«Das isst Emily Ratajkowski an einem Tag.» «So kommt Emily in Topform.» «Das Topmodel präsentiert sich offenherzig auf Instagram!» Solche Headlines ziehen, weil Emily zieht. Sie interessiert, erregt Aufmerksamkeit, polarisiert. Berühmt wird sie 2013, als sie durch das Video zum Song «Blurred Lines» tanzt. Davon gibt es eine normale und eine «nude» Version. Oder anders gesagt: eine nackte und eine noch etwas nacktere. Aber nackt sind – logischerweise – nicht die Männer, die US-Sänger Robin Thicke, Pharrell Williams oder Rapper T.I., sondern die superschlanke Emily und ihre Mittänzerinnen. Zumindest fast. Sie trägt nur einen fleischfarbenen Tanga. Und Turnschuhe.
Sie sei glücklich, dass sie anziehen kann, was sie will, schlafen kann, mit wem sie möchte, und tanzen kann, wie sie möchte, sagt sie in einem auf den Videoclip folgenden Interview zum Magazin «Cosmopolitan». Tanzen, wie sie will, heisst in diesem Fall: nahezu nackt, um ein paar Männer herum. «Ich weiss, du willst es», singen die dabei. Thicke bringt das übrigens, neben einer Menge Geld, den Titel «Sexist des Jahres 2013» ein. Ratajkowski bringt der Clip 2014 eine Rolle im Drama «Gone Girl» ein, an der Seite von Ben Affleck. In dem Kinofilm spielt sie Andie, die Geliebte des Hauptcharakters. Seither hagelt es Artikel über das Model, das auch schauspielert. Meist mit Überschriften, die ihre Freizügigkeit betreffen.
Dass Emily Ratajkowski (stilles j) nicht dumm ist, scheint ausserdem Breaking News zu sein. Interviews beginnen mit überraschten Journalisten, die sich die 27-Jährige anders, eben einfältiger, vorgestellt haben. Weil sie so aussieht, wie sie aussieht? Und vielleicht auch, weil es auf ihrem Instagram-Profil von Selfies im Badeanzug – und manchmal auch ganz ohne etwas – nur so wimmelt. Aber genau darum tue sie es ja. Weil die Gesellschaft nackte Brüste nicht ertrage und deren Trägerinnen sofort in eine Schublade zu pressen versuche. Mit solchen Vorurteilen will sie aufräumen.
«Die amerikanische Kultur ist am Ende», sagt Emily Ratajkowski während eines Gesprächs mit dem Magazin «Allure». Warum? Wegen der Reaktionen auf ihre Auftritte in den sozialen Medien, auf den roten Teppichen. Das Model zeigt sich offenherzig. Zeigt, was sie hat. Es störe sie, dass ihre Brüste ständig in den Schlagzeilen seien. Leute würden darin nicht mehr Schönheit und Femininität, sondern Vulgarität und Pornografie sehen. Sie ist also sexy. Und dennoch wagt sie es, sich selbst als Feministin zu bezeichnen! Attribute, die für viele partout nicht zusammenpassen wollen. Stigmata, mit denen sich Ratajkowski seit ihrer Pubertät immer wieder konfrontiert sieht.
Auf Schauspielerin Lena Dunhams Online-Plattform «Lenny Letter» veröffentlicht Ratajkowski im Februar 2016 einen Essay über ihre Kindheit. Ihr Vater ist Maler, ihre Mutter Professorin. Sie wuchs an den unterschiedlichsten Orten auf. Mallorca, Irland – in San Diego besuchte sie schliesslich die Highschool. Ihr Vater nannte sie als Zwölfjährige «baby woman», weil sie schon Körbchengrösse D hatte, aber immer noch nicht alleine in einem Zimmer schlafen wollte. Als sie dreizehn war, nahm ein Freund der Familie das Einzelkind auf einer Feier zur Seite: «Ein Mädchen wie du sollte sich zurückhalten.» Eine Empfehlung, die sie damals noch nicht verstand.
Als sie mit vierzehn Jahren einen Modelvertrag bekam, sorgten sich ihre Eltern. Sie befürchteten, sie könnte benutzt werden. Aber Emily schreibt, dass sie vor allem im Privatleben eine harte Zeit hatte. Denn dort hätten sich unangebrachte Kommentare und Grenzüberschreitungen viel persönlicher angefühlt. Sie höre immer noch diese Stimmen, die ihr ständig einbläuen, bloss keine missverständlichen Botschaften zu senden, die sagen, dass sexy gleich trashig sei. Ihr Artikel ist ein Appell, Sexyness als Form von Schönheit anzusehen und dass auch schöne Frauen politisch sein dürfen.
Schon vor den Bewegungen #metoo (seit Ende 2017) oder #timesup (seit Anfang 2018) war da Emily Ratajkowski. Sie trotzte Erwartungen, sprach über sexuelle Belästigung, Politik und Sexismus. Sie hat nach wie vor klare politische Ansichten, wird während einer Demonstration gegen Brett Kavanaugh, der trotz Missbrauchsvorwürfen ins oberste Gericht der USA gewählt wird, festgenommen. Sie weiss: Taten zählen mehr als Worte – und vor allem weiss sie, wie sie von einer breiten Masse verstanden wird. So ist das Nacktfoto von Kim Kardashian und ihr selbst einer der erfolgreichsten Instagram-Posts im Jahr 2016. Ihre zwanzig Millionen Followers sind begeistert. Wieder die Begründung: «Eine Frau kann sexy sein, Selfies machen und anziehen, was sie möchte – es ist ihre Entscheidung.» Natürlich zensieren die beiden ihre Brüste mit schwarzen Balken, denn sich so freizügig auf den sozialen Medien zu zeigen, wird geahndet. Und das Foto schneller wieder aus dem Netz entfernt, als man «Free the Nipple» aussprechen kann.
Der Hastag #freethenipple ist nicht neu, aber immer noch aktuell: Nacktheit ist auf Instagram nicht gern gesehen. Zumindest, wenn Geschlechtsverkehr, Genitalien und nackte Gesässe in Nahaufnahme abgebildet sind – oder eben weibliche Brustwarzen. Denn: Anders als bei männlichen Nippeln geht das soziale Netzwerk stark dagegen vor. Aus der Nähe betrachtet, sehen sich männliche und weibliche Brustwarzen sehr ähnlich. Für die sozialen Medien ist das noch lange kein Grund, sie gleich zu behandeln. Männer oben ohne sind okay, Fotos von weiblichen Brüsten werden konsequent gelöscht.
Nicht nur Emily, auch andere Prominente haben schon Bekanntschaft mit Instagrams Zensur gemacht: Rihanna wurde zwischenzeitlich verbannt, weil sie ihr Foto postete, das das Cover eines französischen Männermagazins zierte. Kendall Jenner durfte zwar in einem transparenten Top auf der New York Fashion Week über den Laufsteg schreiten – für Instagram war das Bild dieses Auftritts aber zu anzüglich. Dem Magazin «Allure» erzählt Emily im vergangenen Jahr, dass dieser Zustand sie hat realisieren lassen, wie «fucked» unsere Gesellschaft sei.
Die Idee, den Körper als Zeichen der Befreiung zu enthüllen und ihn als Provokation einzusetzen, hat Ratajkowski nicht erfunden. Lady Godiva soll schon vor tausend Jahren nackt gegen die Steuererhöhungen ihres Gatten angeritten sein. Die Achtundsechziger-Frauen rissen vor dem Philosophen Theodor W. Adorno die Lederjacken auf. Die Femen-Frauen bepinselten ihre schmalen Oberkörper mit Protestslogans. Obwohl die Oben-ohne-Bewegung also bereits eine längere Tradition hat, löst der Anblick einer nackten Brust offensichtlich noch immer Debatten aus. Zumindest bewirkt er im Fall Emily, dass man deren Besitzerin jegliche Ernsthaftigkeit abzusprechen versucht.
Ratajkowski sich als Teil der vierten Welle des Feminismus, dessen erste im 18. Jahrhundert begann. Sie sieht sich einer Bewegung zugehörig, die das Internet für ihre Belange benutzt. Einer, der es um die Rückforderung der Weiblichkeit geht. Und darum, die Wahl zu haben. «Feministinnen hatten früher ein Problem mit weiblicher Sexualität wegen ihrer patriarchalischen Version. Aber ich finde, dass Frauen ihre Sexualität nicht verneinen sollten», erklärt sie der deutschen «Vogue». Sie proklamiert also vor allem eins: Habt keine Angst, euch selbst zu sein. Was anscheinend in erster Linie bedeutet, offen mit der weiblichen Sexualität umzugehen, ergo sich so aufreizend wie möglich zu zeigen.
Wir wollen Emily auf keinen Fall absprechen, eine Feministin zu sein oder mit – respektive trotz – ihrem hübschen Kopf denken zu können. Aber uns drängt sich die Frage auf, ob uns ihr Aktivismus nicht wieder zurück auf die Spuren einer etwas unglücklichen Reduzierung der Frau auf ihre äusserlichen Reize führt. Und: Darf ein Vorbild überhaupt so makellos schön sein wie Emily Ratajkowski? Der Feminismus macht ja immer irgendetwas falsch: Entweder ist er zu streng oder zu naiv. Mal ist er zu aggressiv, mal zu zahm. Er kümmert sich ewig um die falschen Fragen, ist zu elitär oder zu stumpf. Seine ganze Jugend über stand er unter dem Verdacht, eine Spassbremse zu sein und in Sachen Sex keinen Plan zu haben. Und gerade wird ihm vorgeworfen, er sei zu knallig, zu pink, zu unernst, zu kapitalistisch, zu vermarktbar. Zu poppig.
Pop-Femismus – Emily Ratajkowski verkörpert diesen Aktivismus im neuen Gewand nicht allein. Das «Time Magazine» kürt 2014 sogar zum «Jahr des Pop-Feminismus», weil viele auf der Liste der «100 einflussreichsten Menschen» bekennende Feministen sind. Da wäre zum Beispiel Beyoncé. 2014 liess sie auf der Bühne, mit nichts als einem Glitzerbody und hochhackigen Stiefeln bekleidet, mit breit in den Boden gestemmten Beinen das F-Wort auf einen riesigen Screen projizieren. Und da ist Pharrell Williams, der Emily 2013 noch nackt tanzen liess und sich heute gegen die Benachteiligung von Frauen ausspricht.
Böse sprechen dabei sogar vom «Fame-inism». Diese zischen auch Fragen wie: Kann man noch von Feminismus sprechen, wenn er so likebringend verpackt wird? Oder: Wie viel echte Botschaft steckt noch dahinter? Vermutlich ist es genau diese scheinbare Widersprüchlichkeit zwischen zur Schau gestellter Sexualität und politischem Bewusstsein, die Ratajkowski als Botschafterin der Gleichberechtigung so wichtig und attraktiv macht. Sie zeigt sich als glücklich verheiratete Frau (ihr Mann ist der New Yorker Filmproduzent Sebastian Bear-McClard), die ihre finanzielle Unabhängigkeit aber genauso liebt wie ihn. Deren zierliche Figur ständig in den Medien besprochen, kritisiert wird und die ihren eigenen Körper dennoch bedingungslos feiert. Anders gesagt: Feminismus besteht nicht nur darin, auf sexuelle Gewalt hinzuweisen.
Andererseits propagierenVorbilder wie Emily auch ein Frauenbild, das alles zusammen sein soll: aufreizend und selbstbestimmt, sexy und smart. Das mag als Vision der Popkultur und an den Beispielen von Emily Ratajkowski funktionieren. Aber im echten Leben? Das Selfie auf Instagram mit anzüglichem Schmollmund soll mit politischer Bildunterschrift plötzlich Ausdruck der Selbstbestimmung werden ... Geht das denn überhaupt: ein Objekt sein, weil man es will? Oder liegt es nicht doch in der Natur der Objektifizierung, dass der andere sie vornimmt und nicht das Objekt selbst? Diese Frage können wir nicht abschliessend beantworten. Noch nicht.