Armani, der Revolutionär der Moderne

Der erfolgreichste italienische Modedesigner? Das ist klar Giorgio Armani. Selber stets gut gebräunt und in Armani gekleidet, ist er zugleich Stardesigner und Botschafter seiner Luxusmarke. Er wohnt in der beschaulichen Mailänder Via Borgonuovo. Hier finden auch seine Modeschauen in einem Theater statt, die aufgrund der begrenzten Kapazität und des grossen Andrangs jeweils gleich zweimal hintereinander durchgeführt werden. In der ersten Reihe sitzen Prominente wie Gwyneth Paltrow, Juliette Binoche, Milla Jovovich. Gut möglich, dass das alte Schauspielhaus ihn in seine Kindheit versetzt, als er aus alten Lumpen Kleidung für die Puppentheater seines Bruders Sergio nähte.

Von Piacenza nach Mailand

Giorgio Armani erblickt als mittleres Kind 1934 das Licht der Welt in der norditalienischen Industriestadt Piacenza, die während des Zweiten Weltkriegs mehrfach bombardiert wird. 1949 zieht seine aus bescheidenen Verhältnissen stammende Familie mit den drei Kindern nach Mailand, ins Epizentrum der Alta Moda. Er teilt die Liebe zum Theater mit seinem älteren Bruder, zeigt früh Interesse an der menschlichen Anatomie, studiert kurzzeitig Medizin. «Der menschliche Körper ist etwas, das ich wirklich über alles liebe», so Armani.

Nach einer erfolglosen Zeit als Student präsentiert er als Schaufensterdekorateur im Kaufhaus La Rinascente das finnische Bekleidungsunternehmen Marimekko. Anfang der 1960er-Jahre tritt er der Firma Hitman des Modeschöpfers Nino Cerruti bei und macht sich mit seinen modernen Entwürfen einen Namen. Nebenbei arbeitet er gleichzeitig als freischaffender Modedesigner. In heutiger Sprache: ein Workaholic. Den Architekturzeichner Sergio Galeotti lernt der bisexuelle Armani wenige Jahre später kennen und lieben, was den Beginn einer langjährigen persönlichen und bald auch beruflichen Beziehung markiert.

Für Giorgio Armani ist Anfang der 70er-Jahre der Moment gekommen, seine Wichtigkeit in der Modeindustrie zu demonstrieren. Nach einer international erfolgreichen Modeschau in Florenz überzeugt Sergio Galeotti den Kreativen, ein Label zu gründen.

Das Problem: Armanis Kleidung ist sehr gefragt, aber es fehlt ihnen an Kapital. Galeotti überredet den Designer dazu, seinen VW Käfer zu verkaufen, und verlässt die Architektur, um ihn bei der Markenetablierung zu unterstützen. Während in London und New York die Subkultur Punk entsteht, lancieren die Partner 1975 die Firma Giorgio Armani S.p.A. und ihre erste Herrenkollektion. Auf Anregung von Armanis jüngerer Schwester Rosanna folgt eine für Damen, die in ihrer kalkulierten Schlichtheit besticht. Italienische Firmen investieren zu günstigen Bedingungen in lokale Designer, sodass Newcomer wie Armani schuldenfrei starten und ehrgeizige Kampagnen realisieren können.

Der Mann hinter dem Modeluxus

So zurückhaltend wie seine Looks ist auch der Mann mit Sternzeichen Krebs dahinter, der sich am Wochenende auf eine Landvilla zurückzieht und im Sommer an der Côte d’Azur, im Winter in den französischen Alpen Kraft schöpft. Weihnachten verbringt er gern im Familienkreis in Mailand und freut sich auf traditionell mit Senf gefülltes Huhn sowie Tortellini mit Butter und Parmesan, gefolgt von Panettone mit Schlagrahm.

Erscheint der Maestro doch einmal an öffentlichen Auftritten, begleitet ihn seine Nichte Roberta – etwa an die Hochzeit von Fürst Albert II. Beide tragen ausschliesslich Armani; nach seinen Shows zeigt sich der Modepapst gern im Anzug oder im engen dunkelblauen T-Shirt.

Die anfänglichen Erfolge des Unternehmers resultieren aus der steigenden Zahl berufstätiger Frauen, die entsprechende Kleidung benötigen. Die neue Welle des italienischen Feminismus beeinflusst Armanis Ansatz für androgyne Mode. «Ich wollte die Frau kleiden, die lebt und arbeitet, nicht die Frau auf einem Gemälde», erklärt der Patriarch der italienischen Mode. Seine Klassiker bestehen aus teuren, rustikalen Textilien, die Langlebigkeit suggerieren.

Auf internationaler Bühne

Giorgio Armani wird ausserhalb Italiens bekannt, als er 1980 Richard Gere und Lauren Hutton für den Film «American Gigolo» einkleidet. Mit jeder Szene auf die Looks abgestimmt, macht der Film Gere und Armani zu Stars. Damit erregt der Italiener Aufmerksamkeit in Amerika und lockt Prominente zur Marke, auch als er die pastellfarbene Garderobe für die Fernsehserie «Miami Vice» entwirft. Er designt Kostüme für über 100 Filme, von denen «The Untouchables», «Batman» und «Pulp Fiction» die wichtigsten sind. Inzwischen gilt er als Pionier der Mode für den roten Teppich. Nichte Roberta sorgt dafür, dass die richtigen Celebritys in Armani gesehen werden: «Mein Onkel ist unerbittlich – er kleidet nur Persönlichkeiten ein, die Fans seiner Arbeit sind. Einzelstücke fertigen wir nur für ganz spezielle Anlässe – etwa Katie Holmes’ Hochzeitskleid.» Der Meister führt mehrere Linien unterschiedlicher Preisklassen wie Privé, Le Collezioni und Emporio Armani unter seiner Marke ein und lanciert Kosmetikkampagnen mit Stars wie Aaron Taylor-Johnson, Beyoncé oder Cate Blanchett.

Der Kreativkopf legt in seiner Blütezeit den Grundstein für den selbstbewussten Businesslook der emanzipierten Frauen der 1980er-Jahre, ebnet den Weg für Modegrössen wie Calvin Klein, Donna Karan und Jil Sander, bringt den Glamour auf den roten Teppich und macht den legeren Stil Südeuropas weltweit begehrt. Das Markenzeichen seiner Designsprache ist und bleibt jedoch der Anzug.

Meister der Mode, Hüter des Erbes

Giorgio Armani ist ein sehr privater Mann. Über seine Beziehung zu Galeotti sagt er: «Wir haben einander ohne viele Worte verstanden. Er hat mich nie weinen sehen und selbst kaum über seine Krankheit gesprochen.» Seit dessen Leukämie-Tod 1985 ist Armani alleiniger Inhaber der Firma mit scharfem Geschäftssinn. Während die Konkurrenten Gucci und Prada durch teure Übernahmen expandieren, zieht der Selfmade-Milliardär Kontrolle vor. Er schliesst alle Fusionsangebote aus, besitzt eines der letzten vollständig unabhängigen Modehäuser.

Auch eine Liebe zur Schweiz begleitet den Südländer. In La Punt nahe von St. Moritz erwirbt er ein jahrhundertealtes Haus und lässt es vom Vertreter der klassischen Moderne, Rudolph Schindler, umbauen. «Häuser ohne Persönlichkeit sind für mich uninteressant. Dieses Chalet erzählt die Geschichte meines Lebens», so Armani über seinen Schweizer Sitz. Ebenfalls mit Bezug zur Schweiz lanciert er mit der Manufaktur Parmigiani Fleurier eine eigene Uhrenkollektion.

Diese Woche ist Giorgio Armani 90 Jahre alt geworden. Da der seit Karl Lagerfelds Tod 2019 bekannteste Modemacher der Welt nicht wie Miuccia Prada mit Raf Simons eine Nachfolge aufgebaut hat und selber kinderlos geblieben ist, wird über die Zukunft seines Imperiums spekuliert. Er selbst sagt zum Alter: «Ich liebe Dinge, die gut altern, den Test der Zeit bestehen und zu lebenden Beispielen für das absolut Beste werden.» Giorgio Armani bleibt bis zuletzt sein eigener Boss.