Zwei offizielle Trauungslokale gibt es im malerischen Einsiedeln SZ: das Standesamt und - man höre und staune - die Andreas-Küttel-Schanze. «Da musste ich natürlich nicht zweimal überlegen, wo ich heirate», sagt Skisprung-Weltmeister Andreas Küttel, 30, und lacht. Am vergangenen Donnerstag gab er seiner Verlobten Dorota Pawlowska, 31, an diesem ungewöhnlichen Ort das Ja-Wort.
Im Februar, während der Skisprung-Weltmeisterschaft in Liberec, hatte Andreas um die Hand von Dorota angehalten. «Davon haben wir nur unserem engsten Umfeld erzählt.» Noch vor wenigen Wochen, als sich Andreas mit der Schweizer Illustrierten zu einem Fototermin traf, sagte er mit Unschuldsmiene: «Wir haben gemeinsame Pläne, aber es gibt noch nichts Konkretes.» Jetzt, da es offiziell ist, erzählt er mit Stolz von seiner Hochzeit: «Es war eine wunderschöne Trauung im kleinen Rahmen mit 17 Gästen.» Und den Segen von Wettergott Petrus scheint das Paar auch zu haben: «Während der Trauung und des Fünf-Gang-Nachtessens hat es geregnet. Aber für die Fotos und den Apéro schien die Sonne. Es war perfekt.» Die kirchliche Trauung und das grosse Fest sollen im nächsten Jahr in Polen stattfinden. «So ist es fair verteilt», sagt Andreas.
Gefunkt hat es zwischen Andreas und Dorota im Sommer 2006, während des Sommertrainings der Schweizer Skispringer in Zakopane, Polen. «In einem Café sind wir uns das erste Mal begegnet», sagt Andreas.
Für die Frischvermählten ist es nicht immer einfach, Zeit füreinander zu finden. «Es war sogar schwierig, einen Hochzeitstermin zu finden. Ich bin für meinen Sport 200 Tage im Jahr auf Achse, und Dorota arbeitet als Ärztin im dänischen Sönderborg.» Ein Schweizer Skispringer und eine polnische Ärztin, die in Dänemark arbeitet - nicht gerade eine alltägliche Konstellation, wie die beiden lachend eingestehen.
«Mit Dorota habe ich meine Frau fürs Leben
gefunden» Andreas Küttel
Umso mehr geniessen sie den gemeinsamen Sommer in der Schweiz. Dorota, die jetzt den Namen Küttel trägt, hat ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub erhalten und ist für diese Zeit in die Wohnung eingezogen, die Andreas mit einem Kollegen teilt. «Ich versuche, meiner Frau etwas von der Schweiz zu zeigen. Für kurze Strecken nehmen wir meine Vespa, für unsere persönliche Tour de Suisse werden wir den Wohnwagen meiner Eltern benützen.» Für Dorota stehen mehrmals pro Woche auch Deutschstunden auf dem Programm. Und Andreas’ WG-Partner betätigt sich als Schweizermacher: «Er prüft dauernd, ob ich schon ‹Chuchichäschtli› sagen kann!»
Obwohl Andreas oft im Ausland auf Weitenjagd ist, fühlt er sich seinem Heimatort Einsiedeln stark verbunden. «Ich bin Kosmopolit. Aber je älter ich werde, desto stärker spüre ich, dass hier meine Wurzeln sind.» Andreas’ «geheime» Kraftquelle ist der Sihlsee. «Der Sprung ins kühle Nass ist mein festes Morgenritual. Nirgends kann ich besser Kraft und Ruhe tanken.»
Mit oder ohne Morgenritual: An Motivation und Lebensfreude mangelt es Andreas ohnehin nicht. Die Interessen des Turn- und Sportlehrers mit ETH-Abschluss sind breit gefächert: Seine Leidenschaft fürs Fotografieren macht ihn zum Paparazzo des Skisprung-Teams, Kochen ist eins seiner Hobbys (Dorota: «Und das sogar sehr gut»), und wenn er Lust auf Musik hat («Ich kann ohne Sound nicht sein»), fährt er mit der Vespa kurzerhand in die Rote Fabrik nach Zürich. Um auch geistig frisch zu bleiben, hat er kürzlich seine Englisch-Kenntnisse wieder aufgefrischt und das First-Diplom erworben.
Der Weltmeistertitel auf der Grossschanze von Liberec im vergangenen Februar hat das Leben von Andreas Küttel nicht auf den Kopf gestellt: «Ich bin extrem stolz auf diesen Titel. Trotzdem bin ich immer noch der Gleiche. Aber lustigerweise habe ich oft das Gefühl, dass man meinem Wort jetzt mehr Gewicht gibt. Dabei sage ich immer noch das Gleiche wie vorher!» Für Dorota hingegen bringt der Weltmeistertitel einige Änderungen mit sich: «In Dänemark kann ich nicht mal Andreas’ Sprünge am TV sehen. Aber in Polen ist der Sport so populär wie Fussball. Und jetzt bin ich plötzlich die Frau des Weltmeisters! Das ist schon sehr speziell.»
2011 soll mit der Profi-Karriere Schluss sein. «15 Jahre bin ich nun schon dabei, irgendwann ist es genug. Auf die kommenden Herausforderungen freue ich mich extrem. Und obwohl ich jetzt einen grossen Titel errungen habe, werde ich nicht nachlassen. Im Gegenteil, ich möchte nochmals durchstarten.»
Mal top, mal Flop. Wie schmal der Grat zwischen Euphorie und Absturz beim Skisprung ist, weiss Küttel aus eigener Erfahrung. «Skispringer balancieren immer zwischen diesen Extremen. In unserem Sport kann man sich nichts vormachen. Man muss jederzeit schonungslos ehrlich zu sich sein.» Eigenschaften, die sich auch auf das Privatleben übertragen, so Andreas. Für Dorota kein Problem, im Gegenteil: «Das macht Andreas für mich zu einem aussergewöhnlichen Menschen. Er ist sehr fokussiert, bleibt aber gleichzeitig offen für Neues.» Andreas: «Und im Gegensatz zu meinem Sport ist die Fluglage in meinem Privatleben stabil. Hier weiss ich: Dorota ist meine Frau fürs Leben.»