Wendy Holdener, gra
tuliere! Sie sind 30 Jahre nach Vreni Schneider die erste Schweizerin, die ihren WM-Titel verteidigt. Wie ist das?
Schön. Es ist genial, den Titel verteidigen zu dürfen. Dafür muss aber sehr viel passen! Und ich hatte das Glück, dass ich in den vergangenen Jahren gesund und in Form geblieben bin.
Gewöhnt man sich an den Erfolg?
Jein. Man gewöhnt sich sicher daran, immer vorne dabei zu sein und die Leistung zu bringen. Wenn es nicht läuft, ist es allerdings umso schwieriger, wieder dorthin zu kommen. Du überlegst dann, wieso, warum. Vielleicht machst du nichts anders, aber es läuft einfach gerade nicht.
Was ist anders als bei Ihrem ersten WM-Titel vor zwei Jahren?
Oh, an das Gefühl, eine Medaille zu gewinnen – daran gewöhnt man sich nicht. Das sind zum Glück jedes Mal wieder spezielle Emotionen und Momente, die man mit sich selber im Ziel hat und anschliessend mit dem Team und den Fans teilen kann.
Was hat sich in der Zwischenzeit verändert?
Ich habe mich positiv entwickelt, bin als Person gewachsen. Gleichzeitig bin ich bekannter geworden. Der Rummel wurde grösser. Hier in Åre war ich aber selber überrascht, wie leicht mir das alles gefallen ist. Ich wusste, was nach dem Sieg auf mich zukommt.
Inwiefern sind Sie denn als Mensch gewachsen?
Jeder lernt ja ständig dazu. Ich brauchte auch in diesem Jahr Hilfe, um das eine oder andere richtig einzuordnen. Zum Beispiel wenn ich wieder mal zu viel will oder zu streng mit mir bin, obwohl ich schon viel erreicht habe. Ich habe jetzt das Gefühl, ich bin gewachsen. Trotzdem falle ich immer wieder in alte Muster zurück.
Sprechen Sie mit anderen Fahrerinnen über solche Themen?
Ich würde andere Skifahrerinnen gern gewisse persönliche Dinge fragen: Wie geht ihr mit Tagen um, an denen ihr müde seid? Oder wenn der Medienrummel so gross ist? Aber es ist schwierig, zu solch intimen Themen zu kommen. Dieses Jahr wollte ich gern mit
Nina Haver-Løseth reden, da sie im Weltcup eine meiner besten Kolleginnen ist. Aber sie verletzte sich leider. Dann besprichst du solche Dinge halt teamintern, mit deinen Betreuern oder mit Michelle Gisin.
Sie sind mit Mikaela Shiffrin,
Ilka Stuhec und Federica Brignone im Privatjet an die WM geflogen. Haben Sie dort solche Gespräche
geführt?
Ja, schon. Ich würde zum Beispiel gern eine Wohnung oder ein Haus kaufen. Ich finde es aber schwierig, weil man da Hilfe braucht. Oder keine Zeit hat, ständig
den Wohnungsmarkt zu checken.
Also fragte ich die anderen, wie das bei ihnen läuft. Es war spannend. Jede hat von ihrer eigenen Wohnung Bilder gezeigt und erzählt. Mich interessiert die Immobilienbranche. Und ich hatte Freude, von ihren Erfahrungen
zu hören.
Wie war Mikaela Shiffrin privat?
Sehr freundlich, du merkst ihr nicht an, dass sie so viel gewonnen hat oder besser ist als wir. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass ich als Athletin etwas anders mache. Logisch siehst du in diesen fünf Stunden im Flugzeug nicht viel. Weder ihre Erholung noch die Physio oder ihr Konditraining.
Sieben Medaillen an drei Grossanlässen, und die WM ist noch nicht zu Ende…
… das ist eine gute Bilanz, oder?
Ja! Waren Sie schon früher gut, wenn es darauf
ankam?
Nein, ich war eher immer sehr nervös. Jeder Grossanlass vor
St. Moritz 2017 war eine Katastrophe. Zum Beispiel vor der Grand-Prix-Migros-Ausscheidung. Da musste man in die Top drei fahren, um den Final zu erreichen. Michelle Gisin war in solchen
Situationen immer die Stärkste.
Sie empfinden den Druck an Grossanlässen als «jenseits von Gut und Böse».
Bei der Kombination war es
diesmal anders. Ich war gut
drauf und habe ihn nicht so gespürt.
Geht es jedes Mal leichter?
Es waren eher die Umstände:
Mir lief es im Training gut,
ich hatte genügend Zeit, um zu Hause nochmals Energie zu tanken, hatte zwei gute Resultate
in den letzten Rennen vor der WM. Und dann habe ich mir
aufgeschrieben, worauf ich mich hier freue. Dank all dem konnte ich mit dem Druck viel besser umgehen.
Was haben Sie aufgeschrieben?
Dass ich mich auf die Winterstimmung freue, das Winter-Wunderland. Auf die Skirennen. Dass wir einen Koch dabeihaben, was mir sehr wichtig ist. Ich freue mich, dass meine Liebsten mitkommen. Dass wir zweieinhalb Wochen
am selben Ort sind und nicht alle drei Tage packen müssen. Das sind Kleinigkeiten, die mich dann positiv stimmen.
Machen Sie öfter solche Memos?
Nein. Aber in dieser Saison empfand ich die vielen Reisen als streng, und auch die Resultate waren nicht immer toll. Also probierte ich das einfach als Hilfe aus. Es hat wohl geklappt.