
Ich spürte es einfach, dass das für mich der Weg ist, dass ich das kann. Das war gar keine Frage. Spätestens mit 19 musste ich die Entscheidung einer erwachsenen Frau treffen.
Wie haben Sie sich den Traum finanziert?
Während meiner Kindheit und Jugend hatte ich das Glück, dass ich beim bekannten Tennislehrer Csaba Nagy in Bassersdorf trainieren durfte. Ich musste weder fürs Training noch für die Plätze etwas bezahlen. Ohne diese Hilfe hätte meine Karriere nie geklappt.
Sobald die Top 100 erreicht sind, kann man überleben.
Absolut. Aber bis dahin ist der Weg schwierig. Wenn ich zurückschaue und mich frage, ob ich es noch mal machen würde … (bläst Luft heraus). Ich weiss nicht, ob ich das noch einmal aushalten würde. Aber wenn man mittendrin steckt, gibt man nicht so schnell auf.
Was war denn kaum auszuhalten?
Die Phasen, in denen ich alleine unterwegs war, waren schwierig. Andere haben mit 17 schon eine ganze Struktur mit Trainer, Physio und so weiter um sich. Ich musste immer wieder Lösungen finden, wie ich das Geld einsetze. Es tut auch weh, viel Geld zu investieren. Damit hatte ich früher viel Mühe. Ich dachte, meine Eltern - mein Vater war Schreiner, die Mutter Krankenschwester - geben so viel aus, ist das wirklich gut? Bis meine Mutter mir sagte: «Fertig, trag das nicht als Sorge mit dir herum.» Das hat mich befreit.
Worauf haben Sie verzichtet?
Ich wurde von meinem ersten Trainer in dieser Hinsicht recht strikte erzogen. Ich kam mit Ausgang und Shopping selten in Kontakt. Aber ich erinnere mich, dass ich in den Ferien oft trainierte, während die Familie zusammen war. Das fand ich schade. Aber das musste auch sein.
Sie haben mit Kristijan, 41, David, 38, und Natalija, 36, drei wesentlich ältere Geschwister mit unterschiedlichsten Laufbahnen. Was haben Sie überhaupt zusammen zu tun?
Wir sind eng verbunden. Alle geben mir Rückhalt. Als ich geboren wurde, waren sie Teenager. Und kaum konnte ich laufen, spielten sie mit mir. Fussball, Basketball - alles Mögliche. Sport hat uns immer verbunden. David schenkte mir im Alter von zwei mein erstes Racket. Er half mir sportlich von klein auf. Und meine Schwester betreut mich noch heute. Sie ist eine wichtige Bezugsperson, die mich stark geprägt hat.
Sie und Ihr Trainer Philipp Wallbank sind ein Paar. Sind da die Konflikte nicht programmiert?
Wenn man 24 Stunden zusammen ist, muss man sich Freiräume geben. Aber wir harmonieren gut, sind gleichberechtigt. Die Leute denken manchmal, dass der Trainer alles bestimmt. Das ist vielleicht im Fussball so. Im Tennis versucht man, gemeinsam Lösungen zu finden. Philipp inspiriert mich. Es ist ein cooles Teamwork. Das Schöne ist, dass wir meine Karriere zusammen gestalten können und als Paar alles erleben.
Haben Sie nie gesagt, mit dem Trainer werde ich nie etwas anfangen?
Vor ein paar Jahren hätte ich gesagt: Nie im Leben! So kann man sich täuschen (lacht laut). Wir haben im Prinzip zusammen eine Firma. Und ich bin der CEO.
Gibt es viele Gespräche, in denen Tennis keine Rolle spielt?
Absolut. Manchmal sagen wir, jetzt reicht es, wir haben genug darüber geredet. Anderseits muss man auch ein wenig verrückt sein, wenn man Sport als Beruf ausübt. Plötzlich kommt einem eine Idee, und zack, sind wir wieder drin.
Philipp Wallbank: Uns beide interessiert die psychologische Seite des Tennis. Es geht um Menschen. Wie sie ticken. Wo sie ihre Stärken und Schwächen haben. Darum gibt es interessante Gespräche.
Hat Sie Roger Federer inspiriert?
Roger ist und bleibt mein Held. Seine Eleganz hat mich stets fasziniert. Die Kraft, gepaart mit der Lockerheit. Das kann sonst keiner. Ausser vielleicht Philipp (lacht). Ich bin mit Roger aufgewachsen. Dass ich eine einhändige Rückhand spiele, hat nichts mit ihm zu tun, sondern mit meinem Trainer Csaba Nagy, der mir eines Tages sagte: «Du spielst ab morgen einhändig!» Früher spielte ich auf beiden Seiten beidhändig. Er fand aber, dass es mehr meinem Charakter entspricht, wenn ich einhändig spiele. Ich bin so vielseitiger und kann frecher agieren.
Secondos sind vielleicht zielstrebiger
Warum gibt es in der Schweiz immer wieder Topspieler?
Ich weiss nicht. Die Schweiz hat sicher eine sehr gute Infrastruktur. Im Zusammenspiel mit verschiedenen Mentalitäten scheint es eine erfolgversprechende Mischung zu sein. Ich habe Balkanwurzeln. Das Temperament hilft mir. Temperament und Biss. Secondos sind vielleicht zielstrebiger, sichern sich nicht ab, setzen alles auf eine Karte. Sie glauben daran. Wenn man das nicht hat, schafft man es nie. Wenn ich gleich viel auf die Schule gesetzt hätte, wäre der Zug abgefahren.
Würden Sie einem jungen Mädchen eine Tenniskarriere empfehlen?
Ja. Zwar habe ich gesagt, ich wüsste nicht, ob ich das noch mal machen würde. Aber ich habe viel fürs Leben gelernt. Man wird reifer, hat früh schwierige Momente zu überstehen. Das hilft in der Entwicklung. Wenn jemand das Feuer hat, ist es ein cooler Weg.
Die Belohnung kommt in den meisten Fällen nicht. Oder - wie bei Ihnen - spät.
Wer auf die Belohnung aus ist, darf gar nie damit beginnen. Dann kommt sie nie. Wer sich damit abfindet, dass es keinen grossen Preis gibt, dafür aus Leidenschaft alles gibt, bekommt hingegen vielleicht plötzlich etwas. Das ist das Paradoxe daran.