Bereits im Juli letzten Jahres berichtete das Forbes Magazin über den «dramatischen Fall» des einstigen Erfolgslabels Victoria’s Secret. Zu wenig modern, zu wenig Body positive hiess es damals. Während sich viele andere Brands längst mit einer individuellen Grössenthematik auseinandersetzten und bis zu 78 verschiedene BH-Grössen auf den Markt brachten, verpasste der amerikanische Konzern irgendwie den Anschluss.
Ob sich das Wäschelabel die harte Kritik zu Herzen genommen hat? Scheint derzeit eher nicht so. Gerade lancierte Victoria’s Secret nach Jahren der Abstinenz wieder eine Swimwear-Collection. Statt zu revolutionieren bleibt das Label aber leider seinen alten Mustern treu. Im wahrsten Sinne des Wortes: Leomuster, Tropical-Prints und Neonfarben. Mmh, haben wir doch irgendwie auch vor sechs Jahren schon gesehen, oder? Dazu kommt – und das scheint noch viel schlimmer – dass der Brand noch immer bei den Konfektionsgrössen hinterherhinkt. Statt mehr Grössen ins Sortiment aufzunehmen, gehen sie sogar noch einen Entwicklungsschritt zurück. Cup-Grössen? Von nun an nicht länger Bestandteil der Bademode. Ab sofort sind die Bikini-Tops ausschliesslich von XS bis L oder von S bis XL erhältlich. Und ja, wer hätte es gedacht, das Internet zeigt sich empört:
«Ich habe mich gefreut, dass Victoria’s Secret ihre Swimwear zurückbringt, aber sie verkaufen keine Cup-Grössen mehr. Und meine BH-Grösse entsprich keiner XS, S, M, L Grösse.», heisst es. Oder: «Victoria’s Secret floppt dieses Mal so richtig. #sorrynotsorry»
Trotz substanzieller Image- und Geschäftsprobleme ist der Mythos von Victoria’s Secret auch 2019 noch nicht verdunstet. Noch zieht der Traum vom Engel-Dasein.
Dabei hat der US-Wäschehersteller ein Riesenproblem. Laut Forbes ist die Heimat der Funkel-Engel nur noch die Hälfte Wert. Nicht einmal eine Verlängerung der letzten Sales-Periode habe das Ruder rumreissen können, heisst es in der Analyse. Andere kritisieren, der Konzern habe einfach die Zeichen der Zeit ignoriert – #BodyPositivity und #MeToo sind da nur zwei Beispiele.
Reale Frauen knabbern in den USA an den Engelsflügeln
Rollen wir das Feld mal kurz von hinten auf: Laut The Sun dürfen die beflügelten Damen einen maximalen Körperfettanteil von 18 Prozent nicht überschreiten. Einen Taillenumfang von über 60 Zentimetern? Schon fallen die Nachwuchs-Engel vom Himmel. Über-Engel Adriana Lima gab einst zu Protokoll, rund neun Tage vor der Show keine feste Nahrung mehr zu sich zu nehmen, um den Vorgaben entsprechen zu können. Die jungen Frauen trainieren und optimieren fleissig, um in die Schablone zu passen. Sie sollen ja auch durchtrainiert, aber leicht kurvig sein und eine total zugängliche Persönlichkeit haben.
Dass Models für Laufstege eher schmal sind, ist natürlich nichts Neues. Doch in Victoria’s Secrets Kerngeschäft legen andere Player zu. So setzt Konkurrent Aerie etwa auf den Claim #AerieREAL und stattet stinknormale Frauen in allen Variationen mit seinen Produkten aus. Das zieht. Die einfache Baumwollunterhose läuft dem Tanga den Rang ab. Das bringt Victoria’s Secret in die Bredouille. Was tun?
Gratisaufmerksamkeit dank Influencer-Models
Wie ein Blick auf die zum Casting einlaufenden Damen zeigt: Influencerinnen, die sich als Models nicht unbedingt einen Riesennamen gemacht haben, dafür hunderttausende bis Millionen Follower haben, sollens in Zusammenarbeit mit den traditionelleren Engeln, die längst mehr Celebrities als klassische Models sind, richten. Bis jetzt mussten sich die Damen ihr Ticket auf die VS-Bühne erst auf internationalen Runways erlaufen. Ab sofort liegen wohl auch Follower-Zahlen in der Waagschale. Von der Privatdokumentation des Engel-Abenteuers profitiert der Brand natürlich. Ob die Rechnung aufgeht? Ende November/Anfang Dezember (ein genaues Datum gibt es noch nicht) findet die nächste Show statt. 2017 erreichte die Show mit 10.8 Millionen so wenige Zuschauer wie noch nie.