Letztens blitzte da was aus der Manteltasche einer Kollegin. Ich vermutete eine Schachtel Zigaretten, aber ich lag falsch. Was da in den Tiefen des Innenfutters schlummerte, war ein Reclam-Heft. Oder zumindest etwas ähnliches, irgendwas Schlaues jedenfalls. Sie verwies auf ihr kleines Handtäschchen und beharrte darauf, dass dieser Tatsache die Grösse des Buches geschuldet sei. Und klar, es passe so auch gut in den Mantel, sei schneller zur Hand. Nun erzählte auch vor nicht allzu langer Zeit eine andere Freundin von ihrem Praktikanten, der sein Reclam-Heft stets in der Gesässtasche der Jeans spazieren führen würde und in den Pausen, wenn möglich, damit unter einem Baum hocke. Man munkelt, mit dem Praktikanten sei was gelaufen. Und dann kamen auch noch die Hadids, die nicht mehr Clutches von Chanel, Fendi oder Bottega Veneta in der Hand tragen, sondern die Werke Stephen Kings und die von Albert Camus. Da ist was im Buch, äh Busch.
Die Romantik des Analogen
Hach, erinnert euch doch eben mal an den polyglotten Elio in «Call Me by Your Name» (und somit herzblutend an Timothée Chalamet). Der schwirrte durch den perfekten Sommer, in dem er las und Musik transkribierte und seine Pausen vom harten Leben (wie besagter Praktikant) unter schattenspendenden Zypressen verbrachte. Die Welt war und ist hin und weg von diesem so smarten Jüngling. Man wollte sein Handy in die Ecke knallen, ein zerfleddertes Reclam-Heftchen rausholen und sich zu ihm unter den Baum ... Halt, stop! Fällt euch was auf? Das geschriebene Wort verfehlt seine Wirkung nicht.
Darauf hoffen vermutlich auch die digitalen Hadids. Statt like-heischende Bilder durch die Insta-Welt zu schleudern, lesen die beiden nun lieber. Wenn sie Zeit haben. Bella widmet sich mit «The Outsider» dem aktuellsten Roman von Stephen King und schleift sogar ein schweres Hardcover-Exemplar mit sich rum. Gigi greift viel tiefer in die Klassiker-Kiste und präsentiert «Der Fremde» von Albert Camus aus dem Jahre 1942. Chic, chic! Nun hat Bella einen Rucksack dabei und Gigis Heftchen liesse sich im Blazer verstauen. Da liegt die Vermutung nahe, dass das Buch doch mehr gesehen, als gelesen werden soll. Vielleicht unterschätzen wir die Models auch. Denn wie heisst es so schön: Don't Judge a Book by its Cover.
Wer dennoch gerne angibt – hier ein paar anregende Ideen für einen optischen Intellektualitäts-Booster: