Der Wecker klingelt, wir blicken auf die Uhr und sobald unser Hirn den ersten Gang einlegt, folgt die schreckliche Erkenntnis: Verschlafen! Aufstehen, anziehen, Feuchtigkeitscreme ins Gesicht, Augenschatten abdecken, Augenbrauen nachziehen und raus aus der Hütte. Wir rennen zum Bahnhof, erwischen gerade noch den Zug und plötzlich fällt uns ein: Wir haben die Wimpern nicht getuscht. Ein mulmiges Gefühl macht sich breit: Wir fühlen uns beinahe nackt.
Die Augen sind wichtig. Sehr sogar. Schliesslich sind sie das Fenster zur Seele, sind ehrlich. Lange, dichte Wimpern geben ihnen Drama, lassen sie offener wirken. Mit ihnen fühlen wir uns selbstbewusst und sexy. Nicht umsonst lässt der klassischen Augenaufschlag die Angebeteten reihenweise umkippen.
Die Beauty-Industrie hat sich dessen angenommen und überflutet uns mit Angeboten, um unsere natürlichen Härchen auf ein neues Level zu heben. Ein Wimpernlifting vor Weihnachten und Silvester? Superpraktisch. Brennt zwar bei der Anwendung, hält aber drei Wochen. Serum, das die Wimpern wie von Zauberhand wachsen lässt? Ein wahr gewordener Traum. Aber sind Produkte wie Mascara und Serum wirklich so harmlos fürs Auge? Dr. med. Helmut Binder vom Augenarztzentrum Zürich klärt uns auf.
Was kann ein Wimpernserum und wie gefährlich ist es?
Erstmal vorab: Was ist ein Wimpernserum eigentlich genau und was stellt es mit den Härchen an? «Ein solches Serum soll das natürliche Wachstum verstärken und Menschen mit Wimpernwachstumsstörungen helfen», erklärt Dr. Binder. Wimpernwachstumsstörung? Tönt nach einem Luxusproblem, ist aber tatsächlich Realität. Für Menschen mit einer geringen Dichte der Wimpern sind Seren deshalb Gold wert. Und nicht nur für die. Mehr ist schliesslich heutzutage mehr.
Doch was steckt in einem Serum? Wir lesen nach und finden auf der Verpackungsbeilage: Hyaluronsäure. Das hilft doch gegen Falten? «Hyaluronsäure ist ein Benetzungsmittel, das auch in Augentropfen verwendet wird, um trockene Augen zu behandeln», erklärt uns Dr. Binder. «Im Bereich der Wimpern verhindert es das Austrocknen der Wimpernwurzel.»
Bad News: Nebenwirkungen sind nie ausgeschlossen
Trotz der positiven Wirkung von Hyaluron plagen uns Zweifel: Gibt es Nebenwirkungen? Schliesslich sind unsere Augen von so unglaublich dünner Haut umgeben, dass sie wahnsinnig empfindlich sind. «Nebenwirkungen von Wimpernprodukten im Generellen sind vergleichbar mit denen von Glaukom-Präparaten, einem Mittel zur Behandlung des grünen Stars», sagt Dr. Binder. «Es kann starkes Tränen als Reaktion auf das Austrocknen des Auges auslösen, ausserdem eine Beeinflussung des Augeninnendruckes, Juckreiz, Brennen, Rötungen und Schwellungen im Bereich der Wimpernwurzeln.»
Uff, da riskieren wir ja ganz schön was. Aber leider geht es direkt weiter mit den Bad News. Sogar Mascara entpuppt sich als Wolf im Schafspelz: Laut Dr. Binder werden unsere Wimpern von Mascara trocken und brüchig.
Wahnsinnig sinnvoll klingt Mascara also nicht, denn eigentlich wollen wir doch genau das Gegenteil. Die gute Nachricht: Professionelle Wimpernextensions sind in diesem Sinne nicht schädlich, weil sie auf die eigenen Härchen geklebt werden und nicht bis zum Wurzelbereich gelangen. Aber Vorsicht bei Fake Lashes, die man selbst anbringt. Wenn die tagsüber stören: bloss nicht reiben! Aufgrund der höheren Biegekraft laufen die natürlichen Wimpern dann nämlich Gefahr, abzubrechen.
Übertreibt es bitte nicht!
Und was sagt Dr. Binder zu den neuesten Trends wie vermeintlich pflegenden Wimpern-Conditionern, die den Wimpernverlust reduzieren, dem Ausfall vorbeugen und die Wimpern kräftigen sollen? «Wie bei allen Vorgängen in der Hygiene muss vor übermässiger Anwendung gewarnt werden», weiss der Augenarzt. «Oft wird die natürlich feine Fettschicht im Bereich der Haut und der Haarwurzel entfernt und eine Anfälligkeit für Entzündungen dadurch erhöht.» Wichtig sei deshalb, dass bei dauerhaftem Benutzen der Produkte zu Mitteln mit möglichst viel Hyaluronsäure, Lipiden und Vitaminen gegriffen wird. Na dann, gutes Tuschen und passt auf eure Mini-Haare auf.