Mit dem Haarefärben fing ich früh an, in den Teeniejahren. Da war aus den einst goldigen Kinderlocken bereits ein dumpfes Aschblond geworden, eine hässliche Unfarbe wie die von Abwaschwasser. Diesen Irrtum der Natur korrigierte ich erst mit Henna – billig in der Anschaffung, hexig in der Wirkung mit Langhaar. In den 20ern wechselte ich auf L’Oréal Nummer 3 und ging fortan als dezente Brünette durchs Leben, ab 30 mit Kurzhaarschnitt à la Miss Mary Long. Des Prozederes des steten Nachfärbens müde, liess ich das falsche Rehbraun auswachsen – und, o Schreck, da stiess Grau nach. Nicht in Strähnen, sondern flächendeckend. Ich liess das mal so stehen, meine Umwelt gab mir recht. Mausgrau mit 40, das fanden viele mutig. Ich fands nur fad, also stellte ich meine Garderobe radikal auf Farbe um. Eine Vorliebe, die ich seither pflege. Der Alltag ist grau und trüb genug. Den Stoff für mein pinkfarbenes Deux-Pièce habe ich lange gesucht und dann von meiner Freundin Dunja massschneidern lassen. Je mehr Farbe halsabwärts dazukam, desto schneller verabschiedete sie sich aus meinem Schopf. Ausdem Salz-und-Pfeffer-Gemisch wurde Weiss. Mit 50 wars dann obenrum komplett farblos. Weiss wie mein Grosi mit 80! Jetzt musste ein neuer Ansatz her, aber pronto!
Den ersten Input gab – ausgerechnet – ein Mann, ein alter. In Martin Suters Filmdrehbuch «Giulias Verschwinden» lässt er seine Heldin an ihrem 50. Geburtstag den Satz einer Altersgenossin aufschnappen: «Wir verschwinden, wir Älteren.» Der Satz, eine Kapitulationserklärung für jede Frau jenseits der Menopause, bohrte sich in mein Gehirn. Der Grossautor hat grundsätzlich recht. Aber nur, wenn Frau Ü50 dieses Verschwinden zulässt. Einen nächsten Input lieferte mir Königin Elisabeth II. Zu ihren bunten Outfits befragt, meinte die Queen pragmatisch: «Ich bin klein und verschwinde in jeder Menschenmenge. Die Leute kommen aber, um mich zu sehen. Also trage ich starke Farben.» Auch diese Erkenntnis habe ich mir hinter die Ohren geschrieben, ich fand die Queen immer schon cool.
Einen weiteren Denkanstoss gab meine Freundin Barbara, eine dunkellockige Schönheit, Typ junge Sophia Loren, vor unserem Süditalien-Trip: «Ich bin jetzt platinblond», verkündete sie. Ich sah mich schon komplett in Luft aufgelöst an der Amalfi-Küste herumgeistern neben Bella Barbara/Sophia/Marilyn. Neben schön/blond/kurvig habe ich, klein/weiss/schmal, null Chancen auf Wahrnehmung durch flirtbereite Bademeister/Barkeeper/Bootsführer. Trübe Sommeraussichten.
Den letzten Kick Richtung Blauhaar gab mir meine Coiffeuse Irene. Ich verlangte eine zartblaue Tönung, sie weigerte sich. «Blauschimmer macht alt. Du willst doch nicht eine dieser ‹Blue-Hair Ladies› werden», meinte sie unverfroren. «Ich habe eine Musterdose Atomic Mermaid. Wenn schon, denn schon! Gib dir ‹en Schupf›. Am Meer wäscht sich das eh schnell aus.» Und schon war die leuchtend neonblaue Paste auf meinem Kopf. Leuchtend neonblau blieb es auch, nachdem die Pampe abgespült war. Ich erschrak gehörig ob meines Spiegelbilds, und das auch die nächsten Wochen (und manchmal noch heute, Jahre später). Aber es hagelte Komplimente von Bademeistern/Barkeepern/Bootsführern und überhaupt von jedem und jeder zwischen Palermo und Capri. Ich fühlte mich ein wenig verwegen, voll im Fokus und molto bella.
Das Ausbleichen mit Salzwasser und Sonne klappte nicht so recht – eigentlich gar nicht. Der Blauhelm hielt auch nach meiner Rückkehr. Meine Umwelt erklärt mich definitiv für verrückt. So locker wie die Italiener sehen meine Innerschweizer Dörfler bunte Vögel wohl nicht, dachte ich bange. Denkste! Ich wurde – und werde – täglich angesprochen, meist positiv. Oft von Unbekannten. Im Bus, im Coop, im Kafi, im Wald. Ich bekomme von rundum Komplimente für Mut und Look. Kinder fragen, ob ich Arielle/Schlumpfine/E.T. sei. Nur ein Bub fragte mal: «Bisch du chrank?» Alte Damen finden blaue Haare super – «an Ihnen! Ich würde das nie tragen». Junge Männer finden: «Hey, coole Oma», bei alten sehe ich die Denkblase: «Stände so was meinem Klärli auch?» Bei Blind Dates sage ich nicht mehr, ich sei die mit der «Style» unter dem Arm, sondern die mit den blauen Haaren. Verwechslung ausgeschlossen! Bunt und blau hat den weiteren Vorteil, dass ich mir Schminke und Lippenstift sparen kann. Noch mehr Farbe neben dem himmelblauen Dach wäre dann selbst mir too much.
Es darf «es bitzli meh si».